Imágenes de páginas
PDF
EPUB
[blocks in formation]

Es sind kaum zwanzig Jahre her, seit die ersten schüchternen Anfänge der Lehre von Myxoedem auftauchten, und nun stehen wir bereits am Abschlusse eines der interessantesten und lehrreichsten Kapitel der modernen Medizin. Es ist meine Absicht, Ihnen heute Abend einen Fall von Myxoedem zu berichten. Aber vorher jedoch erlauben Sie mir, das Werden und Entstehen unserer Lehre in kurzen Zügen zu schildern.

1874 hatte WILLIAM GULL) zwei Krankheitsfälle beschrieben, die sich durch ein eigenthümliches Oedem und ein kretinoides Aussehen auszeichneten. Er hatte noch drei ähnliche Fälle gesehen, von denen er aber keine ausführlichen Notizen zu geben im Stande war. GULL war überzeugt, dass hier eine definitive, selbstständige Krankheitsform vorlag, enthielt sich aber jeder weiteren Erklärung, erwartete jedoch, dass sein Bericht weitere Mittheilungen veranlassen würde. Die erste entsprechende Mittheilung erfolgte aber erst vier Jahre später, sie kam von ORD.2) Auch ORD hatte mehrere Fälle beobachtet, einer darunter kam zur Autopsie, die mit Sorgfalt gemacht und ausführlich

* Vortrag, gehalten am 5. März 1894 in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft der Stadt New York.

1) WILLIAM GULL, Transactions of the Clinical Society of London, 1874, P. 180.

2) ORD, Transactions of the Medico-Chirurgical Society of London 1878. Vol. 43.

beschrieben worden ist. Der Hauptbefund war die eigenthümlichen Veränderungen in der Haut und in der Schilddrüse, die Veränderungen in den anderen Organen waren schon damals als sekundäre Vorgänge erkannt worden. Den atrophischen Zustand der Schilddrüse hatte ORD damals noch nicht als Ursache der Erkrankung, sondern nur als ein dem Befunde in der Haut koordinirtes Symptom angesehen. Die Veränderung in der Haut hatte ORD auch für die nervösen Erscheinungen während des Lebens verantwortlich gemacht; die verminderte Perception, dachte er sich, bringt mit sich eine verminderte Erregung der Centralorgane und ist Schuld an der beobachteten Apathie. ORD hat der Anwesenheit von Mucin in der Haut seiner Kranken eine wesentliche Bedeutung beigelegt, daher auch der Name Myxoedem, der eben von ORD herrührt.

Bald nach Erscheinen des ORD'schen Artikels fingen an die Berichte über Beobachtung von ähnlichen Fällen sich zu mehren, und neben England war es vornehmlich Frankreich von wo zahlreiche Fälle mitgetheilt worden sind. CHARCOT1) hatte berichtet, dass er diese Formen von Oedem bereits seit 15 Jahren beobachtet und sie mit dem Namen Cachexie pachydermique belegt hatte.

CHARCOT war auch der erste, welcher den Symptomencomplex auch bei einem Manne beobachtet hatte, während die Beobachtungen von GULL und ORD nur das weibliche Geschlecht betrafen und woraus die Annahme resultirte, dass die Krankheit nur beim weiblichen Geschlechte vorkomme. Dann hat MORVAN2) allein ungefähr ein Dutzend Fälle berichtet, die er in der Bretagne beobachtet hatte. Freilich waren wohl nicht alle Fälle wirklich Myxoedem, die von manchen Autoren dafür angesehen worden sind. Ein amüsantes Vorkommniss ist die Prioritäts-Reklamation von HENROT3), der schon 1871 einen Fall von Myxoedem publizirt haben wollte. Liest man aber die Notizen über diesen Fall, so findet man, dass die Haut da gar keine oedematöse Schwellung besass, dafür aber waren die Knochen des Gesichtes und der Hände bedeutend vergrössert. HENROT hatte offenbar vor sich kein Myxoedem, sondern jene Erkrankungsform gehabt, die sein Landsmann MARIE') einige Jahre später, 1886, mit dem Namen Acromegalie belegt hat. Bis 1883 war die ganze Frage so weit ge. diehen, dass alle Autoren nunmehr darüber so ziemlich einig waren, dass Myxoedem eine besondere Krankheitsform bildet, dass ferner die Atrophie oder fibröse Degeneration der Schilddrüse die wesentliche Ursache der Erkrankung abgiebt und dass endlich die nervösen und psychischen Symptome centraler und nicht peripherer Natur sind. Zur Erlangung dieser letzten Erkenntniss trugen nicht zum wenigsten

