Imágenes de páginas
PDF
EPUB

Dieses Werk ist um so wichtiger, als von der richtigen Wür-
digung desselben zum grossen Teil die objektive Auffassung Swifts
selbst abhängt. Wer die Bedeutung des Tonnenmärchens bloss
in der Verspottung religiöser Spaltungen erblickt, verkennt die Ten-
denz desselben vollkommen und kann ausserdem sehr leicht zu dem
Urteil gelangen, Swift sei Atheist gewesen, womit dann ferner zu-
sammenhängt, Swifts Uebergang aus dem Lager der Whigs in das-
jenige der Tories aus rein egoistischen Motiven zu erklären, ihn
infolgedessen, wie ja das so vielfach mit sittlicher Entrüstung geschehen
ist, als prinziplosen, selbstsüchtigen Menschen hinzustellen, der seinem
masslosen Ehrgeiz jedes höhere Gut geopfert habe, während einzig
und allein Swifts orthodoxer Kirchenglaube die richtige Erklärung für
seine politische Schwenkung abgeben kann. Swift bestand auf den
Privilegien der Kirche als der besten Schutzwehr gegen fanatische
Heuchelei auf der einen und selbstgefällige Skepsis auf der andern
Seite, und hierin unterschied er sich von den Whigs. "The Tale of
the Tub", welches im Jahre 1704 erschien, könnte Swift ebenso
gut als Tory wie als Whig verfasst haben.

Die ganze Absicht dieser grandiosen Satire geht darauf hinaus,

die menschliche Natur gleichsam unter das Seziermesser zu nehmen

und alle Falschheit derselben blosszulegen, alle Heuchelei aufzudecken

und den Cant, wo er sich auch immer findet, für alle Zeiten an den

Pranger zu stellen. Und das ist Swift gelungen; darüber haben sich

auch seine Feinde geärgert und den Schwerpunkt des Werkes, um

Swift zu schaden, nach einer ganz andern Seite hin verlegt. In der

Dedication to Lord Somers macht Swift das mercenary Cringing

lächerlich. In der Dedication to Prince Posterity wird die blöde

Kurzsichtigkeit gegeisselt. The Author's Preface wirft den Witzlingen

das Buch hin, wie man den Walfischen eine Tonne vorwirft, und

verspottet ihren schwächlichen Humor. In der Introduction erfahren

wir, dass sich die Menschen in dreierlei Weise über andere erheben

können: 1) wenn sie als Modern Saints die Kanzel besteigen; 2) wenn

sie als Lovers of faction and poetry die Galgenleiter erklimmen;

3) wenn sie als Grubstreet writers zu Mountebanks of the State

Itinerant werden. Religiöse Differenzen werden viel weniger ver-

spottet als die Thorheiten der Menschen überhaupt. Die Erzählung

von Martin, Jack und Peter, den Vertretern der Lutheraner, Kal-

vinisten und Katholiken ist nicht nur der schwächste Teil des ganzen

Werkes, sondern auch der beleidigendste. In seinem Zorn gegen die

Wits und Fanatics bedachte Swift nicht, dass er mit seinen tollen

Cynismen die Religion selbst verletzte. Seine Behandlung derselben

ist auf das entschiedendste zu verurteilen, aber sie ist erklärlich aus

seinem Hass gegen die Religionsheuchler. Swift selbst muss streng

religiös oder wenigstens streng kirchlich genannt werden.

Sein religiöser Standpunkt berührt sich sehr nah mit seinem

politischen. In beiderlei Hinsicht war er ein abgesagter Feind von
allem abstrakten Denken. Sein religiöses Glaubensbekenntnis, das
der englischen Hochkirche, galt ihm als unantastbar. Mit aller Strenge

unterwarf er sich den äusseren Vorschriften und Andachtsübungen, und niemals gestattete er seinem scharfen Verstande, das geheiligte Gebiet seines Glaubens zu betreten. Von einer blossen Gefühlsreligion wollte er allerdings noch weniger etwas wissen; im wesentlichen war ihm die Religion äussere Form, aber in dieser Hinsicht müssen wir ihn als streng religiös bezeichnen. Bloss aus religiösen Gründen ist denn auch seine schliessliche Trennung von den Whigs zu erklären, die er so lange wie möglich hinausgeschoben hat.

