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ristischen Äußerungen der Philosophischen Briefe" an nähernd konstruieren ließe: sein Posa ist „ein kategorischer Imperativ im Maltesermantel, ein Mittelding gleichsam zwischen Rousseauschem und Kantischem Tugendideal". Als Schiller später Kants Lehre vom Erhabenen kennen lernte, leuchtete ihm denn auch sein eigenes Dichten und Trachten" daraus entgegen. Daß Posa unmerklich als Hauptperson an die Stelle des Don Carlos rückt, erklärt sich aus eben dieser moralischen Grundlage; um ihn mit einem Aufwande von Kasuistik schuldig zu machen, mußte Schiller erst die Briefe über Don Carlos schreiben. Natürlich mußte das spätere ästhetische Ideal einen ganz anderen Effekt in der Dichtung haben, als das moralische. In den Schillerschriften Fischers war vorwiegend Veranlassung gegeben, auf den Zusammenhang von Schillers philosophischen Ansichten mit seiner Lyrik Bezug zu nehmen; ist doch gerade die Gedankenlyrik Schillers der direkteste, sprechendste Beweis für die zwischen beiden bestehende intime Verknüpfung! Die Theosophie des Julius mit ihrer allmächtigen Liebesbegeisterung wie gewaltig zittert sie nach in der Freundschaftsode und im Lied an die Freude! Daß in der Konzeption des Romans „Der Geisterseher" philosophische und poetische Elemente sozusagen als koordinierte Bestandteile nebeneinander hergehen, mag beiläufig erwähnt sein. Überaus bedeutsam sind aber auch in dieser Hinsicht die Künstler“, die ja den Charakter eines ideenreichen Lehrgedichts mit dem eines philosophischen Hymnus vereinigen. „Es ist ein Gedicht," schrieb Schiller selbst treffend, und keine Philosophie in Versen; und es ist dadurch kein schlechteres Gedicht, wodurch es mehr als ein Gedicht ist.“ Wie diese Dichtung abschließend zu dem philosophischen Ideengehalt seiner ersten Periode sich verhält, so „Ideal und Leben“ zu dem seiner zweiten. Seine ganze dichterische Energie spannte sich auf dieses tiefsinnige Werk, das als Frucht der ästhetischen Briefe seiner geläuterten Kunstanschauung die poetische Form leihen sollte; hier dichtete er sich aus der Philosophie

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heraus, wie er sich vorher aus der Poesie herausphilosophirte. Es ist gewiß," urteilte Schiller in einem Briefe an Humboldt, „daß die Bestimmtheit der Begriffe dem Geschäft der Einbildungskraft unendlich vorteilhaft ist. Hätte ich nicht den sauren Weg durch meine Ästhetik ge= endigt, so würde dieses Gedicht nimmermehr zu der Klarheit und Leichtigkeit in einer so difficilen Materie gelangt sein, die es wirklich hat." So trugen Schillers Abhandlungen, wie Fischer noch des öfteren im einzelnen darthut, einen Reichtum poetischer Keime in sich, woraus eine Fülle von Gedichten schnell und überraschend hervorsprang. Zahlreiche seiner Epigramme entsprechen gewichtigen Aussprüchen seiner Prosaschriften; das Thema zum „Eleusischen Fest" ist in einigen Ausführungen der Briefe über ästhetische Erziehung enthalten, und in dem Aufsaß über naive und sentimentalische Dichtung wurde „der satirische Stoff gesammelt und bereitet, der sich alsbald in den Xenien wie ein Plaßregen über die zeitgenössische Litteratur ergoß“.

4. Eine andere, nicht minder wichtige Nüancierung des philosophisch-poetischen Parallelismus finden wir bei Lessing.') Auch er darf ja bis zu einem bestimmten Grade den produktiven Philosophen zugezählt werden; einerseits weist er zurück auf Leibniz, dessen Universalismus er eklektischer Verflachung gegenüber nicht nur am besten begreift, sondern auch energisch weiterbildet, andererseits blickt er vorwärts auf Kant, von dessen echt kritischem Geiste schon in Lessings Prosaschriften ein Hauch vordeutend zu spüren ist. Als Dichter wie als Denker ist Lessing vollendetster Repräsentant des Aufklärungszeitalters; die rationalistische Grundrichtung seines Geistes aber forderte geradezu, daß er mit hellstem Bewußtsein zwischen Gefühl und poetischem Schaffen durch die Reflerion zu vermitteln suchte. Wie mit gleicher Entschiedenheit kein zweiter Dichter, erleuchtet er seine

1) G. E. Lessing als Reformator der deutschen Litteratur. Zwei Teile, Stuttgart 1881.

Empfindungen durch Begriffe, nachdem er sie durch die bildliche Darstellung greifbar gestaltet hat. „Erst die Fabeldichtung, dann seine Abhandlungen über die Fabel; erst seine Sinngedichte, dann die Abhandlung über das Epigramm; erst die Sara, dann seine Briefe an Nicolai und Mendelssohn, worin er die jenem Trauerspiel gemäße Wirkung, das Mitleid, als die wahrhaft tragische zu begründen sucht; erst die Minna von Barnhelm und die in ihrer ältesten Form schon ausgeführte Emilia Galotti, dann die Dramaturgie." Das vornehmste Beispiel jedoch für dieses wechselseitige Ineinandergreifen von Dichten und Denken bieten die Beziehungen, die zwischen dem Nathan und seinen philosophisch-theologischen Schriften stattfinden; in ihrer Erhellung feiert Fischers philosophische Interpretationsgabe einen ihrer glänzendsten Triumphe.

