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Die Sorge seitens des Staates für das geistige und moralische Gedeihen seiner Schützlinge muss als ethische Grundlage jeder civilisirten Gesellschaft betrachtet werden. Es ist durchaus nicht genügend, wenn Gesetze derartig schützend verfasst werden, dass es jedem gesunden Individuum ermöglicht wird für den nöthigen Unterhalt zu sorgen; auch muss es als ungenügend betrachtet werden, wenn der Staat denjenigen der durch Krankheit oder Verkrüppelung nicht im Stande ist in dem Kampf um's Dasein mitzuringen, nur theilweise unterstützt. Der Staat ist einem solchem Betroffenen vollkommene Protection gegen die materiellen Angriffe der Natur schuldig. Dass der Staat auch dieses Prinzip anerkennt und darnach handelt, geht daraus hervor, dass er für Unterkommen aller Derjenigen sorgt, welche infolge ab. normer geistiger oder körperlicher Zustände, arbeitsunfähig geworden sind.

Bis zu einem gewissen Maase ist mehr oder weniger für den Schutz der Kranken und Kraftlosen aller Klassen gethan worden; Fürsorge für den Geisteskranken, für den Idioten, für den Taubstummen, für den Erblindeten, für die Jugend und für das Alter, hat der Staat seit lange getroffen. Nur der Epileptiker ist unversorgt geblieben. Es ist dies um so bemerkenswerther, da die epileptische Bevölkerung eines Landes durchaus keine kleine ist. Es wird z. B. angenommen, dass es in den Vereinigten Staaten 120,000 Epileptiker geben soll, während im

Staate New York allein ihre Anzahl sich auf 12,000 beläuft. Es werden diese Zahlen gewonnen, indem ein Verhältniss von 2 Epileptikern auf jedes 1,000 Einwohner berechnet wird. In Deutschland soll sich das Verhältniss viel kleiner stellen (1, auf 1,000) während eine vor Kurzem vorgenommene Zählung in dem Canton Aargau, der Schweiz, ein Verhältniss von 2.42 auf 1,000 erwies. Für England stehen mir keine genauen Daten zur Verfügung, aber ich glaube, dass auch dort ein Verhältniss von 1: 1,000 als das richtige betrachtet wird. Bei einer derartigen epileptischen Bevölkerung wird es wohl keinem Arzt entgangen sein, in welch traurigem Zustand der Epileptiker sich befindet und wie dringend nöthig es ist, dass Abhilfe geschafft wird. Dieses ist aber durchaus kein neues Erkenntniss, denn Legrand Du Saulle hat schon in einem klassischen Aufsatze über den Zustand der Pariser Epileptiker, darauf hingewiesen, wie sie erst in dem einem, dann in dem anderen Hospitale aufgenommen werden, nach kurzer Zeit wieder entlassen, sich kümmerlich durchschlagen; dann, wieder von ihrer Krankheit befallen, in irgend einer Anstalt provisorisch aufgenommen werden, nur um so bald als möglich wieder weiter geschickt zu werden, bis sie schliesslich froh sind, wenn sie von der Behörde, aus Mitleid für ihren jammervollen Zustand, als geisteskrank erklärt, in einer Irrenanstalt auf längere Zeit wenigstens Obdach und Nahrung finden. Bis heute ist ihr Zustand hierzulande auch kein besserer gewesen, denn für diesen armen Epileptiker, der sich selbst nicht ernähren kann, dessen Familie ihn nicht auf jener Stufe zu erhalten vermag, welche die Menschlichkeit verlangt, der, wegen des ihm zustossenden Unglückes während eines Anfalles immer sich selbst gefährlich, und häufig, wegen post-convulsiver Geistesstörungen eine Gefahr für seine Mitmenschen ist, für diesen Epileptiker hat der Staat bis jetzt keine Fürsorge getroffen, wenn wir nicht die Aufnahme in eine Irrenanstalt als solche betrachten. Wir haben aber kein Recht, das Letztere als eine solche Fürsorge anzusehen; die Mehrzahl der in den Irrenanstalten sich befindenden Epileptiker gehören nicht dorthin, denn sie leiden weder an permanenter noch temporärer Geistesstörung und sind mithin ungesetzlicherweise ihrer Freiheit beraubt.