Zwei Punkte waren es, welche ihn schliesslich dazu veranlassten, den entscheidenden Schritt zu thun. Erstens war Swift als Vertreter der irischen Geistlichkeit mit der Mission betraut worden, von dem Whig-Ministerium Erlass der von den irischen Bischöfen zu entrichtenden Erstlingsfrüchte und Zehnten zu erlangen, welcher den englischen Bischöfen schon bewilligt worden war. Swift erhielt indessen weiter nichts als leere Versprechungen.

Zweitens war Swift deshalb erbittert gegen die Whigs, weil diese durch Abschaffung des Sacramental Test, d. h. der Verpflichtung jedes englischen Staatsbeamten, vor Antritt seines Amtes nach dem Ritus der Hochkirche das Abendmahl zu nehmen, die Presbyterianer zu Bundesgenossen gegen die Tories gewinnen wollten, während Toleranz doch sonst nicht Sache der Whigs war. Mehr und mehr überzeugte sich Swift von der Falschheit, welcher sich seine bisherigen politischen Freunde schuldig machten, um die Gegner zu stürzen, und so entschloss er sich zum Bruch.

Am 4. October 1710 hatte Swift eine Audienz bei dem Vertreter der Tories, dem Premierminister Harley, Lord Oxford. Durch Harley wurde er mit St. John, dem späteren Lord Bolingbroke, bekannt, und nunmehr sagte er sich von seinen bisherigen Freunden Lord Somers und Lord Halifax los. In der familiärsten Weise verkehrte er mit den vornehmsten Staatsmännern Englands und benahm sich öfters sehr unklug, indem er seine geistige Ueberlegenheit *) fühlen liess und nicht bedachte, dass jene Lenker des Staatsschiffes sein hochmütiges und anmassendes Wesen nur ertrugen, weil seine scharfe Feder in der Zeitschrift The Examiner ihrer Partei die wesentlichsten Dienste leistete. Sein Benehmen war um so weniger klug, als auf diese Weise seine ehrgeizigen Wünsche eine möglichst hervorragende Stellung einzunehmen, am wenigsten in Erfüllung gehen konnten. Die höchste Würde, welche ihm seine politischen Freunde verschafften, war die eines Dean von St. Patrick. Seit 1713 nahm er diese Stellung ein, und als der grosse Dean ist er unsterblich geworden. Zunächst kommt aber die Periode der grössten Unbeliebtheit Swifts in Irland, welche mit der protestantischen Thronfolge i. J. 1714 beginnt.

*) Vgl. Quart. Rev. 153, S. 411: He (Swift) belonged to the kings of human kind. Everything about him indicated superiority. His will was a will of adamant, his intellect was an intellect scarcely inferior perhaps to that of a Richelieu or an Innocent. And to that will and to that intellect was joined a spirit singularly stern, dauntless, and haughty.

Es

Seit den Tagen der Bürgerkriege betrachteten die irischen Protestanten alle diejenigen, welche die Interessen der Hochkirche vertraten, als Jacobiten, und so war auch Swift den heftigsten Insulten ausgesetzt, da er ja als der eifrigste Anhänger des nun gestürzten Toryministeriums galt, dem man vorwarf, dem Hause Stuart zugethan zu sein. Wer hätte ahnen können, dass zehn Jahre darauf derselbe Swift als grösster irischer Patriot, als Befreier Irlands würde gefeiert werden? Diesen Umschwung bewirkten die i. J. 1723 erschienenen Drapier's Letters. Drapier (statt Draper, Tuchhändler) ist ein Pseudonym, unter welchem Swift eine Reihe von Briefen an die Irländer richtete, in denen er sie vor der Annahme des durch einen gewissen William Wood geprägten Kupfergeldes warnte. war nämlich ein Mangel an Kupfergeld in Irland vorhanden, und so erteilte Georg I. dem genannten Wood ein Patent darauf, Kupfermünzen im Werte von 10800 £ prägen zu dürfen. Da diese das volle Gewicht hatten, so erwiesen sie sich an und für sich als eine Wohlthat für das Volk; man verletzte aber die Rechte desselben dadurch, dass weder der Statthalter von Irland (der Lord Lieutenant) noch der geheime Rat (Privy Council) gefragt wurden, sondern eine Mätresse des Königs, die Herzogin von Kendal, der von Wood ein Gewinnteil zugesichert worden war, Georg I. zu diesem Patent zu bestimmen wusste. Swift beschränkte sich nicht etwa darauf, die Ungerechtigkeit dieser Massregel ins rechte Licht zu setzen, sondern er brachte alles zur Sprache, was nur dazu dienen konnte, Irland als ein von England schmählich unterdrücktes Land hinzustellen; er wurde so ausfällig, dass man 300 auf Entdeckung des Drapier setzte; aber, obwohl selbst der neue Minister Carteret wusste, dass Swift der Verfasser sei, wagte man nicht ihn gefangen zu setzen, sondern hob das Patent wieder auf.

