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Und in der Schreckensstunde, wo der Mensch
85 Sich gern vertraulich an den Menschen schließt,
Schleicht sie, gleich dem einsiedlerischen Vogel,
Heraus ins graulich düstre Geisterreich

Der Nacht, tritt auf den Kreuzweg hin und pflegt
Geheime Zweisprach mit der Luft des Berges.
90 Warum erwählt sie immer diesen Ort
Und treibt gerade hieher ihre Herde ?
Ich sehe sie zu ganzen Stunden sinnend
Dort unter dem Druidenbaume sißen,
Den alle glückliche Geschöpfe fliehn.

95 Denn nicht geheur ist's hier; ein böses Wesen
Hat seinen Wohnsit unter diesem Baum
Schon seit der alten grauen Heidenzeit.
Die Ältesten im Dorf erzählen sich
Von diesem Baume schauerhafte Mären;
100 Seltsamer Stimmen wundersamen Klang
Vernimmt man oft aus seinen düstern Zweigen.
Ich selbst, als mich in später Dämmrung einst
Der Weg an diesem Baum vorüberführte,
Hab' ein gespenstisch Weib hier sigen sehn.
105 Das streckte mir aus weitgefaltetem
Gewande langsam eine dürre Hand
Entgegen, gleich als winkt' es; doch ich eilte
Fürbaß, und Gott befahl ich meine Seele.

Raimond

(auf das Heiligenbild in der Kapelle zeigend).

Des Gnadenbildes segenreiche Näh',

110 Das hier des Himmels Frieden um sich streut, Nicht Satans Werk führt Eure Tochter her.

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Thibaut.

O nein! nein! Nicht vergebens zeigt sich's mir
In Träumen an und ängstlichen Gesichten.
zu dreien Malen hab' ich sie gesehn

115 Zu Reims auf unsrer Könige Stuhle sizen,
Ein funkelnd Diadem von sieben Sternen
Auf ihrem Haupt, das Scepter in der Hand,
Aus dem drei weiße Lilien entsprangen,
Und ich, ihr Vater, ihre beiden Schwestern
120 Und alle Fürsten, Grafen, Erzbischöfe,
Der König selber neigten sich vor ihr.
Wie kommt mir solcher Glanz in meine Hütte?
O, das bedeutet einen tiefen Fall!

Sinnbildlich stellt mir dieser Warnungstraum 125 Das eitle Trachten ihres Herzens dar.

Sie schämt sich ihrer Niedrigkeit. Weil Gott
Mit reicher Schönheit ihren Leib geschmückt,
Mit hohen Wundergaben sie gesegnet

Vor allen Hirtenmädchen dieses Thals,
130 So nährt sie fünd'gen Hochmut in dem Herzen,
Und Hochmut ist's, wodurch die Engel fielen,
Woran der Höllengeist den Menschen faßt.

Raimond.

Wer hegt bescheidnern, tugendlichern Sinn,
Als Eure fromme Tochter? Ist sie's nicht,
135 Die ihren ältern Schwestern freudig dient?
Sie ist die Hochbegabteste von allen;

Doch seht Ihr sie, wie eine niedre Magd,
Die schwersten Pflichten still gehorsam üben,
Und unter ihren Händen wunderbar

140 Gedeihen Euch die Herden und die Saaten;

Um alles, was sie schafft, ergießet sich
Ein unbegreiflich, überschwenglich Glück.

Thibaut.

Ja wohl! Ein unbegreiflich Glück. Mir kommt
Ein eigen Grauen an bei diesem Segen!

145 Nichts mehr davon. Ich schweige. Ich will schweigen;

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Soll ich mein eigen teures Kind anklagen?

Ich kann nichts thun, als warnen, für sie beten!
Doch warnen muß ich. Fliehe diesen Baum,
Bleib' nicht allein und grabe keine Wurzeln
150 Um Mitternacht, bereite keine Tränke
Und schreibe keine Zeichen in den Sand.
Leicht aufzurißen ist das Reich der Geister,
Sie liegen wartend unter dünner Decke,
Und leise hörend stürmen sie herauf.

155 Bleib' nicht allein, denn in der Wüste trat
Der Satansengel selbst zum Herrn des Himmels.

Dritter Auftritt.

Bertrand tritt auf, einen Helm in der Hand. Thibaut. Raimond.

Johanna.

Raimond.

Still! Da kommt Bertrand aus der Stadt zurück.

Sieh, was er trägt!

Bertrand.

Ihr staunt mich an, ihr seid

Verwundert ob des seltsamen Gerätes

160 In meiner Hand.

Thibaut.

Das sind wir. Saget an!

Wie kamt Ihr zu dem Helm, was bringt Ihr uns
Das böse Zeichen in die Friedensgegend?

(Johanna, welche in beiden vorigen Scenen still und ohne Anteil auf der Seite gestanden, wird aufmerksam und tritt näher.)

Bertrand.

Kaum weiß ich selbst zu sagen, wie das Ding Mir in die Hand geriet. Ich hatte eisernes 165 Gerät mir eingekauft zu Vaucouleurs ;

Ein großes Drängen fand ich auf dem Markt,
Denn flücht'ges Volk war eben angelangt
Von Orleans mit böser Kriegespost.

Im Aufruhr lief die ganze Stadt zusammen,
170 Und als ich Bahn mir mache durchs Gewühl,
Da tritt ein braun Bohemerweib mich an
Mit diesem Helm, faßt mich ins Auge scharf
Und spricht: „Gesell', Ihr suchet einen Helm,
"Ich weiß, Ihr suchet einen. Da! Nehmt hin!
175 Um ein geringes steht er Euch zu Kaufe.“

„Geht zu den Lanzenknechten,“ sagt' ich ihr,
"Ich bin ein Landmann, brauche nicht des Helmes."
Sie aber ließ nicht ab und sagte ferner:

„Kein Mensch vermag zu sagen, ob er nicht

180 Des Helmes braucht. Ein stählern Dach fürs Haupt

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"Ist jeho mehr wert, als ein steinern Haus."

So trieb sie mich durch alle Gassen, mir
Den Helm aufnötigend, den ich nicht wollte.
Ich sah den Helm, daß er so blank und schön
185 Und würdig eines ritterlichen Haupts,

Und da ich zweifelnd in der Hand ihn wog,

V

Des Abenteuers Seltsamkeit bedenkend,

Da war das Weib mir aus den Augen, schnell,
Hinweggerissen hatte sie der Strom

190 Des Volkes, und der Helm blieb mir in Händen.

Johanna (rasch und begierig darnach greifend).

Gebt mir den Helm!

Bertrand.

Was frommt Euch dies Geräte?

Das ist kein Schmuck für ein jungfräulich Haupt.

Johanna (entreißt ihm den Helm).

Mein ist der Helm, und mir gehört er zu.

Thibaut.

Was fällt dem Mädchen ein?

Raimond.

Laßt ihr den Willen!

195 Wohl ziemt ihr dieser kriegerische Schmuck,
Denn ihre Brust verschließt ein männlich Herz.
Denkt nach, wie sie den Tigerwolf bezwang,
Das grimmig wilde Tier, das unsre Herden
Verwüstete, den Schrecken aller Hirten.
200 Sie ganz allein, die löwenherz'ge Jungfrau,

Stritt mit dem Wolf und rang das Lamm ihm ab,
Das er im blut'gen Rachen schon davon trug.
Welch tapfres Haupt auch dieser Helm bedeckt,
Er kann kein würdigeres zieren!

Thibaut (zu Bertrand).

Sprecht!

205 Welch neues Kriegesunglück ist geschehn?

Was brachten jene Flüchtigen?

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