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10.

Adolf Wagner.

Ich habe einmal in seinem Seminar gearbeitet, zwei Jahre lang. Daher kenne ich ihn. Und ich achte und verehre ihn sehr.

Das ist ja nun, vom Schüler zum Lehrer, gerade kein Wunder. Aber wunderlich ist, was allen mit ihm passiert. Wer ohne Verkehr ihn nur vom Katheder, von der Tribüne kennt, mag ihn nicht, auch wenn er seiner Gesinnung und seiner Partei ist. Wer sich ihm nähert, schwärmt für ihn, auch wenn er seine Meinungen nicht teilen will. Er befremdet aus der Ferne. Er verführt in der Nähe. Er gehört zu den Menschen, die man daheim sehen muß, um sie zu verstehen. Draußen, wie er sich vor der Menge giebt, scheint er ein unerfreuliches Rätsel. In seiner Stube, zwischen seinen Büchern, wenn er mit diesen jähen, scharfen, spigen Gesten in rapiden,

schmalen, schwirrenden Säßen disputiert, erklärt er sich leicht, und man liebt ihn, weil man seinen blinden, naiv ergebenen Gehorsam gegen alle Stimmungen erkennt. Dieser Mensch ist ganz nur Temperament. Das momentane Gefühl bestimmt ihn. Er verträgt keinen Zügel von Vernunft, Rücksicht und Bedenken und geht mit der letzten Empfindung durch, bis er plöglich wieder von einer anderen, neueren, stärkeren gefaßt und anderwärts getrieben wird. Der Fremde, der davon immer bloß die Resultate sieht, kann es sich nicht deuten und wird verdrießlich. Der Freund, der selber dabei ist, wie das Temperament kocht, siedet und verdampft, muß den moralischen Impressionisten bewundern.

Er ist ein moralischer Impressionist, der jedem momentanen Drange gehorcht und immer mit allen Kräften und Trieben seine ganze Natur in den Dienst der lezten Empfindungen stellt. Aber diese wird jedesmal von seiner reizbaren, unduldsamen und herrischen Rechtlichkeit bestimmt, die nicht paktiert. Er sieht an jeder Reihe bloß den einen Punkt, der etwa heikel ist und einen Wehrlosen kränkt, und gegen ihn seht er sich ein. Er ist immer gegen die Menge, gegen die „kompakte Majorität", gegen die Meinung, die herrscht, und er ist immer für das Verkannte, das ungerecht gedrückt wird. So hat er, als es in seiner Zunft noch selbstverständlich war, auf die klassische Ökonomie zu schwören und die Forderungen der Arbeiter zu verhöhnen, sich zu

einem radikalen Sozialismus verstiegen und wurde dann, als die sozialistische Mode unter die Professoren kam, ein kritischer und bedenklicher Warner. Er ist der geborene Verteidiger der Schwäche und der geborene Streiter gegen die Macht.

Er ist das vielleicht weniger aus Gerechtigkeit als aus der Lust am Streite. Die führt ihn und verführt ihn. Er hat einen kriegerischen Zug, der die Reize der Fehde nicht entbehren will. Die Sache selber gilt gering, und es ist ihm nicht um den Sieg. Er liebt das Metier des Kampfes. Er lebt erst, wenn er streitet. Er fühlt sich erst, wenn er sich mit den Feinden messen darf. Er braucht den Taumel und Aufruhr von Widersprüchen. Er ist ein rechter Landsknecht im Geiste.

Es war in seinem Seminar oft sehr lustig. Die folgsamen Schüler, die des Meisters Lehre blind verehrten, mochte er nicht. Er hörte ungeduldig, wehte auf dem Sessel, schnalzte mit der Zunge, und man sah, wie es ihn trieb, einen Widerspruch zu suchen. Aber an den Querköpfen, die sich auf ihre Schrullen versteiften und durchaus nicht bekehren wollten, hatte er seine Lust. Und wenn da ein Verschmitter gar mit List die Lehre, die eben vorgetragen und verkündet war, mit Eifer pries und vor Begeisterung ein bischen karifierte, fonnten wir es bisweilen erleben, daß der Meister das eigene Dogma gereizt verließ und mit den feindlichsten Beweisen gegen seine Thesen stritt.

Er gleicht ein bischen dem Clémenceau in der Hast der Gesten und der Beweglichkeit der Miene. Jede Geberde, jedes Wort hat Kanten und er wirft die Säße wie Pfeile. Er tritt zur Rede wie zum Boren an und lauert, wenn man etwas sagt, bis er die Blöße merkt. Er will einen reizen. Vieles ist nur Finte, damit man sich wende und die Sicherheit verliere.

Ich will ihm sagen, was mich heute zu ihm führt. Aber er schilt gleich heftig. „So!? Natürlich! Sie brauchen mich - da sieht man Sie wieder einmal. Sonst haben Sie sich die ganze Zeit nicht um mich gekümmert! Wie lange ist es her?"

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Und inzwischen waren Sie doch wieder in Berlin wie Sie die gräßlichen Stücke geschrieben haben, bei der Freien Bühne, oder wie das heißt. Schreiben Sie noch immer so gräßliche Stücke?"

"Ja. Unentwegt. Neulich erst wieder eins in Wien. Das war noch gräßlicher.“

„Das kann schön gewesen sein! Und glauben Sie denn damit wirklich Goethe und Schiller zu überwinden?"

„Nein, vorderhand noch nicht. Aber eigentlich wollte ich Sie weniger über den Naturalismus als über den Antisemitismus interviewen."

„Was? Was wollen Sie?"

"

„Ganz sanft ein bisserl interviewen . . . über den ..."

„Das ist gar die abscheulichste Mode, die wir jezt den Amerikanern nachäffen . . .“

„Ich äffe sie nicht den Amerikanern, sondern den Franzosen nach."

-

„Das ist noch ärger! Ja das hat man mir auch erzählt, daß Sie jezt für die Franzosen schwärmen!"

„Sie sind mir lieber als die Preußen.

"

Und warum denn? Dieses Volk von Schwäßern, Narren und Hanswursten, das nur von Phrasen lebt und keine ehrliche Arbeit vermag. .! Wie kann man denn jezt, nach den lezten Prozessen, bei dieser schauerlichen Verkommenheit. . ."

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Ah, von wegen dem bischen Korruption? Das haben Sie doch jezt hier gerade so! Das deutsche Panama scheint . . .'

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„Deutsches Panama! Das ist eine solche übertreibung, von einem deutschen Panama zu sprechen es giebt aber auch nicht die Spur, nicht den leisesten Schein für einen solchen Vergleich. Daran erkenne ich so recht Ihre Art!"

von

„Der Ausdruck ist doch nicht von mir. Der Ausdruck ist von Hertwig und Ahlwardt Ihrer Partei . . .“

„Erstens gehöre ich jetzt überhaupt zu keiner Partei ich kümmere mich nicht mehr um Politik

ich habe es satt. Ich will jezt nur noch meiner Wissenschaft leben. Ich wehre mich gegen jede Versuchung, wieder in den politischen Zank gezerrt zu

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