Imágenes de páginas
PDF
EPUB

27.

Henri Rochefort.

Rochefort hat neulich einmal Zola ein bischen

gezaust und Zola, der vielleicht ein großer Künstler, aber gewiß ein kleiner Mensch ist, verträgt das gar nicht. Es gab Streit, die Presse hezte und so wurde eine Woche wieder das Problem geprüft, das nun bald dreißig Jahre die Pariser reizt: ob der Mann der „Laterne“ nur ein politischer Klown, in den Pausen der Geschichte, oder ein ehrlicher, wirksamer Wert in der Entwicklung des Landes ist. Viele redeten, aber niemand konnte es lösen.

Zola hat gesagt: „Ich kenne ihn als einen amüsanten Menschen, einen Gesellschafter ohnegleichen, einen unwiderstehlichen Plauderer; aber was mich an ihm immer verwundert hat, das ist sein Blick: dieses naive, nichtige, leere Auge. Sein Kopf scheint mir wie eine leere Schelle, welcher die Klingel fehlt. Gewiß er hat ohne Zweifel Talent. Er ist jemand.

[ocr errors]

Er ragt über das Dußend. Aber prüfen wir doch sein Leben, seine Arbeit seit zwanzig Jahren, das Werk, das hinter ihm ist! Was hat er geschaffen? Nichts als Boulanger, der sicher dem Vaterlande nicht zum Heile war. Was wird von ihm bleiben? Nichts als seine Schule von gobeurs, wie diese Millévohe und Ducret, welche nach jeder Verleum= dung, nach jedem lächerlichen Zettel haschen, den irgend ein Betrüger gestohlen hat, um nur um jeden Preis täglich einen neuen Skandal zu führen!"

Daudet hat gesagt: „Ich begreife Zola nicht. Mir ist Rochefort der feinste Geist, den ich heute kenne. Sein Auge soll leer sein? Ich finde es tief und finde, daß es auf den ersten Blick eine ge= waltige, ungewöhnliche Natur verrät. Er hat ein enormes Talent und ein unerschöpfliches Talent, das sich in ewiger Jugend immer erneut. Ich lese ihn täglich und seine Kraft, sein Wit, seine Leidenschaft versagen, ermatten nie. Was würden ihn auch sonst jeden morgen alle Deputierten in der Kammer, alle Senatoren im Senate lesen? Es geschieht, weil er mit seiner reichen Kenntnis der Menschen und der Dinge, mit seiner großen Erfahrung immer die Wahrheit trifft. Keiner kennt wie er jede Klasse der Gesellschaft, alle Lagen des Lebens. Er hat auf dem Boulevard gelebt, er hat unter dem Adel gelebt, er hat mit Künstlern gelebt, er hat Komödien geschrieben, er hat Romane geschrieben, ganz famose, unvergleichliche Romane, er war im Gefängnis, er

war im Bagno, er war in Neu-Caledonien

[blocks in formation]

jezt ist er wieder verbannt! Und welche Grazie er hat, das Ernste gallisch heiter zu sagen - welchen Mut, den keine Gefahr, keine Not, feine Drohung beugt!"

Lemaître hat schon früher einmal über ihn ge= schrieben, in seiner fraglichen, zweifelhaften, verzichtenden Weise, die lieber sucht als finden will. Er nennt ihn einen cas moral des plus intéressants et des plus irritants á la fois, par l'impossibilité où l'on est d'y voir clair jusque au fond, und zieht allerhand Vergleiche, Beispiele, Kategorien auf ihn, die doch alle nicht recht sizen. Ein Meister jener Ironie ohne Rast, Leidenschaft und Wahl, welche „blague" heißt, ein Vaudevillist, ein unversöhnlicher Feind der Herrschaft und der Ordnung, der die wildesten Instikte von der Straße ruft, ein Apostel der Not, der ein König des Boulevards ist, ein Revolutionär, der den Marquis nicht vergessen fann, wie einer jener räuberischen Ritter und ge= adelten Banditen, die sich einst aus Zorn, aus Dünfel, aus kriegerischer Lust gegen jede Macht empört

zwischen solchen Worten tappt er. Nichts will den bizarren Spötter decken und Widersprüche bleiben.