Die Frage der Fürsorge für Epileptiker ist aber eine viel weitgehendere, als in der Frage nach ihrem Unterkommen gestellt wird; es handelt sich hierbei auch um Behandlung der Krankheit, sowohl wie um eine angemessene Umgebung und Erziehung. Die Frage ist noch immer nicht beantwortet, ob der geschwächte geistige Zustand vieler Epileptiker ganz und gar von den häufig wiederholten Anfällen abhängig ist, oder ob nicht die unglückselige sociale Lage in welcher sie sich befinden, auch daran die Schuld tragen muss.

So kommt es, dass alle Meinungen darin übereinstimmen, dass der Epileptiker, um geistig und moralisch nicht unterzugehen, vom Staate speciell unterstützt werden muss, und dass dieses nicht nur für das individuelle Wohl des Patienten und seiner Familie, sondern auch für das Wohl der gesammten Bevölkerung verlangt wird.

Jetzt dürfen wir uns fragen, worin soll diese staatliche Fürsorge bestehen? Der Staat New York hat dieses sociale Problem in diesem Jahre dahin beantwortet, dass ein Gesetz passirt wurde um eine Colonie für die Versorgung der Epileptiker zu gründen. Wenn wir eine kurze Umschau halten über das, was anderwärts durch private oder Öffentliche Unterstützung für diese abhängige Klasse gethan worden ist, so können wir uns bald darüber einigen, ob der Staat New York im besten Interesse der Epileptiker gehandelt hat. Um sich überhaupt über die passende Versorgung ein Urtheil bilden zu können, muss man sich vor Allem vergegenwärtigen, dass Epileptiker nach Art ihres Betroffenseins sehr verschieden sein können. So lassen sich Epileptiker eintheilen in 1) diejenigen, deren Krampfanfälle, ob,,grand mal" oder ,,petit mal", das ganze Krankheitsbild darstellen. Derartige Epileptiker sind intellectuell nicht angegriffen und sind vollständig im Stande, den gewöhnlichen Anforderungen des Lebens nachzukommen. 2) Diejenigen, welche vor oder nach ihrem Krampfanfalle, vorübergehend an Geistesstörung leiden.

3) Diejenigen, deren Geisteszustand permanent abnormal ist, die an chronischem Irrsinn leiden. Für diese letztere Klasse ist durch ihre Aufnahme in bestehende Irrenanstalten vollkommen gesorgt, und braucht ihrethalben keine specielle Vorkehrung getroffen zu werden.

Für die Versorgung der übrigen Klassen sind verschiedene Pläne in Vorschlag gebracht worden. Die Pläne, welche besonders beachtenswerth erscheinen, sind:

1) Spezial-Anstalten (Hospitäler) für Epileptiker.

2) Abtheilungen für Epileptiker in den bestehenden Irrenanstalten. 3) Die Creirung besonderer Colonien.

Dass die Hospitalisation der Epileptiker unpraktisch und unzureichend ist, scheint die Meinung aller derjenigen zu sein, welche sich mit dieser Frage beschäftigt haben. Diejenigen Epileptiker, welche nur leicht von der Krankheit betroffen sind, bleiben von selbst nicht, ohne Beschäftigung und systematische Arbeit, in einem Hospitale, und die schwer betroffenen, an ausgesprochenen Geistesstörungen leidenden, können nicht in einem Hospitale behalten werden. Auch muss man nicht ausser Acht lassen, dass die Versorgung selbst der einfachen Epileptiker (ohne irgend welche Geistesstörung) sehr von der Versorgung anderer Patienten abweicht, so dass ihre Fürsorge in irgend einem Hospitale eine höchst schwierige Aufgabe bietet.

