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Wie grossartig nun auch die Erfolge der Physiologie, Pathologie und der klinischen Medizin und Chirurgie waren, so traurig stand es mit der Therapie. Noch 1890 konnte man überall lesen, dass die myxoedematösen Zustände trostlos sind, sie spotten jedem Heilversuche. Man sehe sich übrigens diese an, lauter alte Bekannte! Jaborandi, Pilocarpin, Eisen, Chinin, Nitroglycerin, Arsenik, heisse Bäder, Massage, Elektrizität, u. s. w. Ich verzichte auf einen Kommentar. Und nun kommt die Krone des wissenschaftlichen Schaffens. Nach kaum 4 Jahren können wir diese Krankheitscomplexe so erfolgreich und sicher behandeln wie kaum irgend eine andere Krankheit, und zwar in wirklich specifischer Weise! Der Entwickelungsgang unserer neuen Therapie ist wiederum höchst interessant und belehrend. Es waren interessante Experimente von SCHIFF, welche den ersten Anstoss dazu gaben. In die Bauchhöhlen eines Hundes hat SCHIFF eine Thyreoidea versenkt und dann die eigene Schilddrüse dieses Hundes von seinem Halse entfernt. Solche Hunde, berichtete SCHIFF, überlebten die Thyreoidectomie sehr wohl. V. EISELSBERG1) hat diese Versuche bei Hunden und Katzen in ausgedehnter Weise wiederholt und die Resultate bestätigt. Auf Grund dieser Versuche hatte nun HORSLEY den Vorschlag gemacht, bei myxoedematösen die Einpflanzung einer Schafsthyreoidea zu versuchen. Aber noch vor HORSLEY'S Vorschlag hatte BIRCHER bereits berichtet, dass er bei einem Falle von Cachexia strumipriva mit Tetanie die Implantation von menschlichen Strumen zweimal versucht hatte; das erste Mal hielt die Besserung 3 Monate, das zweite Mal 9 Monate an. Durch HORSLEY'S Vorschlag angeregt, haben noch andere, (Lannelongue, Walther und Merklen, MacPherson, u. A.) solche Implantationen in die Bauchhöhle oder unter die Mamma, sowohl bei Cretinösen wie auch bei Myxoedematösen versucht — mit deutlicher aber nur vorübergehender Besserung. Es ist bis jetzt beim Menschen nicht gelungen eine Thyreoidea in den gedachten Orten vascularisirt zu sehen; sie scheinen alle früher oder später resorbirt zu werden. BETTONCOURT und SERRANO2) haben die Besserung bald nach der Operation eintreten sehen und kamen zur Ueberzeugung, dass die Besserung durch die baldige Resorption der implantirten Drüse zu Stande kam. Resorption von Drüsensubstanz konnte also die Symptome der Cachexie beseitigen. Bald hat G. VASSALE 3) operirten Hunden intravenös Saft von Hunde-Schilddrüsen eingespritzt und dadurch eine Besserung der Cachexie erzielt. Aehnliche Erfolge hatte COLZI4) bereits früher an operirten Hunden beobachtet durch intravenöse Transfusion von Blut gesunder Hunde. GLEY 5) hatte die Angaben von VASSALE bestätigt, dabei fand er, dass auch der Saft von Hammelschilddrüsen den gleichen Erfolg bewirkt. Nun war noch ein weiterer Schritt zu 1) v. EISELSBERG, 1. c.

2) BETTENCOURT und SERRANO. Progrès Médical, 1890 p. 170.

3) VASSALE, Centralbl. f. med. Wissensch., 1891, p. 14.

4) COLZI, Lo sperimentale, 1884, Juli.

5) GLEY, 1. c.

