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das uns in himmlischer Klarheit einleuchtet, bevor es sich im Drange des Lebens erfüllt“. In dem Schicksale des Faust, das einen Augenblick wie schwebend erscheint zwischen dem Herrn und dem Satan, handelt es sich um die Lebensfrage der Menschheit. Wenn höchstes Streben zu nichte werden, wenn jene echte Nichtbefriedigung, die nicht aus dem Elend der Welt, sondern aus den Hemmnissen der eigenen Kraft quillt, der Hölle verfallen kann, dann giebt es nichts wahrhaft Erhabenes in der Welt, dann ist das Menschengetriebe ein leeres Possenspiel. Daß es sich nicht so verhält, daß die Menschheit zur Lösung einer sittlichen Weltaufgabe berufen ist, bezeugt der Herr mit dem Hinweis auf Faust. Sowohl dem Herrn wie dem Teufel gilt Faust als Repräsentant und Typus der Menschheit; dem Satan erscheint als Tollheit, als flackerndes Irrlicht, worin Gott die höchste Bethätigung des Menschengeistes erblickt: das titanische Streben, das Universum zu zwingen. Mit Kant, der im Kampfe zwischen dem guten und bösen Prinzip an die menschliche Willenskraft appellierte, mit Fichte, dessen Weltansicht von der Idee des absoluten Strebens durchdrungen war, sieht Goethe das Wesen und die Bestimmung der Menschheit in ihrer fortschreitenden Läuterung: die Gedanken der Philosophen, die in den höchsten Gegensäßen die höchste Versöhnung anstrebten, gestalten sich ihm zur Tragödie, zur Tragödie der Menschheit. habenem Humor läßt Gott den Teufel gewähren, gestattet er ihm, den Faust seine Straße sacht zu führen; der Geist der Versuchung gehört in die sittliche Welt und hilft unfreiwillig am Werke der Schöpfung, da ohne ihn das Streben erschlaffen würde. Mephistopheles kennt nur die kleine, vom Elend geplagte Menschenwelt; was auch dem schlauesten der Teufel verschlossen bleibt, ist das ihr eingeborene Sehnen nach Klarheit. Das Werdende, das ewig wirkt und lebt, zu erkennen, vermag nur die liebevolle, von der Schönheit der Welt ergriffene Betrachtung der Kinder des Lichts. So ist im Prolog die Grundidee völlig ent

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halten; sein Thema von ewigem Inhalt, von dem Fall und der Läuterung des Menschen, erhebt den Faust zu unserer divina commedia. Das Drama in seinem Verlaufe veranschaulicht die auf einander folgenden Phasen der Prüfung: Faust erklimmt eine Höhe, wo die Weltgenüsse und das Weltelend ihm nichts mehr anhaben, wo er sagen darf: Genießen macht gemein". Nicht den Irrtum schließt diese Höhe aus, wohl aber den Fall in das Netz des Verfuchers; nicht Unfehlbarkeit, aber Unverführbarkeit wird erreicht, und zwar ohne himmlische Zuthat, ohne Verklärung von außen. „Eben darin liegt,“ schließt Fischer seine gedankentiese Erörterung,,,bei der Gleichartigkeit des Themas der Unterschied zwischen Dante und Goethe, zwischen dem Dichter des Mittelalters und der Neuzeit: daß bei diesem das Leben selbst das gewaltige Fegefeuer, die Welt selbst das große Purgatorium ist, und die Entwicklungsstufen einer bedeutenden Menschennatur zugleich Läuterungsstufen sind."

6. Endlich bedarf es noch eines Wortes zur Kennzeichnung einer legten Grundform, in welcher das Eingreifen der Philosophie in die Entwicklung des Poeten zu Tage tritt. Wie fie bei Schicksalen, die ihnen ans innerste Mark greifen, von selbst sich ihnen aufdrängt und für sie weiterhin teils Marime des Handelns, teils Durchgangspunkt zwischen Leben und Dichtung wird, darf die Forschung schon vom Standpunkte des biographischen Interesses aus nicht übersehen: „Lebenszustände vergeistigen sich in Lebensanschaungen, und diese verdichten sich wieder zu Schicksalen.“ Unter unseren Heroen steht hier wiederum Schiller im Vordergrunde. Seine Erlebnisse führten ihn zu grüblerischen Stimmungen, für welche er in ethischen Theorieen Anhaltspunkte fand. Aus einem mit philosophischer Abstraktion gemengten Gefühlsleben sind seine Lauragedichte hervorgegangen; namentlich „Das Geheimnis der Reminiscenz an Laura" ist durchdrungen von den metaphysischen Grundgedanken der platonischen Lehre. In der Seele des