1) CHARCOT, Gaz. des Hôpit, 1881, No. 10; BALLET, Progr. Med., 1880, No. 30; OLIER, Progr. Med., 1880, No. 35. (Unter CHARCOT's Leitung.)

2) MORVAN, Gaz. des Hôpit, 1881, No. 110. 3) HENROT, Gaz. des Hôpit, 1883, No. 23. 4) MARIE, Revue de Med., 1886, p. 207.

auch unsere engeren Landsleute bei, wie HAMMOND'), HAMILTON2) u. a. m. Ich will hier einschaltend erwähnen, dass die Betheiligung amerikanischer Schriftsteller an der Ausbildung unserer Lehre sich ausschliesslich auf die klinisch-anatomische Richtung beschränkt. Auch war und ist die Zahl der von hier aus berichteten Fälle nicht gerade gross. Dafür sind die ersten gediegenen, kritischen Zusammenfassungen aller berichteten Fälle zuerst von diesem Lande ausgegangen. Ich verweise in dieser Beziehung auf die werthvolle Arbeit von A. BRAYTON BALL im Medical Record, 1886, und namentlich aber auf die ausgezeichnete Arbeit von HUN & PRUDDEN im American Journal of Medical Science, 1888.

Deutschland hat zum klinischen Ausbau der Lehre von Myxoedem sehr wenig beigetragen. Es ist erwähnenswerth, dass der Referent für Dermatologie in den VIRCHOW-HIRSCH'schen Jahresberichten bis zum Jahre 1881 die Krankheit sogar als Myxoderma bezeichnet hatte. Der erste Fall aus Deutschland wurde von RIESS 3) Ende des Jahres 1886 berichtet. Einige Wochen später hatte VIRCHOW,4) von England zurückgekehrt, einen Weckruf erlassen, auf Myxoedem zu fahnden, das VIRCHOW nunmehr durch eigene Anschauung als selbstständige Krankheit erkannt hatte. Die Berichte mehrten sich für eine kurze Zeit. Von manchen Fällen könnte man im Zweifel sein, ob es sich wirklich um Myxoedem handelte. Die Zahl der Fälle, welche bis jetzt von Deutschland aus berichtet worden sind, dürfte kaum ein Dutzend übersteigen. Die Gelehrten des Landes können eben nichts dafür, dass das Land keine Myxoedem-Erkrankungen produzirt. Dafür finden wir, wie wir bald sehen werden, den deutschen Geist in einem anderen Theile unserer Lehre in befruchtender Weise sich betheiligen.

Im April 1883 machte KOCHER3) auf dem Chirurgischen Kongress die Epoche machende Mittheilung, dass nach totaler Exstirpation der strumösen Thyreoidea eine eigenthümliche Cachexie sich entwickelt, die mit Oedem und nervöser Apathie einhergeht. KOCHER nahm an, dass der Wegfall der Struma diese eigenthümliche Erkrankung verursache, aber nur in dem Sinne, dass durch die Totalexstirpation der Drüse gleichzeitig die Trachea ihrer Gefässe beraubt und in ihrer Ernährung und Entwickelung verkümmert wird, wodurch eine Art chronische Asphyxie zu Stande komme, die dann ihrerseits die eigenthümliche Cachexie verursache. KOCHER hatte ferner gefunden, dass die totale Exstirpation der Struma im jugendlichen Alter auch noch einen Stillstand im Wachsthum der Operirten hervorbringt, die dann einen cretinartigen Charakter annehmen. Den eigenthümlichen Zustand nach der Strumaectomie benannte KOCHER: Cachexia Strumipriva.

