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manches beweisen kann, was jene nur behaupteten. Er spricht zum Beispiel von dem Briefe irgend eines Präsidenten aus Rumänien an Miquel, den leßterer zerrissen und in den Papierkorb geworfen hat, wo die Stücke dann von einem Diener gesammelt und zusammengeklebt wurden. Darin soll nun dieser Präsident den Empfang einer Summe bestätigen, die Ahl= wardt als Bestechung ansieht. Weiter handelt es sich um die Hannover-Altenbecker Bahn, bei der die Kurse künstlich vor der Verstaatlichung getrieben wurden. Für alles das will er allerhand Dokumente haben. Ob er sie zu verwenden weiß, ist eine andere Frage. Er verzettelt alles. Was er bisher vorbrachte, vermochte er durch nichts zu beweisen. Aber unter seinen Leuten wirken solche Behauptungen deswegen doch. Man glaubt, daß doch etwas daran ist. Uns kann es nur recht sein, wenn sich die herrschenden Klassen unter einander bekriegen und alles Vertrauen wankt und der Ekel vor dieser Ordnung der Gesellschaft wächst. Wir sehen ruhig zu und warten.“

4.

Theodor Mommsen.

In Charlottenburg draußen, hinter hellen Gärten versteckt. Da träumt die Marchstraße still vor sich; kaum daß es einmal leise aus den Glocken der Pferdebahn von drüben her verklingt. Da ist sein nachdenkliches enges Häuschen, das sich scheu von den anderen weg ein wenig seitwärts drückt.

Ich werde in einen kleinen Salon geführt. Schwere, ernste, dunkle Möbel; milde, tiefe Farben; nirgends Tand. Eine feierliche Freude kommt entgegen - wie wenn man in die Galerie des Grafen Schack tritt. Eine schöne volle Kopie nach Tizian und rings in Stichen die edelsten Wunder der Italiener, vom Hageren Adel der Prärafaeliten aufwärts, und die klugen, wunderlichen, herb verführerischen Frauen des Leonardo und die reife Gnade der Tizianschen Bella. So wandelt Schön

heit hier vom ersten Wunsch zur reichlichsten Erfüllung.

Das Alter beugt ihn, und wie er sich mühsam schleppt, ein bischen unbeholfen und steif, von einer gezierten Höflichkeit, die aus der Mode ist, mit einer verlegenen und ratlosen Güte in den zaudernden Gesten, das giebt ein unsäglich rührendes Bild. Der schlaffe Leib ist in einen tiefen, schwarzen Rock, der sich mit weiten Falten bauscht, und das morsche Haupt in den hellen Schein versunken, den der lichte Kranz der weißen Locken giebt. Ein Schädel, der an Voltaire gemahnt, mit der langen, scharfen, spigen Nase, den erloschenen und verblichenen Wangen wie in Bronze, und den dürren, fahlen, ohne Rast veränderlichen Lippen, die auf hämischen Spott zu lauern scheinen. So könnte das verdorrte, schiefe, runzelige, gravitätische und zerzauste Männchen wohl an so einen Professor der Fliegenden Blätter von der Laune Oberländers erinnern, und man möchte lächeln. Aber wenn er dann den Kopf hebt und dem Gaste seinen Blick giebt, da ist in den blauen Augen hinter der schmalen goldenen Brille ein solcher Zauber von Macht und Güte, daß man sich neigen muß.

Er setzt sich und verharrt, wie er spricht, unbeweglich und starr. Nur die langen, schmalen und verschrumpften Finger rasten nicht, indem er die Hand bald an die Stirne preßt, bald über die langen Strähne streift, bald unter das morsche Kinn schiebt

und immer in zitterigen Griffen über seinen stillen Körper irren läßt, der sich nicht regt. Er spricht ganz leise, zischelt ein wenig und hat eine seltsame Art, gern die Lippen zu schnalzen und mit der Zunge über sie zu wischen, wenn wieder ein paar Worte gesagt sind.

Ich bringe meinen Wunsch vor, und warum wir gerade auf sein Wort sehr vertrauen, daß es wirken und helfen und reinigen wird. Er lächelt traurig. „Sie täuschen sich, wenn Sie glauben, daß ich da was richten kann. Sie täuschen sich, wenn Sie glauben, daß man da überhaupt mit Vernunft etwas machen kann. Ich habe das früher auch ge= meint und immer und immer wieder gegen die ungeheure Schmach protestiert, welche Antisemitismus heißt. Aber es nüßt nichts. Es ist alles umsonst. Was ich Ihnen sagen könnte, was man überhaupt in dieser Sache sagen kann, das sind doch immer nur Gründe, logische und sittliche Argumente. Darauf hört doch kein Antisemit. Die hören nur auf den eigenen Haß und den eigenen Neid, auf die schändlichsten Instinkte. Alles andere ist ihnen gleich. Gegen Vernunft, Recht und Sitte sind sie taub. Man kann nicht auf sie wirken. Was soll man auch einem sagen, der dem „Rektor aller Deutschen" folgt? Der ist nicht mehr zu retten. Gegen den Pöbel giebt es keinen Schuß - ob es nun der Pöbel auf der Straße oder der Pöbel im Salon ist, das macht keinen Unterschied: Canaille bleibt

Canaille, und der Antisemitismus ist die Gesinnung der Canaille. Er ist wie eine schauerliche Epidemie, wie die Cholera man fann ihn weder erklären noch heilen. Man muß geduldig warten, bis sich das Gift von selber austobt und seine Kraft verliert. Und das kann doch jezt nicht mehr so fern sein. Endlich muß sich die Pest ja doch einmal erschöpfen, und über Ahlwardt hinaus, noch weiter kann sie doch nicht mehr steigen. Vielleicht kommt jezt langsam die Wendung zur allmählichen Besserung, Befreiung und Gesundung. Vielleicht verschwindet der Wahn, der so viele Gemüter bethört und unsere ganze Kultur um hundert Jahre zurückgeworfen hat. Aber alle Gründe und die besten Argumente helfen da nichts. Wer Gründen und Argumenten zugänglich ist, der kann ja überhaupt gar kein Antisemit sein. Wer aber nur seinem wilden Hasse gegen Bildung, Freiheit und Menschlichkeit folgt, den werden Beweise nicht bekehren. Der Antisemitismus ist nicht zu widerlegen, wie keine Krankheit zu widerlegen ist. Man muß ge= duldig warten, bis die im Grunde doch gesunde Natur des Volkes sich von selber aufrafft und den faulen Stoff aus sich wirft. Freilich kann man die Gesundung vielleicht beschleunigen und fördern, wenn man ihr die Unterstüßung moralischer Kräfte gewährt. Und da habe ich lange schon einen Gedanken, der mir wirksamer als Ihre Enquête erscheint. Was soll man Ihnen neues gegen den

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