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Worte und Verse das Gewand, Gedanken und Bilder Karnation und Teint, so ist das zuleßt aufgeführte Moment der Wuchs, der Gliederbau famt der Gesichtsbildung eines Gedichts.... So bleibt uns neben jener äußeren Form noch jene so zu sagen innerliche Seite der Form, der Bau, die Ökonomie des Gedichts." Wir können hinzusehen: nur die lettere eröffnet den Einblick in das innerste Geheimnis eines Kunstwerks.

Wir sind weit entfernt, das Kind mit dem Bade auszuschütten und mit einfacher Umkehrung des Spießes den Anteil der Philologie an der Litteraturforschung für nichtig auszugeben; aber mit ihrem Recht ist kraft der zwingenden Notwendigkeit ihrer Wesenseigentümlichkeit zugleich ihre Schranke gegeben, und wie hoch oder niedrig man ihre Wirksamkeit im Einzelnen anschlagen mag - ihr Verhältnis zur Philosophie, in specie zur philosophischen Ästhetik, ist angesichts der natürlichen Subordination des technischen Gesichtspunktes unter den künstlerischen nicht das der Gleichberechtigung, noch weniger das der Herrschaft, sondern ganz und gar das der Unterordnung das des Mittels zum Zweck. Für das griechische und römische Altertum, auch für die alt und mittelhochdeutsche Litteratur hat felbstredend die Philologie eine ganz andere Bedeutung: denn hier sind die Fragen des Tertes und des Ausdrucks, find die sprachlichen und metrischen Schwierigkeiten vielfach von so verwickelter Natur, daß die Kraft eines Menschen durch sie nicht nur reichlich in Anspruch genommen wird, sondern eben auch sachlich eine imponierende Aufgabe vor fich hat, mit der die überflüssige alexandrinische Geschäftigkeit unserer in moderner Litteraturgeschichte thätigen Philologen in vielen Fällen keinen Vergleich aushält. Aber auch unter den Bearbeitern der antiken Litteraturgeschichte hat es niemals an Männern gefehlt, die gegen die Textund Stilkritik als Selbstzweck entschiedene Einsprache erhoben haben; es ist ein Philologe, freilich zugleich ein feinsinniger Kenner der Poesie, dem wir hier das Wort erteilen können.

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„Das philologische Lesen," sagt Adolf Schöll,') ist sehr verschieden vom lebendigen Lesen. Das lebendige Lesen ist das sympathetische, welches die Vorstellung ganz an den Inhalt hingiebt und diesen mit so ungeteilter Aufmerksamkeit verfolgt, daß es Wort und Vers und jeden Ausdruck nur als Bewegung des Inhalts empfindet. Ganz entgegengesezt verfährt das philologische .... Nicht das Ganze, nicht der Genuß der Schönheit ist ihr Interesse, sondern die Übung philologischer Fertigkeit. Dies macht ihr statt Hingebung an den Geist und Inhalt das Ausheben des Einzelnen und Anatomieren der äußeren Formen, statt un ungeteilter Aufmerksamkeit auf den Zusammenhang ein unaufhörliches Abziehen derselben vom Zusammenhang zur Pflicht.... Die Reize, welche der Tert für seine eigene Philologenkunst hat, lassen ihn nirgends die Kunst des Dichters einfach empfinden und zur unzerstörbaren Wirkung sammeln." Auch die folgende speziellere Ausführung des nämlichen Gelehrten erscheint uns überaus beherzigenswert: „Man kann die sittlichen Motive, die sich in einer Tragödie bewegen, den Angelpunkt, um den sich die Handlung dreht, die Wirkung, in die sie sich auflöst, gänzlich dahingestellt sein lassen, und dennoch ihre Orthographie berichtigen, die syntaktischen Unterschiede ihres Ausdrucks mit Scharfsinn erörtern, über Lesarten aus Handschriften oder mit Hilfe von Glossen und Scholien entscheiden.“ Diesen schlagenden Worten haben wir nichts hinzuzufügen; jeder wird die Folgerung daraus ziehen, daß die rein philologische Thätigkeit, zumal in der neueren Litteraturgeschichte, lediglich den Anspruch erheben darf, für die Würdigung der Dichtung gewisse Vorarbeiten zu liefern. Auch Handlanger sind unnur werden sie nicht

entbehrlich," sagt Paul Heyse, Architekten genannt." Unmittelbar und fruchtbar kann sie 3. B. da der Ästhetik dienen, wo sie sprachliche Neu