Vielleicht dürfte man sie anders lösen. Man sollte nur nicht vergessen, daß er ein Künstler ist — freilich nicht in Marmor, Farben oder Worten, sondern in lebendigen Menschen. Maurice Barrès, der ihn bewundert und liebt, hat ihn mir einmal

als einen unvergleichlichen manieur d' hommes gerühmt, und er hat selber einmal gedroht: „Je ferai descendre des faubourgs, quand je voudrai, deux cent mille hommes." Vielleicht sollte man ihn also aus einer solchen Künstlerschaft des Lebens erflären, welche in den Menschen, statt in Tönen und Malereien, ihre Träume, ihr Gesicht der Welt ge= staltet, was man ja wohl jezt einen Übermenschen nennt, wenn das wunderliche Wort überhaupt einen Sinn haben soll.

Er wohnt im Regents Park und das tiefe freie Grün der englischen Landschaft rauscht in das zierliche und feine Roccoco des üppigen Salons. Draußen zwitscherts von den breiten vollen Bäumen. Aber hier flirren, huschen aus Figürchen, Büsten, Vasen flinke Schimmer wie von Tänzen lächelnder Marquisen.

van Beers hat seinen fahlen, hämischen, burlesken Schädel einmal gemalt, dem die freche Zacke des steilen weißen Schopfes über der jähen Stirne was phantastisch Lächerliches, einen unheimlichen Spaß, wie von einem karrikierten Don Quixote giebt. Seltsam ist das Auge: gierig, lauschend, spionierend, wie ein Schwamm, der saugt, in sich zieht, nichts aus sich läßt, wie ein Blutegel, wie ein Vampyr. Man fühlt, daß man nichts aus ihm locken, nichts vor ihm verstecken kann.

Er redet wunderlich: auf den nächsten Gedanken los, den er wuchtig packt und in große Säße faltet,

um gleich andere Launen wieder zwischen sie zu schieben, die er gleich wieder verläßt, um gleich wieder auf sie zu kommen. So dreht sich seine Rede im Kreise. Ihr fehlt die helle, leichte, sichere Ordnung seiner Schrift.

[ocr errors]

„Vor allem: Ich bin leidenschaftlicher, fanatischer Antisemit. Aber ich verwerfe jeden religiösen Antisemitismus. Der ist dumm und blöd. Ich bin Atheist. Der Glaube interessiertmich nicht. Die Religion wirkt nicht auf mich - ich bin immer so gewesen, von Kindheit auf. Das liegt an meiner Erziehung, da es in meiner ganzen Familie keinen Glauben gab mein Vater war ein strenger Voltaireaner. Die Frage hat auch mit der Religion nichts zu thun. Man braucht kein Christ zu sein, um gegen die Juden zu sein. Ich war 1871 im Gefängnis mit Muselmännern zusammen, die die Juden grimmig haßten. Der ganze Aufstand der Araber geschah damals nur, weil Cremieur die Juden naturalisierte seit jenem Drefret ist der Fall von Algier unaufhaltsam; es verkommt mit jedem Tage mehr. Also: Nach der Religion frage ich nicht, in meiner Familie fehlt der religiöse Sinn ich wurde erst mit elfeinhalb Jahren getauft, um in die Schule zu gehen meine Tochter gar nicht und meine Enfelin auch nicht. Aber ich bin Antisemit, weil ich sehe, wie die Juden sind. An allen großen Katastrophen meines Volkes sind die Juden schuld. Und das ist immer in allen Ländern so gewesen, und alle Völker sahen sich gezwungen, sich gegen die

[ocr errors]

-

« AnteriorContinuar »