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finde, das jeden Zweifel vermeidet. Ich will durch strenge Sorge die Gewißheit gewinnen, daß ich jedes einzelne Wort zu jeder Zeit verantworten kann. Das kann aber nur mit der Feder in der Hand ge= schehen, die immer wieder streicht und immer wieder zögert. Im Sprechen läuft leicht ein Wort mit, das unbedacht den Sinn entstellt."

So hat er selber den Meinungen, die er mir sagte, die Formel gegeben, die er für gerecht und wirksam hält:

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So lange der Antisemitismus an seinem Namen und damit an der für uns Deutsche so kläglichen Anschauung festhält, daß eine halbe Million andersrassige Menschen uns fünfzig Millionen Stammvolk vergewaltigt haben sollen, so lange wird der gesunde, kraftbewußte und gerechte Mann in der ganzen Bewegung nur den Ausdruck einer unchristlichen Gesinnung erblicken, welche die eigene Schuld an unseren beklagenswerten Zuständen einer wehrlosen Minderzahl aufbürden will.

Erst von dem Augenblicke ab, wo der unreine Ton Antisemitismus sich auflöst in dem ernsten Accord „antimalum", erst von dem Augenblicke ab also, wo wir das übel, das Unrecht, das Unwahre, die Ungerechtigkeit, das Unlautere, das Unheilige — mit einem Wort: das Jesusfremde bekämpfen, wo und an wem immer wir es entdecken, ohne Rücksicht auf Raffe oder Glauben, aber auch ohne Lieblosigkeit gegen den Übelthäter selbst, der ja immer nur das

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Augenblicke ab werden alle rechtschaffenen Menschen kraftvoll in den Schlachtruf einstimmen: gegen das Übel!

Die Vernichtung des übels bedeutet den Sieg des Guten. Christliche Vernünftigkeit wird unsere Zustände beherrschen; vernünftige Religiosität wird die Menschen lehren, sich in einem einzigen Heiligungsbedürfnis zu einen. Der Konfessionalismus ist überwunden. Nichts hindert fortan die Menschen, die sich heute noch Juden nennen, sich mit den Wirtsvölkern, deren Land sie seit Jahrhunderten bewohnen, religiös — und nun auch rafselich zu verschmelzen. Das Judentum geht auf in den Kulturnationen und erfüllt damit seine Bestimmung für die Entwicklung des Menschengeschlechts."

Berlin, 31. März 1893.

M. v. Egidy."

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Ich wohne im „Bären“, wo einst Luther ge

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haust und voriges Jahr Bismarck das Vermächtnis an die Deutschen gesprochen hat: „Es ist ein gefährliches Experiment, heutzutage im Zentrum von Europa absolutistischen Velleitäten zuzustreben Was wir für die Zukunft erstreben müssen, ist eine Kräftigung der politischen Überzeugung in der öffentlichen Meinung und im Parlament." Jezt ist es, wo damals Begeisterung jauchzte, ganz einsam, still und lauschig. Draußen winken winzige Blüten, während ich mich an dem hellen, fühlen, sanften Pisporter behaglich von der Reise erquicke, und eine braune Büste glänzt von der grauen Mauer, und ich zerbreche mir den Kopf, ob der Bronzierte einer der großen Studenten oder ein Lehrer oder welcher Dichter es sein mag. Es ist aber Herr Friedrich Gottlob Schulze, der „Gründer der landwirtschaft

lichen Lehranstalten in Jena". So kann man immer noch wieder was lernen.

Ich verlange einen Wagen. Aber „s'giebt heute keine Droschken mehr; die Studenten sind über Land gefahren." So schlendere ich langsam durch die Stadt nach der Bergstraße draußen am Ende, wo sein Haus steht.

Ich möchte einmal mit Maurice Barrès, dem flugen Virtuosen der „Enthusiasmen“, da gehen, in Plaudern und Schauen durch diese engen, kahlen, nüchternen Gassen, wo kaum an den trockenen und verschlafenen Häusern einmal ein paar Winkel, Schnörkel, Spizen sich regen und die dürftige Gotif selbst der fahlen Kirche nicht wirkt. Da wurde, als harte Not das Vaterland schlug, der heilige Eifer der Burschenschaft geboren. Welche Menschen, die ohne Reiz und Hilfe von außen die mächtigsten Gefühle aus sich selber erschufen! Welche Helden! Welche Künstler! Sie hatten nichts von unseren Apparaten der Gesinnung.

Ich weiß nicht, ob die Studenten von heute hier ihnen gleichen. Die wenigen, die nicht über Land gefahren sind, sehen mir nicht danach aus. Sie sind geschniegelt und wunderlich geleckt, mit der gravitätischen Politesse des wackeren Famulus Wagner, der ja doch heute auch lieber Regierungsreferendar würde, und gleich an dem peinlichen Scheitel, der schimmert, am gleißenden Shlipse kann man es merken, daß sie „ein Feind von allem Rohen“ sind.

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Rechte Enkel der Burschenschaft sind vielleicht nur noch unter den Profefforen. Ernst Häckel ist einer an Schwung, Mut und Treue zur Freiheit. Man denke nur, wie zornig und verwegen er das lezte Jahr, als der Minister von Zedliz-Trütschler die Volksschule der wissenschaftlichen Pädagogik zu entziehen und mit gebundenen Händen der papistischen Hierarchie zu überliefern“ versuchte, gegen die „Weltanschauung des neuen Kurses"*) trat, der sich doch gegen jede Einrede immer gleich mit gendarmischen Argumenten: mit Prozessen ob beleidigter Majestät drohend verwahrte.

Junge Birken schimmern um das stille Haus, das schlicht und edel, wie man im Geiste des Schinkel baut, auf einem Hügel ragt. Der Gärtner schafft in den Beeten. Eine feierliche gute Ruhe ist rings. Er liegt vor einem großen Tische mit Büchern und Schriften, Kataloge, seine „Schöpfungsgeschichte“ und meine Interviews der Deutschen Zeitung verträglich beisammen auf einem langen schwarzen Sofa. Er hat sich auf der Reise, aus Italien heim, den Fuß verstaucht, und es schmerzt, wie er sich regt. Das Zimmer ist breit und weit und frei, man fühlt sich wie in einem hellen Walde, wo die sauberen Stämme nicht drängen; weiße Blüten rühren ans Fenster.

* Siehe den berühmt gewordenen Aufsaß im März-Hefte der freien Bühne von 1892.

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