1) Gründlicher Unterricht über die Tetralogie des attischen Theaters und die Kompositionsweise des Sophokles, S. 6.

schöpfungen eines Dichters behandelt; denn erst wenn diese widerspruchslos feststehen, lassen sich in einer bestimmten Richtung Schlüsse auf die künstlerische Individualität ziehen. Dagegen ist das Aufsuchen von Reminiscenzen und Anklängen auch für die ästhetische Bereicherung der Litteraturforschung von minimalem Nußen: daß ähnliche Empfindungen und Situationen bei verschiedenen Schriftstellern in ähnlichen Ausdrücken geschildert werden, enthält an sich nichts so Verwunderliches, um ohne Weiteres Rückschlüsse auf eine Entlehnung zu rechtfertigen. Wenn aber wirklich nachgewiesen werden kann, daß hier oder dort ein Wort dem Dichter im Ohre nachgeklungen ist, so daß er es an einem Orte wiederholte, wo es organisch sich einfügen ließ - nun wohl! so wird das ja jedermann interessieren, und die Leute, denen es Vergnügen macht, mögen dieser Gruppe von Entlehnungen immerhin ihre Bemühungen zu Gute kommen lassen; nur dürfen sie dies nicht in der Illusion thun, als entstehe eine Dichtung mosaikartig, als hätten derartige Reminiscenzen für die Eigenart der Dichtung als solcher irgendwelche Bedeutung. Vor Allem aber kann nicht laut genug dagegen Front gemacht werden, wenn Kleinigkeitskrämerei von dieser und verwandter Art sich als Eraktheit und Akribie anpreist. Strengste Exaktheit ist selbstverständlich durchaus notwendig, ist unentbehrliche Basis für alle litterarhistorische Forschung, und ein Verstoß gegen das Urkundlich-Faktische muß auch dann gerügt werden, wenn er ohne nennenswerten Einfluß auf das Gesamturteil bleibt. Die Eraktheit in Erbpacht genommen. zu haben, ist aber ein Anspruch, welcher der Philologie um so weniger ausschließlich zugestanden werden kann, als alle Wissenschaften ohne Ausnahme daran partizipieren, wie umgekehrt über den Mangel an übereilten Behauptungen und gewagten Hypothesen auch die Philologie im eigenen Lager sich nicht zu beklagen hat. Daß sie in der deutschen. Litteraturgeschichte und in den historischen Wissenschaften überhaupt es sich hat angelegen sein lassen, ihr Prinzip Fallenheim, Kuno Fischer.

