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mögen. Wenn sie ehrlich mit ihren wahren Absichten und den alten Losungen von der Religion, dem bedrängten Glauben und dem Kreuze fämen, fein Mensch würde heute mehr auf sie hören. So verstecken sie ihre Wünsche und Pläne hinter Reden, welche der Masse gefälliger klingen, und rufen den Haß und Neid gegen die Juden auf. Aber Jude ist ihnen jeder, der nicht streitbarer Katholik (catholique militant) ist. Freidenker, Atheisten, Protestanten

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alles, was ihnen nicht paßt, heißt Jude, und wenn sie es auch eine antisemitische nennen, es bleibt im Grunde doch immer eine klerikale Bewegung, was sie wollen. Das sind die Führer, zu denen sich dann noch ein paar ängstliche Kapitalisten gesellen, die vom Antisemitismus eine ihnen freilich sehr ange= nehme diversion" des Sozialismus erwarten - sie möchten dem Proletariate das Maul mit dem jüdischen Gelde stopfen. Alle diese Versuche haben nun in den Provinzen gar kein Glück - man kennt die Juden dort als redliche, fleißige, betriebsame Leute, und anstößigen Reichtum giebt es dort nicht. Nur in Paris, wo eine gewisse Zahl von jüdischen Spekulanten rasch und nicht immer wählerisch große Vermögen erworben hat, konnten sie einigen Anhang gewinnen, der aber auch ohne Macht, ohne jeden Erfolg geblieben ist. Sie haben noch nicht einen einzigen Kandidaten durchgebracht man darf sich durch den Lärm der Schreier von der Libre Parole nicht täuschen lassen. Es sind ein paar Leute, welche

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die antisemitische Heze amüsiert lichen Partei ist nicht die Rede."

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von einer ernst.

Sie glauben also an keine Zukunft des Antisemitismus in Frankreich ?"

„Nein . . . übrigens auch sonst nicht und auch dort nicht, wo der Antisemitismus mit seinen Behauptungen vielleicht recht hat. Ich will gerne glauben, daß die Juden in Rumänien oder Rußland eine jämmerliche und gemeine Rasse sind, wie man das oft hört, und ich kann mich selber aus meiner Kindheit ich bin jezt achtundfünfzig Jahre vorbei noch alter Juden aus der Zeit vor der Emanzipation entsinnen, die ganz wunderlich und fremdartig waren. Aber ist das nicht vielmehr nur das beste Argument für die Emanzipation? Was anders macht sie denn elend und jämmerlich, als eben die Knechtschaft, in der man sie geflissentlich hält? Jede Rasse, die man beharrlich verachtet, wird endlich verächtlich, und es giebt ein einziges Mittel, sie zu bessern - wenn man ihr die volle Freiheit und die volle Ehre giebt . . ."

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Nun nur noch eine Frage: die Boulangisten, zu denen Sie gehören oder wenigstens gehörten, gelten doch für Antisemiten?"

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Der Boulangismus ist zuerst, im Jahre 1888, eine ausschließlich politische Partei gewesen, in der es sich um die Revision, um allerhand Fragen der Verfassung, nicht mit einer Silbe um den Antisemitismus handelte, der eben schüchtern begann. Erst vor den

Wahlen 1889 versuchten Drumont und seine Leute die Partei für den Antisemitismus zu gewinnen, den fie als ein sehr wirksames und handliches Mittel für die Agitation empfahlen, und damals hielt Laur in der That eine antisemitische Conférence. Das waren die Anfänge eines antisemitischen Zuges in der Partei, gegen den ich sofort und gegen den auch der General entschieden protestierte, der vom Antisemitismus nichts wissen wollte und alle Antisemiten von der Liste sette. So ist, so lange er lebte, die boulangistische Partei niemals antisemitisch gewesen und wäre es mit seinem Willen niemals geworden. Nach seinem Tode freilich und nach der Auflösung des Comités wuchs die Neigung zur Libre Parole, nicht etwa aus Überzeugung von ihrer Doktrin, sondern weil ihnen jedes Mittel recht war, die Leidenschaften des Volkes zu reizen, den Aufruhr zu verkünden und den Umsturz zu fördern . . . weshalb ja ebenso ein Teil der Sozialisten mit den Antisemiten hält. Sie denken: mag das immerhin ein Unternehmen der Jesuiten sein mit denen werden wir nachher schon fertig. Ganz wie die Jesuiten denken: mögen das immerhin Revolutionäre sein nachher werden wir mit ihnen schon fertig... Ja, es ist eine drollige und bizarre Mischung, diese antisemitische Partei!

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16.

Jules Simon.

em breiten, feierlichen Tempel der Madeleine gegenüber, wo der große Markt von Blumen ist, ein tiefes, schweres, schwärmerisches Duften aus gelben Rosen, braunem Flieder und den blutigen Nelken. Das lange, hagere Haus, das sich schüchtern da vom Plage in den Winkel drückt, ist sehr akademisch; im zweiten Stocke wohnt der runde, heitere Meilhac, der Vater der „Großherzogin von Gerolstein“ und der „Schönen Helena“, der so nebenbet auch „Margot" schrieb, die zierlichste Komödie des eleganten Lebens; im vierten wohnt der ehrwürdige Jules Simon. Es ist nun schon über vierzig Jahre, daß er hier haust, ganz oben, unter dem Dache, in einem bunten, köstlichen Gedränge von Büchern, Schriften und Papieren, bis an die Decke, daß kaum einmal ein winziges Fleckchen für einen

blassen Stich, für schlanke Bronzen und die Bilder alter Freunde bleibt.

Er liegt in einem breiten, bequemen Stuhl, den mächtigen, kahlen, gelben Schädel zurück, die schweren, dicken Lider zu, wie einer, der leise halb im Schlafe vor sich träumelt, und mit einem milden Lächeln der Versöhnung um den schmerzlichen und herben Mund. Durch die englische Tracht der breiten, massigen, gepflegten Miene möchte er ein bischen an Gneist erinnern, dem auch seine Weise von Pensionisten und kleinem Rentier gleicht. Aber der scharfe Schnabel der kräftigen Nase und die schlauen Auglein geben ihm was spöttisches, sarkastisches, satirisches, das der steifen Würde des deutschen Pedanten fehlt. In seiner Rede ist eine wunderliche Mischung von Herzlichkeit, die alles entschuldigen und zum Guten deuten will, von stillem Spotte, der den Jammer des Menschlichen sich nicht verhehlt, und von einer traurigen Geduld, die vielen Hoffnungen entsagt hat; und er zirpt mit einer dünnen, heimlichen, mädchenhaften Stimme, die in schrillen Tönen beginnt, aber ohne Atem sinkt und dunkel verlischt. Alles an ihm ist Milde und Güte, und er scheint wie in den sanften Geist seines Lebens verhüllt, der immer Ordnung, Friede und Mäßigung war. Ernest Daudet hat ihn einmal in einem einzigen Saße ausgedrückt: Ce fut surtout et avant tout un libéral et un modéré. So ist schon der junge und beredte Lehrer an der Ecole Normale und der Sorbonne

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