Imágenes de páginas
PDF
EPUB

3.

August Bebel.

n der Großen Görschenstraße, ganz draußen, wo der Rest der Stadt schon verendet; die Häuser rücken auseinander, dürftiges Grün winkt, und das leere Land sieht herein.

Eine schmale, stille, helle Stube. Bücher und Schriften, an der lichten Wand schlichte Stiche und Schnitte von Demokraten und Sozialisten; das löwische Haupt des Marr schlägt die anderen; und wieder Schriften und Bücher. Eine freudige, be= schauliche und sanfte Stimmung von unbekümmert treuer Arbeit.

Man vergleicht seinen Kopf gern dem Christus. Aber es ist ein sächsischer Christus, weich, schüchtern, fast ein bischen zimperlich. Die Frauen bei Ola Hansson haben solche müde, traurige Züge, welche durch tägliche kleine Leiden mehr als durch ein großes Schicksal erschöpft und verblaßt sind.

Er empfängt mich mit seiner stillen, guten Herzlichkeit. Es war in Paris, daß wir uns das lezte Mal sahen, 1889, beim sozialistischen Kongresse. Aber er ist nicht sehr erbaut, wie ich ihm sage, warum ich fomme.

[ocr errors]

Man macht mit den Interviews nicht immer die besten Erfahrungen. Leicht wird etwas falsch verstanden, und man kann doch nicht immer gleich berichtigen. Da bringen denn die Zeitungen mancherlei, das gar nicht stimmt, und es giebt Verdruß. Ich weiß nicht, ob Sie gehört haben, wie man uns auf dem lezten Kongresse ernstliche Vorstellungen deswegen gemacht hat - es handelte sich um französische Journalisten; es wurde nicht gerade formell beschlossen, aber man meinte eben, wir sollten derlei künftig überhaupt lassen."

Aber allmählich kommt er doch langsam ins Plaudern. Er hat eine schlichte, bedächtige Art, die Worte aus sich zu holen, während er sinnend das Haupt ein wenig neigt. Es ist mehr wie ein Monolog mit sich selbst, den ich nicht stören möchte.

„Bei Ihnen hat man einmal gesagt — ich glaube, es war Kronawetter: „Der Antisemitismus ist der Sozialismus des dummen Kerls." Das ist ein hübscher Einfall, aber er trifft doch die Sache nicht. Die eigentlichen Träger des Antisemitismus, das kleine Gewerbe und der kleine Grundbesit, haben von ihrem Standpunkte aus nicht so Unrecht. Ihnen tritt eben das Kapital hauptsächlich in der Gestalt des Juden

entgegen. In Hessen und anderen Teilen Südwestdeutschlands zum Beispiel, wo ich die Verhältnisse fenne - da sind die Hypotheken in den Händen der Juden und die Käufer agrarischer Produkte auf allen Märkten sind Juden. Dadurch erscheinen alle schlimmen Wirkungen des Kapitalismus den Leuten immer in der Gestalt des Juden, und da ist es ganz natürlich, daß diese Schichten, die nicht gewohnt sind, viel über das kapitalistische System zu grübeln, sondern sich an die Formen und Erfahrungen halten, in denen es ihnen gegenübertritt, dem Antisemitismus verfallen. Das Kleingewerbe wird wiederum sehr stark von der Konkurrenz der jüdischen Handelsgeschäfte getroffen, so sind die Kleider-, die Schuhwaarenläden, die Läden mit Manufakturwaaren 2c. fast ausschließlich in Händen der Juden und die Konkurrenz derselben ist für diese Schichten erdrückend. Bei den Offizieren und Beamten liegen andere Gründe vor. Ein großer Teil derselben macht Schulden und der Kreditgeber ist wiederum sehr oft ein Jude. Daher ihr Haß gegen dieselben. Die Studenten mögen wiederum die Juden nicht, einesteils weil sie nicht selten ebenfalls im Schuldverhältnis zu ihnen stehen, andererseits weil die Juden als Studierende oft fleißiger und als Rasse wohl auch intelligenter sind. Das hängt also alles mit den ökonomischen Zuständen mehr oder weniger zusammen. Im Osten, wo die Juden arm und oft Arbeiter, auch Bauern sind, ist es anders. Was an Juden zu uns kommt, ist meist

schon der ausgesuchtere Teil, es sind die intelligenteren, die in der Konkurrenz die größeren Chancen haben. Und dann das nationale Moment - bei den Romanen fehlt das; die Spanier oder Italiener sind weit mehr mit den Juden vermischt und können oft den Juden von ihrer eigenen Nationalität nicht unterscheiden. Die Deutschen erkennen den Juden leicht und be= trachten ihn daher als Fremden, namentlich spielt bei geringer Geisteskultur die Frage der Rasse immer eine große Rolle. So kann man sich den Antisemitismus aus der Thatsächlichkeit der Verhältnisse vollkommen erklären, wozu noch kommt, daß er von allerhand Leuten künstlich gezüchtet und geschürt wird."

„Ja, den Antisemitismus würde das schon erklären, aber es erklärt doch den Zauber nicht, den Leute vom Schlage des Ahlwardt auf die Menge üben, mit Phrasen, die als Verleumdungen bewiesen sind ..."

Ahlwardt hat nur den Einfluß, weil er der Schichte von Leuten, die ihm anhängen, im Fühlen und Denken gleich ist. Seinem Anhang genügt es, wenn nur etwas Wahres an den Anklagen ist. Und man kann nicht einmal sagen, daß sie Unrecht haben: denn etwas Wahres ist bisher immer an seinen Geschichten gewesen. Etwas Wahres war auch an den sogenannten „Judenflinten"; es ist gerichtlich erwiesen, daß Unregelmäßigkeiten vorkamen - wie überall; wer selber einmal Arbeiter oder Unternehmer war, wird das wissen. Ich habe zum Beispiel früher Thür

klinken gefertigt, und da weiß ich, daß es vorkommt, daß ein Arbeiter mal die Bohrung verfehlt und es dann eben vertuscht. Also mit den Unregelmäßigkeiten hat Ahlwardt nicht gelogen, aber er hat sie weit übertrieben; auch treffen sie gerade Löwe nicht, der sich um das Technische nicht zu kümmern hatte. Das passiert Ahlwardt überhaupt, daß er mit seinen Enthüllungen ganz andere Leute trifft, als er treffen will. Jest ja auch wieder. Er hat noch nichts bewiesen, aber es wäre schon möglich, daß an diesen Geschichten etwas Wahres ist. Schließlich dürfte es aber kein Jude sein, der von ihm möglicherweise getroffen wird, sondern Miquel, der Liebling der Konservativen, den sie am liebsten schon als Reichskanzler sähen. So geht es ihm immer. Er ist ein konfuser Mensch, der sich der Tragweite seiner Handlungen nicht bewußt ist. Man kann, wie Lieber gestern richtig sagte, nur noch Mitleid mit ihm haben. Er redet ohne Sinn, verwirrtes Zeug. Was die Zeitungen über seine Reden bringen, klingt viel zu günstig. Wenn er redet, verschwinden die Säße, die allenfalls etwas sagen, in einem trüben Wust von Phrasen. Darum wird auch das deutsche Panama, wie man es genannt hat, sehr glimpflich enden. Die Dokumente, die ihm zugänglich sind, sind nicht in der rechten Hand, die aus ihnen was machen könnte. Die Geschichten sind obendrein alt; man kennt sie von Otto Glagau, Rudolf Meyer, von der Reichsglocke her. Aber es scheint, daß er durch den Besiz der Akten

« AnteriorContinuar »