machen, nämlich den Schilddrüsensaft subcutan einzuspritzen, und den Schritt hat GEORGE MURRAY 1) aus Newcastle gethan, indem er zugleich die klinisch hochwichtige Entdeckung machte, dass die subcutane Injection von einem Glycerin-Extract aus einer Schafsschilddrüse bei Myxoedem-Kranken eine unzweideutig heilsame Wirkung hervorbringt. Etwa gleichzeitig mit MURRAY haben auch BROWNSEQUARD und d'ARSONVAL 2) den Vorschlag gemacht, subcutane Injection von Schilddrüsensaft zu versuchen. Für diese Autoren war die subcutane Einspritzung von Organsaft zum Ersatz der mangelnden Funktion dieses Organs eigentlich etwas Selbstverständliches. MURRAY'S Angaben wurden alsbald vielfach bestätigt. Aber es sollte noch ein weiterer Fortschritt folgen. Auf dem Scandinavischen AerzteKongress im Juni 1892 hatte Prof. HOWITZ 3) aus Kopenhagen die Mittheilung gemacht, dass er Besserung des Myxoedems durch Verabreichung der Schilddrüse durch den Mund erzielt habe. Diese Thatsache ist aber zur allgemeinen Kenntniss erst durch MACKENZIE1) und Fox 5) gekommen, die im Oktober 1892 unabhängig von Howitz gleichfalls berichteten, dass die Drüsenfütterungen ebenso erfolgreich ausfallen, wie die subcutane Injection. Diese Angaben sind jetzt ganz allgemein bestätigt worden. Die Verabreichung der Drüse per os hat, wie ich glaube, die subcutane Injection ganz verdrängt. Man benutzt meistens Schafsdrüsen, man hat aber auch ganz dieselben Erfolge von Kälber- und Rinder-Drüsen gesehen. Man hat die Drüse fein gehackt, roh gegeben, manche haben sie leicht braten und Howitz hat sie sogar kochen lassen. Sie wird von manchen als Glycerinextract verabreicht, wie es in unserer Stadt zum Theil geschieht. Die bequemste und brauchbarste Verabreichungsart scheint mir die Pulverform zu sein, die man dann in Kapseln nehmen lässt. Durch die Verabreichung per os sind jetzt sowohl Fälle von Myxoedem als Cretinismus äusserst erfolgreich behandelt worden. Schliesslich hat KOCHER) im letzten Mai fünf Fälle von operativem Myxoedem erheblich gebessert vorgestellt, und LEICHTENSTERN) beschrieb kürzlich einen klassischen Fall von Cachexia strumipriva von 10jähriger Dauer, den er äusserst erfolgreich behandelt hatte.

So hat das Ineinandergreifen und Zusammenwirken von klinischer Medizin, Chirurgie und Physiologie ein wunderbares, glänzendes und zukunftreiches Resultat hervorgebracht, das wir kaum seinesgleichen in der Geschichte der Medizin kennen! Die Namen ORD und MURRAY, REVERDIN und KOCHER, SCHIFF und HORSLEY werden für immer mit diesem Denkmal der wissenschaftlichen Medizin verbunden bleiben.

1) G. Murray, Brit. Med. Journ., 1891, Oct. 10th,

2) BROWN-SEQUARD and d'ARSONVAL, Arch. de physiologie, 1891, p. 491. 3) HOWITZ, siehe Lancet, 1892, II., p. 1213.

4) MACKENZIE, Brit. Med. Journal, 1892, Oct. 29th.

5) Fox, Ibid.

6) KOCHER, Corresp.-Blatt der Schweizer Aerzte, 1893, p. 529.
7) LEICHTENSTERN, Deutsche Med. Wochenschrift, 1893, No. 49.

Und nun erlauben Sie mir, im Anschluss an das Vorhergehende einen Fall von Myxoedem zu berichten, der gegenwärtig unter meiner Behandlung steht. Von New York aus sind im Ganzen nicht mehr wie ein Dutzend Fälle von Myxoedem berichtet worden, und etwa ein halbes Dutzend sind im letzten Jahre mit Schilddrüsen-Präparaten erfolgreich behandelt worden. Ein Theil dieser Fälle ist längere Zeit von renommirten Aerzten als Nierenkranke angesehen und behandelt worden. Und so ging es auch meiner Patientin. Sie war in den Händen von bekannten, zuverlässigen Aerzten und wurde, so sagte sie mir wenigstens, auf Nierenkrankheit behandelt. Ich erwähne dies alles, um darzuthun, wie wenig noch die ganze Lehre von Myxoedem in's Fleisch und Blut auch der besseren Aerzte übergegangen ist. Ich bin überzeugt, dass noch allerorts genügend unerkannte Fälle von Myxoedem vorkommen, und dass es in jedem einzelnen Falle nur einer geringen Anregung bedarf, um die wahre Natur der Krankheit zu erkennen. Und wenn noch vor ein paar Jahren ein solcher Irrthum in der Diagnose für den Patienten von keiner wesentlichen praktischen Bedeutung war, liegt doch jetzt die Sache ganz anders. Das Leben und Wohlergehen solcher elenden Patienten hängt nunmehr ausschliesslich von der richtigen Diagnose ab die Therapie ist dann leicht und zuverlässig.