[ocr errors]

Nach diesem Erfolg glich das Erscheinen Swifts in der Oeffentlichkeit einem Triumphzug, und die ganze irische Bevölkerung bildete seine Schutzwache. Die Sprache in diesen Briefen hatte deshalb eine so packende Wirkung, weil sie dem Verständnis des Volkes angepasst war, und weil sich der Verfasser nicht sowohl gewichtiger Argumente als glücklicher Vergleiche bediente, deren durchschlagender Humor seine Wirkung auf das Volk nicht verfehlen konnte. In diesen Tuchhändlerbriefen", welche Swift in seiner ganzen Schärfe und Schneidigkeit als Pamphletisten zeigen, tritt er der Regierung auf das entschiedenste gegenüber, und doch versuchte er noch einmal, von seinem Ehrgeiz getrieben, Fühlung mit dem Hofe zu bekommen. Nach dem Regierungsantritt Georgs II. bewarb er sich um die Gunst der Mrs. Howard, welche die seltsame Doppelstellung einer Mätresse des Königs und einer Vertrauten der Königin Karoline einnahm. Auch suchte er sich dem einflussreichen Staatsmann Walpole zu nähern, trotzdem sich dieser früher scharf gegen Swift ausgesprochen hatte. Aber alle seine Bemühungen waren vergeblich. Seit 1736 trat er in politischer Hinsicht gänzlich zurück. Das, was Swift während seines ganzen Lebens angestrebt hat, eine hervorragende politische

Rolle zu spielen, hat er nicht erreicht, und gerade das, wonach er nie gerungen, ist ihm merkwürdiger Weise in der glänzendsten Weise zu teil geworden litterarischer Nachruhm. Swift hat nie geschrieben, um sich einen Namen zu machen; alle seine Werke haben eine Beziehung auf das reale Leben, niemals sind sie Selbstzweck, und davon ist auch dasjenige Buch nicht ausgenommen, dessen einer Teil uns berechtigt, dem grossen Satiriker wenigstens einen bescheidenen Platz auch unter den echten Humoristen einzuräumen Gulliver's Travels.

Dieses Werk ist schon um das Jahr 1720 beendet (vgl. Craik S. 311, note), erschien aber erst nach mannigfachen Abänderungen im Jahre 1726.

Der Zeitabstand zwischen Abfassung und Veröffentlichung erklärt die Verschiedenheit der Teile dieses Werkes. Nur die an Swifts innerstem Mark zehrende Verbitterung seines Alters macht den letzten Teil erklärlich. Er schrieb Gulliver "to vex the world, rather than to divert it" (Swift to Pope, Sept. 29. 1725). Durch die ganze Einkleidung werden die Reisebeschreibungen der damaligen Zeit parodiert. Indessen merkt man diese Absicht kaum. Die beiden ersten Teile, die Reise nach Lilliput, in der am meisten wirklicher Humor zu finden ist, und die Reise nach Brobdingnag, in der schon die Satire vorwaltet, hatten bald alle Schriften der englischen Gesellschaft erobert. Die verschiedensten Geschmacksrichtungen fanden hier ihre Nahrung; jedes Alter, jeder Stand konnte aus diesem Werke etwas herauslesen, das seinem Verständnis, seinem Bildungsgrade, seinen Neigungen entsprach. Kein Buch der englischen Litteratur hat grösseres Aufsehen gemacht und grössere Verbreitung gefunden. Die Reise nach Lilliput bezieht sich hauptsächlich auf das Hofleben und die englische Politik. Unter dem Premierminister Flimnap ist Walpole zu verstehen, und seine Bemühungen, den Bath- und Garterorden wieder zu Ansehen zu bringen, werden durch die Verspottung der Adligen lächerlich gemacht, welche, um blaue, rote und grüne Dekorationen zu erlangen, über Stöcke springen müssen. Die Parteiungen der High-Heels und Low-Heels beziehen sich auf die Tories und Whigs, die Small-Endians und Big-Endians bezeichnen die religiösen Spaltungen der Papisten und Protestanten. Der Thronerbe, welcher einen hohen und einen niedrigen Absatz am Stiefel trägt, ist der Prince of Wales, der teils für die Tories, teils für die Whigs Partei ergriff. Blefescu, wohin Gulliver fliehen musste, um nicht im undankbaren Lilliput ein Auge zu verlieren, ist Frankreich, wohin Ormond und Bolingbroke sich flüchteten; Gulliver hatte man, ebenso wie Bolingbroke, vorgeworfen, Frieden geschlossen zu haben, während er den Feind völlig hätte vernichten können. Die ursprünglichen Einrichtungen und namentlich diejenigen, welche sich auf das Erziehungswesen im Lande Lilliput beziehen, werden sehr gelobt, und alle Verderbnis am Hofe wird erst den drei letzten Regierungen schuldgegeben; das war Swifts Ansicht in Bezug auf England. Während die Intriguen der Politik dadurch lächerlich gemacht werden,