1) HAMMOND, Neurolog. Contributions I, 1881.
2) HAMILTON, Med. Record, 1882, p. 645.

3) RIESS, Berl. Klin. Wochenschrift, 1886, No. 51.
4) VIRCHOW, Berl. Klin. Wochenschrift, 1887, No. 8.

5) KOCHER, Archiv für klin. Chirurgie, Bd. 29.

Aehnliche Beobachtungen haben die REVERDINS1) bereits 1882, also noch vor KOCHER, mitgetheilt, und im Juni 1883 hat JAQUES L. REVERDIN2) die Ansicht klar ausgesprochen, dass der Symptomencomplex, den man nach der totalen Exstirpation des Kropfes beobachtet, mit dem Myxoedem völlig identisch ist, für deren Zustandekommen in beiden Fällen der Wegfall der Funktion der Schilddrüse verantwortlich sei. REVERDIN benannte daher die Cachexie nach der Entkropfung: Operatives Myxoedem. Ohne die Arbeiten REVERDIN'S ZU kennen, hatte FELIX SEMON in London im Herbst 1883 die Mittheilung KOCHER's zur Kenntniss der dortigen Clinical Society, der Wiege der Myxoedemlehre, gebracht, wobei SEMON gleichfalls den Standpunkt vertrat, dass dem sporadischen Cretinismus, dem Myxoedem und der Cachexia Strumipriva eine und dieselbe Ursache zu Grunde liegt, nämlich der Fortfall der Funktion der Schilddrüse. Dabei will ich bemerken, dass HILTON FAGGE noch lange vor der Myxoedem-Zeit bereits die Vermuthung ausgesprochen hatte, dass die Atrophie der Schilddrüse die Ursache des sporadischen Cretinismus sein könnte. Der Gegenstand hat in der Clinical Society bedeutendes Aufsehen erregt und auf SEMON'S Betreiben wurde eine Kommission ernannt, die, aus bedeutenden Männern zusammengesetzt und mit ORD als Vorsitzender, den Gegenstand gründlich studiren und darüber berichten soll. Die Kommission hat ihren Bericht im Jahre 1889 veröffentlicht, worüber später mehr.

Die Angaben KOCHER'S haben zunächst keine ungetheilte Zustimmung gefunden. Schon gleich in der Diskussion war von A. BARDELEBEN und MAAS 1) den Angaben Kochers widersprochen worden. Es wurde u. A. die Meinung geltend gemacht, dass in den Fällen, wo Cachexie oder Cretinismus nach Entkropfung wirklich auftrete, dieses wohl auch ohne die Operation gekommen wäre, da, nach BIRCHER'S$) Anschauungen, der endemische Kropf nur eine milde Form des endemischen Cretinismus darstellt und der eine Zustand in den andern übergehen könne. Die Entkropfung an sich habe demnach mit der folgenden Cachexie gar nichts zu thun. In den darauffolgenden Jahren hat BARDELEBEN mehrere Fälle von totaler Strumaexstirpation veröffentlicht oder durch W. CLASSEN ) u. A. veröffentlichen lassen, bei denen keine Cachexie aufgetreten wäre. Ich will bereits hier erwähnen, dass BARDELEBEN's Dissertation, 1841, sich damit befasst, durch Versuche an Hunden nachzuweisen, dass die Milz und die Schilddrüse keine Funktionen haben und ohne jeden Nachtheil für's Leben ent

1) Am 13. September 1882 in der Sitzung der med. Gesellschaft von Genf. 2) Revue Médicale de la Suisse romande, 1883.

3) A. v. BARDELEBEN, Verhandl. der deutschen Gesell. für Chirurgie, 1883. 4) MAAS. Ibid., auch J. ROTTER, Arch. für klin. Chirurgie, Bd. XXXI.