Meine Patientin ist eine verheirathete Frau von 37 Jahren, die hier von eingewanderten deutschen Eltern geboren ist. Sie gab erst an, nur seit zwei Jahren krank zu sein. Es stellte sich aber heraus, dass sie schon seit vielen Jahren beständig unter ärztlicher Behandlung stand, man hat ihr zu verschiedenen Zeiten heisse Bäder angerathen, die Beine wurden mit Binden eingewickelt oder mit Jodsalben eingerieben. Die Patientin ist selber jetzt davon überzeugt, dass ihre Krankheit schon vor vielleicht zehn Jahren begonnen haben müsste. Der Vater der Patientin starb an der Tuberculose, sie selbst hatte in der Kindheit öfters mit,,Drüsen“ zu thun gehabt, sonst war sie stets gesund. Sie bekam ihre Menses mit 14 Jahren, verlor sie aber vollständig zwischen ihrem 16. und 18. Jahre, von da ab bis vor ein paar Jahren menstruirte sie regelmässig. Von ihrem 16. Jahre, bis sie sich verheirathete, litt sie an,,Somnabulismus," sie hatte sonst keine anderen nervösen Symptome. Die Familie ist nervös nicht belastet. Mit 25 Jahren hatte sie sich verheirathet und mit 28 Jahren hatte sie ein Kind geboren, das jetzt 9 Jahre alt und gesund ist. Es erfolgten noch 2 Aborte und später wurde nicht mehr concipirt beides aus nicht medicinischen Ursachen. Lues ist nicht vorhanden. Der Status vor der Behandlung war folgender:

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Sie ist von mittlerer Grösse, sieht stark und unförmlich aus. Hat mit der Photographie, die vor etwa 13 Jahren genommen wurde, nicht die geringste Aehnlichkeit. Das Gewicht war für längere Zeit niemals weniger wie 225 Pfund. Die Gesichtsfarbe ist grau gelb, wachsartig, die Lippen sind stark cyanotisch, über den Backenknochen sitzen braunröthliche Flecke, und ein solcher Fleck bedeckt auch die Nasen

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spitze. Leute glauben gewiss sie trinke, klagte sie. Augenspalte schmal, beide Augenlieder stark verdickt und sackartig aufgetrieben. Augenbrauen normal, aber die Entfernung zwischen beiden scheint abnormal gross zu sein. Das ganze Gesicht scheint stark oedematos geschwollen, doch hinterlässt der Fingerdruck keine Delle und die Haut weist doch noch kleine Fältchen auf. Die Nase ist verdickt, verbreitert und etwas abgeplattet, die Nasolabial Falte ist verstrichen, beide Lippen sind dick und gewulstet, die untere Lippe stark herunter hängend. Unterm Kinn sieht man zwei übereinander gelagerte starke Fettpolster. Von einem Fühlen der Thyreoidea kann gar keine Rede sein. Zu beiden Seiten des Halses, oberhalb der Clavicula, sieht man starke Geschwulstmassen nach hinten ziehen, sich im Nacken vereinigend. Der ganze Körper ist mit solchen oedematösen Geschwulstmassen bedeckt, nirgends aber wirkliches Oedem, die Unterschenkel ausgenommen, wo man durch Fingerdruck eine Vertiefung erzeugt. Dieses Oedem verschwindet nach ruhigem Liegen, das darunterliegende feste Oedem bleibt unverändert. Charakteristisch ist

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Fig. 2. Myxoedem Frau N. am Tage vor Beginn der Behandlung, 22. November 1893. das Aussehen der Hände, die in der That an Maulwurfstatzen erinnern. Die Haut des gesammten Körpers sah trocken, spröde, rissig aus, stellenweise wie mit Mehl bestreut. Die Nägel sehen brüchig aus und von Längsleisten durchzogen. Die Haare sehen trocken und fahl aus, am Haupte sind sie recht spärlich und in der Axilla und an der Pubes fehlen sie fast ganz. Das Zahnfleisch ist eigenthümlich geschwollen und aufgelockert; im Schlafe fliesst oft eine bräunliche Flüssigkeit aus dem Munde. Die Frau schwizt niemals, auch im Sommer nicht, sie kann auch nie irgend eine Feuchtigkeit aus der Nase herauskriegen. Sie friert beständig, es ist ihr auch im Sommer nicht zu warm; im Sommer befindet sie sich übrigens stets besser als im Winter. Appetit mässig, Stuhl meistens angehalten und verursacht manchmal beträchtliche Beschwerden. Urin 1800-2000 ccm, spec. Gewicht etwa 1015, Eiweiss stets vorhanden, erreicht aber niemals %, hyaline Cylinder sehr vereinzelt; sonst nichts Abnormes. Menstruation im letzten Jahr einmal in 8-10 Wochen und äusserst spärlich. Sinnesorgane normal, Sensibilität

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