dass sie in dem Lande gebildeter Zwerge spielen, welche die Träger idealer Bestrebungen sind, hat Swift in sehr feiner Weise die sinnlichen Ausschreitungen der Menschennatur, die mehr äusserlichen Thorheiten dadurch ins Mark getroffen, dass diese realistischen Auswüchse des Menschen, zum Riesenhaften vergrössert, um so abstossender wirken.

Das, was diese Erzählungen so anmutig macht, ist einesteils der leichte, einfache Stil und der ernsthafte Ton des Verfassers, in dem er die wunderbarsten Dinge berichtet, die uns so glaubhaft werden, weil der Erzähler immer in den richtigen Proportionen bleibt und selbst im Lande der Zwerge und in dem der Riesen die betreffenden Massverhältnisse unwillkürlich in seiue Anschauungen aufnimmt. Es giebt kein besseres Zeugnis für diese Reisen als das eines irischen Prälaten, welcher aussprach, dass ihm manches in diesen Erzählungen doch nicht recht glaubhaft erscheine. Die ganze Persönlichkeit Gullivers ist auch so realistisch, dass ein Seemann gesagt haben soll, er kenne den Kapitän Gulliver sehr wohl, er wohne aber nicht in Rotherhithe, sondern in Wapping. Es ist uns in den beiden ersten Teilen wirklich behaglich zu Mute. Die beiden letzten Reisen hingegen, die nach Laputa und namentltch die zu den Houyhnhnms, verwischen den guten Eindruck wieder, welchen die beiden ersten bei uns hinterlassen haben. In der Reise nach Laputa soll der Humbug gegeisselt werden, welcher mit der mathematischen Wissenschaft zu Swifts Zeit getrieben wurde, wobei aber sehr unehrerbietige Anspielungen auf den grossen Sir Isaac Newton mit unterlaufen. Nur mit Bedauern und Imit Ekel müssen wir uns abwenden von einer Auffassung der Menschenbestimmung, wie sie aus der Reise zu den Houyhnhnms und der Schilderung der Yahoos hervorgeht.

Und doch gipfelt das ganze Buch gerade in diesem Gegensatz der Houyhnhnms und Yahoos. Auf der einen Seite haben wir den Stoicismus und auf der anderen die Bestialität. Eine grässlichere Satire auf das Menschengeschlecht kann es nicht geben, als wenn der Mensch sein Ideal nur dadurch erreicht, dass er alles aufgiebt, was das Leben überhaupt anziehend und lebenswert macht, da er sonst in seiner Leidenschaftlichkeit weit unter das Tier hinabsinkt. Wer einer solchen Lebensauffassung huldigt, muss selbst sehr traurige Erfahrungen gemacht haben. Und in der That bleibt uns noch ein Kapitel in Swifts Leben übrig, welches uns darüber einigen Aufschluss geben kann seine sogenannte Doppelliebe zu Stella und Vanessa. Dieses Verhältnis ist vielfach ebenso falsch dargestellt worden wie Swifts politische Schwankung, und wir bedürfen der ruhigsten Objektivität, um dem unglücklichen Dean hier ebenso gerecht zu werden wie dort. Um den richtigen Standpunkt zu gewinnen, leite ich die berühmte Stella and Vanessa Controversy am besten mit Craiks eigenen Worten ein (S. 313):

"It is needless to say that in the records of Swift's life as in the memory of men, the names of Stella and Vanessa are indisso

« AnteriorContinuar »