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- Auf dem Wege notgedrungener Verteidigung sind Lessings Streitschriften gegen den Hauptpastor Goeze entstanden; aber keine disponirende Kunst hätte ihre Ordnung planvoller anlegen, das Grundthema des religiösen Lebens flarer darstellen können. Die Parabel" von der Feuersbrunst im Palaste zeichnet geistreich das Verhältnis von Religion und Bibel; auf die „Bitte“ und das „Absagungsschreiben“ folgt das polemische Programm, das Lessing „Ariomata“ betitelt hat. Hier stehen die wuchtigen Säße, daß der Buchstabe nicht der Geist und die Bibel nicht die Religion, daß die Bibel nicht Quelle des Glaubens, sondern der Glaube Quelle der Bibel sei. Im Anti-Goeze" fordert Lessing deshalb das Recht der freien Prüfung der Religionsurkunden; die Frage nach dem Unterschied des wahren und falschen Glaubens, die er hier bereits stellte, nimmt er in der Erziehung des Menschengeschlechts", die den Gegensaß von Vernunft und Offenbaruug in dem geschichtsphilosophischen Begriffe der fortschreitenden Offenbarung zu versöhnen sucht, wieder auf. Danach werden die Religionen nicht künstlich gemacht, sondern sie erscheinen mit geschichtlicher Notwendigkeit als Stufen im natürlichen Ent

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wicklungsgange der Menschheit; jede Religion ist als Erziehungsmittel für ein bestimmtes Alter derselben notwendig und berechtigt, aber nicht alle sind von gleicher Höhe der Einsicht und Läuterung. Auf diese Erkenntnis gründet sich die wahre Duldung; sie hat nichts zu thun mit dem bequemen Bildungsdünkel, dem der Sinn für die Bedürfnisse der Religion abgeht und jeder Glaube als Aberglaube erscheint; nichts mit dem Glaubensdünkel, der kein Verständnis für die historisch bedingte Verschiedenheit der Religionen besißt und den eigenen Glauben für den alleinberechtigten hält; nichts mit der Schwärmerei, die von der Art des Fortschritts nichts weiß und ein Werk von Jahrtausenden im Augenblick vollendet sehen will.

Man vergleiche nun mit diesen theoretischen Erörterungen Lessings den Grundgedanken von „Nathan dem Weisen", und man wird der lichtvollen Analyse des Philosophiehistorikers dankbar sein, daß man Plan und Charaktere jest mit so tiefem Verständnis durchdringen kann, wie es ohne Kenntnis der Denkarbeit Lessings niemals erreichbar gewesen wäre. Die Erzählung von den drei Ringen ist nichts anderes, als die Erziehung des Menschengeschlechts übersetzt in die Sprache der Parabel; auch sie lehrt, daß als Erziehungsmittel alle Religionen gleich wahr und gleich falsch, als äußerliche Glaubensformen aber wertlos sind, und daß in Jahrtausenden das Symbol überflüssig sein werde, weil dann an seine Stelle die Sache getreten ist. Und was der Parabel in fernster Zukunft erscheint, die Wiedervereinigung der Menschheit als Frucht ihrer religiösen Erziehung und Reife, vergegenwärtigt die Dichtung im Umfange einer Familie. Nicht die Komposition, sondern die Grundidee ist die Hauptsache in diesem Drama; nicht aus jener, sondern aus dieser erklären sich die Charaktere. Die oberflächliche Ansicht, als ob die drei Religionen in den Charakteren personifiziert seien, hätte nie Play greifen können, wenn man ihre religiöse Motivierung verstanden hätte. Sie versinnlichen vielmehr die Religion in

ihren wahren und ihren entstellenden Zügen, den Unterschied zwischen echtem und unechtem Glauben in einem dramatischen Gemälde, das nach der Verschiedenheit menschlicher Gemütsart seine Farben abstuft. Dem Ziele des echten Glaubens, der Selbstverleugnung, der Herzensreinheit, sind die einen näher, die anderen ferner, je nach der Macht der widerstrebenden Elemente ihrer Natur. Auf den Patriarchen, der das völlige Gegenteil echter Religiosität, den Egoismus in allen seinen Spielarten verkörpert, folgt in Daja jene unmündige Art religiöser Bildung, welcher der Glaube als ein Besit erscheint, mit dem man gegen Andersgläubige Staat macht. Dem Glaubensdünkel steht im Tempelherrn der Stolz des Freigeistes gegenüber, dessen innerer Widerspruch darin liegt, daß er den Glaubenswahn verachtet und doch auf die Befangenen hochmütig herabfieht. Streitet in ihm die Selbstverleugnung mit der Unduldsamkeit gegen die Armen im Geiste, so stößt sie sich bei dem schlichten, ehrlichen Klosterbruder an der Demut, die in ihrer Flucht vor der Welt zum Kleinmut herabsinkt; darum ist sie in beiden gebunden und unfrei. Und auch bei dem sonst so freien Dervisch wird die Weltentfremdung zur Klippe der Selbstverleugnung; seine Menschenliebe, der es erst in der Einsamkeit der Wüste wohl wird, kann nicht die rechte sein. Saladin erscheint als Typus der Selbstverleugnung auf der Höhe der Welt: bedürfnislos, ohne Kleinlichkeit, empfänglich für alles Große und Edle, begabt mit dem Talent neidloser Duldung. Doch auch diese großartige Natur hat ihre Mängel; der natürliche Adel ist die Wurzel seines Charakters, aber an seinen natürlichen Neigungen scheitert unter Umständen seine Selbstbeherrschung: weder hält er im Guten das richtige Maß, noch bleibt er frei von Fehltritten, von despotischen Anwandlungen. Diese lezte Bedingung, daß die Selbstverleugnung nicht auf beweglichen Neigungen, sondern auf wahrer Weisheit und Menschenkenntnis beruhe, die sich selbst nicht untreu werden kann sie erfüllt sich erst im Charakter Nathans. In

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