5) BIRCHER. Der endemische Kropf und seine Beziehung zur Taubstummheit und zum Cretinismus. Basel, 1883.

6) W. CLASSEN. Zur Casuistik der Kropfexstirpation, Diss., Berlin, 1885. Auch A. KÖHLER an mehreren Orten.

fernt werden können. - Ausser BARDELEBEN haben noch andere namhafte Chirurgen Fälle von totaler Strumaectomie publizirt, bei denen keine konsekutive Cachexie beobachtet werden konnte. Aber auch diejenigen Chirurgen, welche die Thatsache des Vorkommens der Cachexia Strumipriva in den von ihnen ausgeführten Totalexstirpationen selbst konstatirt haben, waren im allgemeinen doch abgeneigt, dies dem Fortfall der Drüsenfunktion zuzuschreiben; es zeigte sich überall die Neigung vorwaltend, die Cachexie eher der durch die Operation verursachte Reizung von Sympathicus oder anderen Nerven in die Schuhe zu schieben. Paul BRUNS') hingegen trat mit Endschiedenheit dafür ein, dass die Entfernung der Schilddrüse die Ausschaltung einer lebenswichtigen Funktion bedeute, und die Beseitigung dieser Funktion die alleinige Ursache der Cachexia strumipriva bilde. Er hat diesen Zustand an mehreren eigenen Fällen von Totalexstirpation studiren können. Auf eine spätere Anfrage der englischen Kommission hat er jedoch geantwortet, dass er über weitere Fälle nicht mehr verfüge, weil er eben keine totale Exstirpationen mehr ausführe. Er meinte an einem anderen Orte2), "für jeden, der ein lebendes Beispiel der cachexia strumipriva vor Augen gehabt, ist es wohl entschiedene Sache, dass die Totalexstirpation der Schilddrüse ganz aus der Reihe der physiologisch zulässigen Operationen zu streichen ist." Zur Erklärung jener Fälle, bei denen nach Totalexstirpation keine Cachexie auftrat, wurde von betheiligter Seite angenommen, dass die Exstirpation eben keine totale gewesen ist, dass nämlich übersehene Reste der Drüse, oder accessorische Schilddrüsen zurückgeblieben sind, die, wie man jetzt weiss, an verschiedenen Stellen am Halse verstreut sein können. Von 26 Fällen, an denen KOCHER3) die Totalexstirpation ausgeführt hatte, haben 20 die Cachexie gezeigt, während bei den übrigen 6, die gesund blieben, Recidive vorhanden waren. Dasselbe finden wir auch in den Fällen von BIRCHER und anderen. Diese Erklärung war für die andere Seite natürlich nicht acceptabel.

Es sei hier noch erwähnt, dass die cretinoide Cachexie nach totaler Strumaectomie eigentlich bereits 1866 von einem Dr. P. SICK aus Stuttgart beobachtet und beschrieben worden ist.") Auf BRUNS' Veranlassung hat GRUNDLER3) es sich angelegen sein lassen, den betreffenden Patienten aufzufinden. Zur Zeit der Operation war er etwa 10 Jahre alt; als ihn GRUNDLER etwa 18 Jahre später auffand, bot der Aermste das völlige Bild eines Cretins dar. Die psychische Störung hat SICK bereits ein halbes Jahr nach der Operation beobachten können.

1) P. Bruns, Volkmann's Sammlung klin. Vorträge No. 244-1884; Beiträge zur klin. Chirurgie, Bd. III., 1887.

2) Volkmann's Vorträge 1. c.

3) Nach dem Berichte der englischen Commission.

4) P. SICK, Ueber die totale Exstirpation einer kropfig entarteten Schilddrüse und über die Rückwirkung dieser Operation auf die Circulation im Kopfe. Württemb. med. Corresp.-Blatt 1867, No. 25.

5) GRUNDLER, in Bruns' Beiträge zur klin. Chirurgie, Bd. I., p. 420.

« AnteriorContinuar »