Dichters wogte damals der Streit zweier Weltanschauungen, die Fischer unter der Bezeichnung „Theosophie und Atheismus" mit großer Feinheit charakterisiert hat; nach der einen herrscht die Weltharmonie und in ihr Gott und die Liebe, nach der anderen der öde Weltmechanismus und kraft desselben Tod und Verwesung. Je idealer und optimistischer Schiller von sich aus gesinnt war, desto schmerzlicher empfand er als Regimentsmedikus die Nichtigkeit seiner Umgebung, desto ungestümer lehnte er sich auf gegen die Fesseln, die ihn an der Ausübung seiner Geisteskräfte hinderten; niemals aber behielt, wie in seiner gährendsten Zeit das Gespräch „Der Spaziergang unter den Linden" bezeugt, der Materialismus bei ihm das leßte Wort. Wie weit die poetischen Wirkungen dieser seelischen Kämpfe sich erstrecken, zeigt Fischer an der merkwürdigen Thatsache, daß in den „Räubern" die Anschauungen der beiden feindlichen Brüder in einem Punkte harmonieren: Karl Moor erscheint das Leben gleich einem bunten Lottospiel ohne Treffer, Franz Moor erscheint es gleich einem Moraste. Aber die praktischen Folgerungen, die sie ziehen, laufen einander schnurstracks zuwider; „so viel hängt davon ab, welcher Art die Motive des Materialismus sind: ob eine erhabene Gesinnung nach dem Schiffbruch ihrer Ideale in ihm strandet oder die niedrigste Selbstsucht zu flotter Fahrt mit ihm segelt." Und so viel hängt für die homogene Beurteilung derartiger Motive davon ab, daß man philosophisch untersucht, auf welche Zustände im Innern des Dichters ihre Entstehung sich zurückführt. Wie eine Warnung an den akademischen Unterricht der Gegenwart klingen die energischen Säße, in denen Fischer seine Ansicht hierüber zusammenfaßt: „Die Philosophie ist in die neue Litteratur dergestalt eingedrungen und mit der poetischen verschwistert, daß man diese unmöglich ohne jene verstehen, geschweige lehren kann. Dies gilt von der neueuropäischen Litteratur insgesamt, ganz vorzüglich von der deutschen und zwar bis zum heutigen Tag.“

II. Die entwicklungsgeschichtliche Methode.

Hiermit ist evident erwiesen, daß ohne die Basis gründlicher philosophischer Kenntnis das Gebiet unserer klassischen Litteratur weder in seinem vollen Umfange noch in seiner ganzen Tiefe durchforscht werden kann: nicht in vollem Umfange, weil unsere Dichterheroen zugleich als Denker ihre Kraft erprobt haben und Mitbegründer der modernen Weltanschauung geworden sind; nicht in ganzer Tiefe, weil gerade ihre bedeutendsten Werke als Auswirkungen der nämlichen Kulturströmung anzusehen sind, deren Niederschlag in den gleichzeitigen philosophischen Systemen erfolgt ist. Noch aber bleibt jenen Philologen, die nichts als Philologen sind, die Möglichkeit offen, den Teil der klassischen Dichtung zu ihrem Arbeitsfeld zu wählen, auf den die beiden bezeichneten Momente scheinbar keine Anwendung finden. Von vornherein wird sich freilich hiergegen das Bedenken erheben, ob man eine solche Ausscheidung aus einem in sich geschlossenen Gebiet ohne Schädigung der Sache vornehmen könne; und die Berechtigung dieses Bedenkens aufzuzeigen, würde nicht schwer fallen. Doch tiefer liegt der Grund, weshalb die Philosophie im Interesse der Wissenschaft ihre Suprematie innerhalb der litterarhistorischen Forschung zu proklamieren die Pflicht hat, weshalb wir Kuno Fischer hier eine führende Stellung zugestehen müssen. Sofern die Litteraturforschung des philosophischen Denkens, der philosophischen Methode. sich entschlägt, ist sie unfähig, auf die Höhe ihrer Aufgabe sich zu erheben: diesen Saß stellen wir an die Spiße, mit ihm stehen und fallen unsere Ausführungen. Wir treten die Beweisführung an, indem wir uns zunächst die Bedeutung der philosophischen Methode klarmachen und dann im Einzelnen untersuchen, weshalb sie bei den Anforderungen, die an den Litterarhistoriker auf seinem Wege herantreten, ständig in Anspruch genommen werden muß. Deutlich

werden wir dann zugleich die Stellen erkennen, wo die Ergebnisse von Fischers logischen Untersuchungen in seine Litteraturstudien einmünden.

A. Allgemeines.

1. Die Geschichte der Litteratur erforschen, heißt ihre Entwicklung sich zum Bewußtsein bringen. Nun be deutet Entwicklung, das Wort im wissenschaftlichen Sinne genommen, eine Reihe zusammengehöriger Bildungsformen, weiterhin das Hervorgehen neuer, höherer Bildungsstufen aus vorhandenen, mit einem Worte Entfaltung gegebener Anlagen. Hieraus folgt, daß die Einsicht in das Wesen der Entwicklung bedingt ist durch die Einsicht in die Anlage des Subjekts, das Träger dieser verschiedenen Formen, gleichsam „der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht" ist. Der historisch-genetischen Methode ist es nur um die äußere zeitliche Folge zu thun, und mit ihren Mitteln würde sie ein anderes Ziel auch nicht erreichen können. Jene treibende centrale Kraft, jener innere Zweck der Entwicklung bleibt ihr verborgen, oder vielmehr sie wird ihn verkennen; denn wenn sie, ihrer Aufgabe getreu, auf den Anfang eines historischen Prozesses zurückzugehen strebt, so wird sie notgedrungen die äußere Entwicklung an Stelle der inneren seßen, im Ursprung eines Subjekts Grund und Wesen desselben sehen, statt in ihm nur seine erste Erscheinungsform zu erkennen. Erst die philosophische Methode lehrt vermöge ihrer vertieften Teleologie, die sie Kant und Hegel verdankt, daß es eben dieses ideelle Subjekt, dieser substantielle Kern ist, der in allmählichem Sichausleben vom unmerklichen Keime durch immer reichere Werdeformen zum ausgereiften Gebilde sich auswächst, mag es sich nun um das gesamte geistige Leben einer Epoche, um das Innenleben eines Menschen oder um das einzelne Werk eines Künstlers handeln. In allen Fällen müssen wir uns gegenwärtig halten, daß wir den Schlüssel zum Verständnisse verlieren, sobald wir die Teile betrachten

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