Ebenso unzufriedenstellend ist die Einrichtung von Abtheilungen für Epileptiker in allgemeinen Irrenanstalten.

Es herrscht wohl jetzt darüber Einigkeit, dass eine grosse Proportion der an Epilepsie leidenden in den anfallfreien Intervallen von krankhaften geistigen Störungen verschont bleiben,* insbesondere

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* Kaum ernst zu nehmen ist der Einwand derjenigen, welche behaupten : Mehr oder weniger geisteskrank ist eigentlich jeder Epileptiker" oder,,ist der Gefahr ausgesetzt, es zu werden" und desshalb sollten alle Epileptiker in einer Irrenanstalt untergebracht werden.

wenn diese freien Intervalle sich über verhältnissmässig lange Zeit erstrecken.

Ja, in vielen Fällen lässt sich sogar nicht die geringste psychische Schwäche nachweisen, während eine hervorragende Mehrzahl, wenn sie auch bis zu einem gewissen Grade eine geistige Abschwächung verrathen, ja doch nicht im wissenschaftlichen Sinne als irrsinnig anzusehen sind. Desshalb gehören offenbar Epileptiker im Allgemeinen nicht in Irrenanstalten hinein, selbst dann nicht, wenn für sie spezielle Abtheilungen geschaffen werden. Der vorgeschlagene Ausweg, man solle ein Hospital für Epileptiker mit einer Irrenanstalt unter ein und derselben Verwaltung errichten, ist ebenso wenig befriedigend als die schon besprochenen Vorschläge. Unter einer solchen Einrichtung müsste man diejenigen Epileptiker, welche temporär an Psychosen leiden, von jenen, die ausschliesslich Krampfanfälle bekommen, eine künstliche und unpraktische Einrichtung, welche beständig die Transferirung des temporär psycisch Befallenen von Hospital nach Asyl und von Asyl in's Hospital benöthigen würde.

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Das Resultat nicht nur aller theoretischen Erwägungen, sondern auch aller Versuche, die Frage auf praktischem Wege zu lösen, ist, dass die Fürsorge für Epileptiker, sei es durch öffentliche oder Privatwohlthätigkeit, nur in Colonisation ihre Lösung finden kann.

Der Antrieb zur Colonisation der Epileptiker verdankt seinen Ursprung jedenfalls dem französischen Pastor Jean Bost, der 1848 eine Heimat für Frauen der unbemittelten Klasse gründete; später errichtete er ein Haus für weibliche Epileptische, welches als Grundstein zur Errichtung weiterer Baulichkeiten diente, in denen auch andere Klassen Epileptiker Aufnahme fanden, und in welchen sich ein Familiensystem der Epileptiker bald entwickelte. Die am weitesten bekannte und grösste Colonie für Epilepliker ist jedenfalls die bei Bielefeld in Westphalen. Diese Colonie, welche vor mehr als 30 Jahren durch die humanen Bemühungen eines lutherischen Geistlichen, Pastor von Bodelschwingh, unter den Auspicien des Provinzial-Comités der inneren Mission gegründet wurde, bat jetzt mehr als 1100 Einwohner. Die Bielefelder Colonie ist von berufener Seite — hier von Dr. Peterson — so oft und so eingehend beschrieben worden, dass ich wohl auf nähere Details verzichten darf. Folgendes Citat aus einer von Peterson's letzten Arbeiten möge genügen:

,,Als ich die Colonie besuchte, bestand sie aus 55 Häusern und Hütten, von hübschen Gärten umgeben, welche in dem schönen, mehr als 320 Acker umfassenden, Holz und Wiesenland, angelegt waren. Es war wie eine Dorfschaft. Hier findet man Schulen, in welchen Unterricht in allen Fächern ertheilt wird, die in öffentlichen Schulen berücksichtigt werden; auch wird denjenigen, die es wünschen, Gelegenheit geboten, sich in Sprachen, Wissenschaft und Kunst auszubilden.

