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gegen das Eigentum, gegen das Kapital überhaupt fehren wird, unbefümmert um Konfession und Rasse. Heute schreit man: alle Juden sind Diebe. Morgen wird man schreien: alle Bürger sind Diebe. Der Jude ist nur ein handlicher Ausdruck für dir Heße gegen das ganze Bürgertum, und es scheint mir unvermeidlich, daß der Antisemitismus immer revolutionärer gegen die staatliche Ordnung wird. Die konservativen Elemente verschwinden wir haben nur noch einige auf der äußersten Rechten, wie den Grafen de Mun, während der Graf von Paris von Drumont bereits als Freund und Genosse der Juden behandelt wird. Es wird nicht lange dauern und der Jude wird nur noch ein bequemes Wort für den Besit überhaupt, für alle Reichen sein. Es wird nicht lange dauern, und der Antisemitismus wird in den reinen Sozialismus versinken. Das scheint mir unaufhaltsam, und das scheint mir seine eigentliche Gefahr. Es sind viel weniger die Juden als die ganze bürgerliche Ordnung, die er bedroht. Dabei soll nicht geleugnet werden, daß er manches zur Sprache bringt, was an den Juden wirklich wenig erfreulich ist, und er kann ihnen vielleicht sogar sehr nüßlich werden, indem er ihre eigene Erkenntnis fördert. Die große Rolle zum Beispiel, die sie in der Freimaurerei spielen, oft weniger aus Überzeugung, als um sich in der Gesellschaft vorwärts zu bringen, Verbindungen zu gewinnen und in sonst verschlossene Kreise zu dringen, ist in der That be=

denklich. Aber wenn man so meinen möchte, daß eine gelassene Erörterung mancher Dinge den Juden nicht schaden könnte, ist doch auf der anderen Seite die Gefahr nicht zu verkennen, daß man dadurch am Ende ihre Assimilation nur verzögert, erschwert, ja wieder aufhebt. Ich möchte Sie da auf mein Buch über den Antisemitismus*) verweisen, wo ich von einem russischen Juden, einem Studenten, erzähle, der mir gesagt hat: „Wenn man uns beharrlich als ein fremdes Volk behandelt, müssen wir da nicht auf den Gedanken kommen, es wirklich zu werden? Wir mühen uns, unsere Besonderheit zu verlassen, und man stößt uns gewaltsam in sie zurück. Wäre es da ein Wunder, wenn unser Stolz sich wehrte und wir die Wiedergeburt des alten Israel versuchten? und warum sollte es uns nicht gelingen, einen jüdischen Staat zu gründen, wo wir nach unseren Gesehen und Sitten leben dürften, unserer Tradition gemäß ?" So könnte es geschehen, daß gerade durch den Antisemitismus die Juden würden, was heute die Antisemiten fälschlich von ihnen behaupten: ein besonderes Volk für sich unter den Völkern. Darum bekämpfe ich den Antisemitismus, so wenig ich blind gegen manche jüdische Schäden bin, die nur meistens nicht in der Raffe, sondern in den Verhältnissen liegen und durch vernünftige Reform geheilt werden können. Ich denke da besonders an

*) „Israël chez les nations“. Paris, Calmann Lévy.

Algier, wo in der That die Klagen über die Ausbeutung der Araber durch den jüdischen Wucher, den freilich oft genug auch Christen üben, nicht ohne Grund sind. Man müßte da den kleinen Besiß ge= sezlich schützen. Anderswo werden sich wieder andere Mittel empfehlen. Man kann nicht die gleichen Geseße für alle Länder machen. Aber die wüste Heze gegen eine ganze Klasse unserer Bürger ist verächtlich und gemein, unwürdig der Zeit, in der wir leben, und der Nation, zu der wir gehören."

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audet ist ein rechter Ahasver der Wohnung. Er wechselt ohne Rast. Jeder Roman ist in einem anderen Hause geschrieben, das er je nach der letzten Stimmung wählt. So sind alle Winkel von Paris schon seine Herberge gewesen. Aber unwiderstehlich lockt es ihn immer wieder in das lateinische Viertel zurück, zum Luxembourger Garten, wo der schwärmerische Jüngling einst die schwülen Träume, die verwegenen Wünsche seiner ersten Not spazieren führte, unter die platten und gemeinen Formen der runden Türme von Saint-Sulpice, auf die seine enge, elende, verlotterte Mansarde sah, im „Grand Hotel du Sénat" für fünfzehn Franken den Monat.

Er wohnt jezf Rue de Bellechasse, einer dunklen, stummen und verlorenen Straße, die vom Duai d'Orsay, dem breiten, feierlichen Plage der Akademie, wo die Bouquinisten die alten, schwarzen, zerfressenen

Folianten halten, in das Quartier steigt, an der cour des comptes vorüber, die seit der Kommune in verrauchten Trümmern schläft, um welche schweres Grün von langen, düsteren, üppigen Gräsern sprießt.

Hinten im Hofe. Und wieder erst drei steile Treppen. Ich muß an das Wort denken, das Bardoux, der Minister der schönen Künste von 1877, einmal einem englischen Gesandten gesagt hat: „Sie fennen Paris nicht, mein Lieber, und das kommt daher: Sie machen Ihre Besuche nicht hoch genug. La France n'habite pas au premier, la France loge au troisième étage, au quatrième, parfois sous les toits."

Ein dunkles, strenges, stilles Gemach, mit schweren Stoffen gegen die Welt verhängt, gegen Licht und Lärm von draußen, in matte, leise, zärtliche Farben gehüllt, die beschwichtigen. Eine ängstliche, zage, gleitende Stimmung wie um das Bett einer kranken, scheuen, empfindlichen Frau. Und alles in tief verwölftes Grau getaucht, aus dem, unter dem hellen Bilde des Edmond de Goncourt von Bracquemont, die weiße Blässe seiner gepeinigten Miene gespenstisch scheint. Alles will enteilen, will verrinnen, und seine Züge, seine Formen schweben im Nebel, wie man den Besuch von Geistern träumt. Carrière hat in seinem berühmten Porträt dieses Mystische und Entkörperte des nervösen Dichters gegeben.

Er liegt, hält die Krücke, ohne die er sich nicht mehr bewegen kann, und wälzt sich ohne Rast, wie

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