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der Akribie so zur Geltung zu bringen, daß es heut Allen in Fleisch und Blut übergegangen ist, bleibt ihr Verdienst, das ihr nicht geschmälert werden soll; dadurch hat sie sicherlich in weitem Umkreis erziehend gewirkt. Daran aber wird nichtsdestoweniger keiner, der den lezten Zweck der Kunstkritik begriffen hat, einen Augenblick zweifeln, daß ein Dußend philologischer Ungenauigkeiten federleicht wiegt gegenüber einer einzigen Versündigung am Geiste der Dichtung - in dem gleichen Maße, wie das Schließen aus Notizen gegenüber dem Schließen aus inneren Gründen. Herrlich sagt Goethe: „Überall sollen wir es mit dem . . . . Worte eines Dichters nicht so genau und kleinlich nehmen, vielmehr sollen wir ein Kunstwerk, das mit fühnem und freiem Geiste gemacht worden, auch womöglich mit eben solchem Geiste wieder anschauen und genießen.“ Der Sprache des Dichters näher zu treten, hat auch Fischer gelegentlich nicht versäumt: die Vergleichung der beiden Fassungen der „Iphigenie“ z. B. hat er bis in geringfügige Einzelheiten des Ausdrucks verfolgt; aber die ästhe tische Würdigung des Werkes steht ihm dabei ständig als Ziel vor Augen. Wie die Tilgung eines harten Ausdrucks oder einer Unebenheit mit dem Grundton der Dichtung zusammenhängt, wie mit dem Wohllaut der Sprache eine einzigartige Seelenschönheit enthüllt oder geschaffen wird: das bleibt ihm der leitende Gesichtspunkt. Wo immer der Stil analysiert wird mit Rücksicht auf das Ganze der Dichtung, da tritt die Ästhetik in ihr natürliches Recht; sie giebt der sprachlichen Untersuchung die Weihe des höheren kunstgeschichtlichen Zweckes.

4. Worin nun das ästhetische Urteil, das diesen Namen vor dem Forum der Wissenschaft verdient, eigent lich bestehe, darüber herrscht in weiten Kreisen eine verhängnisvolle Unklarheit. Der Begriff des Ästhetischen verknüpft sich kraft einer unwillkürlichen Ideenassociation in den Augen Vieler mit einer Theetischunterhaltung im Salon oder wenigstens mit der Dußendware unserer Zei

tungsfeuilletons; hier entspringt das Mißtrauen, das man vom Standpunkte gelehrter Bildung aus nicht selten ästhe tischen Bestrebungen entgegenbringen zu müssen glaubt und mit vollstem Recht entgegenbringen würde, wenn - vulgäre Schöngeisterei und strenge Ästhetik nicht durch eine so tiefe Kluft getrennt wären, wie nur immer Dilettantismus und Wissenschaft. Ästhetik im wissenschaftlichen Sinne bedeutet systematische logische Durchbildung des ästhetischen Begriffsvermögens, die Unterwerfung vager, willkürlicher, subjektiver Empfindungen unter die Disziplin der objektiven, festgefügten Kunsttheorie, die Ableitung der ästhetischen Empfindungen aus dem Wesen der Kunst selbst. Jm Kunstwerk ist Geist, ist Gedanke, also ein aus der Vernunft stammendes Element; um dieses zu durchdringen, braucht man eben wiederum Geist, und zwar logisch disziplinierten Geist; um das Höchste zu erkennen, ist auch die höchste Erkenntnis notwendig“, sagt Kuno Fischer epigrammatisch. Litterarische Kritik ist darum ihrem Wesen nach angewandte Ästhetik; denn eine Dichtung erläutern, das heißt nichts anderes, als durch begriffliches Denken sich zum Bewußtsein bringen, was vorher das Gefühl dunkel ahnte. Die dichterischen Schönheiten heben sich in die taghelle Beleuchtung der Reflerion empor, indem die ästhetische Empfindung in der Form des Urteils sich ausspricht, indem über ihre Gründe Rechenschaft gegeben wird; nicht nur erhellt und erläutert wird die Empfindung durch solche begriffliche Firierung, sondern ebenso sehr korrigiert und auf eine feste Basis gestellt.

Die Erkenntnis, zu der die Beschäftigung mit den ästhetischen Problemen führt, ist die, daß alles künstlerische Schaffen sich in festen Bahnen bewegt, daß die in den Schöpfungen des einzelnen Dichters sich auswirkende Geseßmäßigkeit ein Teil und ein Ausdruck ist der allgemeinen Gesezmäßigkeit, welche das Wesen des poetischen Genius bezeichnet. Nicht die individuelle Bethätigung des Dichters wird durch diese Erkenntnis vergewaltigt; nur krasser Igno

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