Hier sind Läden und Werkstätten mannigfacher Art, wie SamenGeschäft, Materialwaarenhandlung, Apotheker, Tischler, Bäcker, Schneider, Farbengeschäft; Stätten für Schlosser, Schmiede, Eisen

giesser, Blechschmiede, Schumacher, Sattler; Meierei, Ziegelbronnerei, Druckerei und Buchbinderei.

Floricultur, Agricultur und Obstzucht, beschäftigen eine grosse Anzahl epileptischer Angestellte. Einige der Häuser sind von epileptischen Architecten geplant, die Ziegeln von 60 epileptischen Patienten gebrannt, das Steinwerk von epileptischen Arbeitern, die Holzarbeit von ihren eigenen Schreinern, die Eisenarbeit von eigenen Schmieden, das Anstreichen, Glaserarbeit, und die Möbel von ihren eigens dazu Befähigten, hergestellt worden. Für Männer allein giebt es mehr als 30 Arten Handwerke.

Die Frauen werden mit den vielfältigen Besorgungen des Haushaltes, mit der Herstellung von Kleidungsstücken und der Bettwäsche, und mit der Pflege der Blumen und Gemüse beauftragt.“

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Auch für Unterhaltung und Vergnügungen aller Art ist völlig gesorgt. Ein Orchester, aus ihrer eigenen Mitte zusammengesetzt, ein Museum für Briefmarken, Münzen, Alterthümer, Gegenstände von ethnographischem und historischem Interesse,“ u. s. w.

Wahrlich eine ideal sociale Anlage!

Trotz Allem wurde von keinem Staate die ihm zukommende Pflicht, für seine armen Epileptiker zu sorgen, übernommen, bis um 1891, als der Staat Ohio, nach der nothwendigen vorhergegangenen Gesetzgebung, den Grundstein zu einem Asyl für Epileptiker, und epileptische Irrsinnige, zu Gallipolis, legte. Seitdem sind Massachusetts, Pennsylvania, California und Michigan, im Begriff, Staatsanstalten speciell für Epileptiker anzulegen. Hier im Staate New York wurde nach vieler und mühsamer Arbeit seitens der " State Charities Aid Association," im April dieses Jahres, von der Legislatur die Vorlage zur Etablirung einer Colonie für Epileptiker angenommen, und vom Gouverneur unterschrieben. Dieser Beschluss giebt als Zweck der Colonie „die humane, heilende, wissenschaftliche und oeconomische Behandlung und Versorgung von Epileptischen, irrsinnige Epileptiker ausgeschlossen, an, und verlangt dass ein allgemeiner Plan angenommen werde, welcher mit den Empfehlungen übereinstimmen soll, welche die "State Board of Charities" im Jahre 1893 der Legislatur machte. Diese Empfehlungen sind in dem Bericht des Comite's der State Charity Aid Association von 1891 enthalten, und lauten zum Theil wie folgt: „Die Hauptprincipien welche in der Organisation einer derartigen Colonie zu befolgen wären, sind:

1) Land. Soll wenigstens aus 200 bis 300 Acker Wiesen und Waldland, für agriculturelle un horticulturelle Zwecke wohl geeignet, bestehen. Dieses Land soll in der Nähe einer grossen Stadt gelegen sein, nicht nur wegen Bequemlichkeit des Erreichens desselben, sondern auch um die Zuziehung von expertem Rath zu ermöglichen, und um die Benutzung des Materials zu Studien- Zwecken zu erleichtern.

2) Kleine Gebäude (Cottages). Diese sollen in getrennten Abtheilungen, für männliche und weibliche Patienten angelegt werden; jede dieser Abtheilungen soll in getrennten Häusern (Cottages) Vorkeh

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