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wirklich eine sehr schmutzige und häßliche und gewiß feine normale und gesunde Erscheinung. Aber er ist nun eben einmal da es fragt sich nur: wie friegen wir ihn wieder weg? Ist es vernünftig, wenn die Cholera herrscht, sich auf den Markt zu stellen, gegen die Krankheit als eine Schande der Menschheit zu predigen und entrüstet zu verkündigen: Schmach und Schimpf über jeden, der die Cholera hat? Glauben Sie, daß das die Cholera besonders genieren wird? Glauben Sie, daß moralisches Pathos helfen und heilen kann? Mit Klagen und Jeremiaden ist nichts gethan, sondern man muß fragen: Was ist schuld, woher kommt die Krankheit, wie kann man sie zwingen und ein anderes Mal verhüten? Man muß die Lehren der Krankheit hören und für gutes Wasser, reinliche Straßen sorgen und die schmuzigen Wohnungen sperren. So sage ich: man muß die Lehren des Antisemitismus hören und, um ihn zu vertreiben und uns fünftig vor ihm zu bewahren, für reinliche Wirtschaft und ehrbare Sitten sorgen.“ „Sie sind also eigentlich Antisemit zur Ab

wehr des Antisemitismus?"

„Ich bin gar kein Antisemit, sondern .

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Aber Sie gelten doch überall dafür.“

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Weil ich gegen den Zwischenhändlergeist, gegen den Börsenpöbel, gegen den fauligen Egoismus der Bourgeoisie bin! Kann ich dafür, daß man da gleich Antisemit heißt? Kann ich dafür, wenn sich das Judentum für solidarisch mit den Wolffs, Leipzigern

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und Sommerfelds erklärt? Kann ich dafür, daß man gegen den merkantilen Geist nichts sagen darf, ohne gleich unter die Ahlwardts zu zählen? Man schlägt auf das Kapital und der Jude fühlt sich getroffen! Da ist es denn freilich kein Wunder, wenn in der Meinung des Volkes am Ende Kapital und Jude gar nicht mehr zu trennen sind und ganz vergessen wird, daß gerade bei den besten Söhnen Sems, bei Acosta und Spinoza, Börne und Heine, Lassalle und Mary, der „Widerwille gegen HandelsLeute und Juden als solche", wie Börne einmal gesagt hat, zur heftigsten Leidenschaft entbrannte. Die Juden selber machen heute den Antisemitismus, indem sie thöricht genug sind, dem kapitalistischen Schwindel als Schild zu dienen, der alle Hiebe fängt. Wenn sie selber sagen: „wer gegen die Ausbeutung und gegen den Zwischenhandel ist, der ist gegen die Juden," dann kann man den Leuten den Schluß nicht verdenken: Gut, wenn Kapital und Jude so das Gleiche ist, dann sind wir eben auch gegen die Juden" Und die Tausende von braven, rechtschaffenen, und oft peinlich sauberen Juden, die selber, wie der gute und reinliche Lasker einst, die Banditenstreiche der verlumpten Plutussöhne ent= rüstet verdammen, müssen unschuldig dann die Zeche bezahlen! Aber warum stehen sie nicht auf und protestieren nicht gegen diese Vermischung von Börsenschwindel und Judentum? Was hat die Börse und der Wucher mit Religion und Rasse zu schaffen?

Der klerikale Bontour war nicht viel besser als unsere Friedländer und Sommerfeld, und ich wiederhole gern das kluge Wort, das in L'argent die sittlich ferngesunde Heldin sagt: „Pour moi, les juifs, ce sont des hommes comme les autres. S'ils sont à part, c'est qu'on les y a mis." Ich wiederhole es gegen die Antisemiten und gegen die Juden gegen die Antisemiten, wenn, weil ein Jude gestohlen hat, das Judentum verbrannt werden soll; gegen die Juden, wenn, weil ein Jude gestohlen hat, der Diebstahl geheiligt werden soll. Wir wollen, ob Jude oder Christ, gegen die korrumpierende Allmacht des Kapitalismus und das Dogma von Manchester für gesündere, reinlichere, rechtschaffene Zustände kämpfen

dann wird sich schon auch zwischen Juden und Deutschen der eheliche Friede geben, der bei uns ein bischen schwieriger noch als anderwärts ist, weil hier homöopathisch sich die Ähnlichkeiten fanden: der Jude und der Deutsche gleichen sich zu sehr."

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s melden sich allerhand Zeichen, als ob die Menschheit wieder religiös werden wollte. Vielleicht ist es nur eine rasche Mode, wie damals der hastige Stoß der Romantiker gegen die Aufklärung; vielleicht mag es dauern. Sekten bilden sich wie die Heilsarmee; der Ruf des Tolstoi zum Glauben findet Jünger; die theosophische Bewegung wächst; die Spiritisten mehren ihre Gemeinden; in Frankreich kommt ein neuer Katholizismus und die Deutschen erneuern den Protestantismus. Der Jugend genügen die billigen Phrasen der naturwissenschaftlichen Rationalisten nicht mehr, und sie spottet auf Büchner und Vogt. Gegen den Materialismus" heißt eine Gesellschaft in München, und in Berlin ist eine Ethische Gesellschaft". Nach Gefühlen drängen sie und wollen Ethos. Man wendet sich vom kalten Verstande. Man möchte wieder eine große Pflicht.

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Man kehrt vom einzelnen zum ganzen und will sich vergessen, um den anderen zu dienen - oder vielleicht auch den anderen dienen, um sich zu vergessen. Es ist wahrscheinlich nur eine Mode; aber es könnte wohl auch der große Wechsel im Geiste sein, der Abschied von diesem Jahrhundert und die erste Verfündigung des neuen.

Aber es sind in dieser religiösen Neigung, die wächst, deutlich zwei Triebe, die sich nicht gleichen, ja entgegnen. Die einen, die katholisch schwärmen, begehren den Glauben wie Choral, als eine freundliche Betäubung, die seltene Träume geben soll, der schalen Wirklichkeit des kläglichen Lebens entrückend und aus vergessenen heißen Lithurgien wunderliche, tiefe, fremde Reize holend. Die anderen, welche vielmehr eine fittliche Hilfe begehren, die Gruppe des russischen Romanes und, in Deutschland, des Oberstlieutenants v. Egidy, wollen gerade das Ende der irren Spiele auf den Nerven und aus verläßlich führenden Normen die ruhige Kraft zu einer thätigen Verklärung und Erheiterung des Lebens. Jene möchten im

Glauben vergessen, sich berauschen und ersticken. Diese möchten durch ihn zur Übung erkannter Pflichten erwachen und dem Leben einen Sinn erwerben, der von guten Werken geheiligt werde.

Herr von Egidy gilt wie ein Erzieher und Lehrer des Volkes, und viele drängen zu ihm, seine Worte zu hören und seinen Rat zu holen, und befennen sich zu seinen Gesezen. Er hat zuerst in seinen „Ernsten

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