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und Schönen der Menschengeist zu seiner höchsten Bestimmung fich auslebt.

Das hellenische Ideal des xaloxaɣadóv ist es, das von dieser Bestimmung beredtes Zeugnis ablegt; und dies Ideal hat in der klassischen deutschen Litteratur seine Auferstehung gefeiert. Der Bund," sagt Kuno Fischer, „den in den klassischen Tagen Deutschlands Denker und Dichter geschlossen haben, ist ein unverbrüchliches Testament der Geschichte geworden; die Wahrheit hat in der Schönheit ihre Schwester erkannt." Die fachmäßige Erforschung unserer Poesie muß somit auf die gleichzeitige Philosophie unausgeseßt Rücksicht nehmen; wenn ein Historiker der deutschen Litteratur philosophischen Fragen fremd oder gar feindlich gegenübersteht, so verschließt er sich damit von vornherein das eigentliche Verständnis des wichtigsten Gebietes der deutschen Dichtung, verzichtet er darauf, einen wesentlichen und unentbehrlichen Teil seines wissenschaftlichen Stoffes in den Bereich seiner Betrachtung zu ziehen. Und wie ausgedehnt dieses Stoffgebiet ist, zeigt sich mit immer zunehmender Deutlichkeit an der mannigfachen Art und Weise, in welcher der maßgebende Einfluß der Philosophie auf unsere großen Dichter sich geltend gemacht hat.

2. Da drängt sich uns zunächst rein äußerlich die Thatsache auf, daß zum mindesten einer von ihnen als schöpferischer Denker einen Ehrenplay in den Annalen der Philosophie sich errungen hat; von Schiller dem Philosophen müßte die Geschichte des deutschen Geistes reden, auch wenn sie von Schiller dem Dichter nichts zu berichten hätte, weil er zwischen den ästhetischen Theorieen Kants und Schellings das historisch notwendige Bindeglied repräsentiert. Mit der Folgerichtigkeit einer dramatisch bewegten Aktion rollt sich in Fischers meisterhafter Schrift „Schiller als Philosoph",") die in der Seele des Dichters zu lesen

1) Zweite Auflage. In zwei Büchern, Heidelberg 1891 und 1892 (Schiller-Schriften 3 und 4).

weiß, seine philosophische Entwicklung vor uns ab, sein erfolgreiches Ringen mit dem Material der schwierigsten und abstraktesten Begriffe, Akt um Akt und Szene um Szene, in wunderbar feiner Gliederung. Den Prolog bilden die „Philosophischen Briefe", jene merkwürdigen theosophischen Hymnen, die durchglüht sind von dem Gedanken, daß die ganze Schöpfung in der Stufenreihe ihrer Gebilde ein harmonisches Seelenreich sei, ein lebendiges Abbild des göttlichen Wesens. Der alles bewegende Hauch, das innerste Gesetz und Thema der Welt ist die Liebe; sie lehrt uns, unter Verzicht auf egoistisches Glück uneigennüßig der sittlichen Idee der Menschheit uns hinzugeben. In der eigenen Sphäre schöpferisch zu wirken durch vollendete Werke menschlicher Kunst, die Kunst als Mittel zur Erfüllung der sittlichen Zwecke der Menschheit zu gebrauchen, das ist die Forderung, die demgemäß Schiller an „die Künstler" stellt. So steht die Schönheit zwischen Sinnenwelt und Geisterwelt wie ein geheimnisvoller Wegweiser, der von jener zu dieser hinüberführt; es ist Schillers erstes Problem, zu erkennen, wie das Moralische ästhetisch wirken. könne, wie das schmerzlich empfundene Opfer der Neigung mit der gefälligen ästhetischen Vorstellung sich vereinbare. Und er erklärt: es giebt ein Leiden, das wir mit Lust empfinden, weil es unsere sinnliche Natur schmerzt, aber unsere sittliche erhebt, nämlich die Aufopferung des Menschen für einen hohen Zweck; tragischer Gegenstand ist allein die fittliche Größe des Helden sie ist erhaben, denn sie erhebt ihn durch das moralische Selbstgefühl über die sinnliche Ohnmacht. Durch alle seine Untersuchungen über das Tragische, Pathetische, Erhabene zieht sich der moralische Gesichtspunkt nach dem Vorbilde Kants, am bedeutsamsten hervortretend in jenen Ausführungen, worin der Dichterphilosoph von der Höhe kraftvoller Selbstüberwindung den Tod betrachtet als einen Vorgang, der uns als Sinnenwesen treffe, als moralische Wesen nicht antaste, und zu dem Schlusse kommt: das Schöne mache sich bloß verdient

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Indessen stand seiner Künstlernatur der ästhetische Gesichtspunkt doch zu nahe, und in der That lag in der Begründung seines sittlichen Ideals auf die uneigennüßige Liebe, also auf eine Neigung, schon der Keim zu einer mehr ästhetischen Auffassung. Bald entdeckte er im Begriffe der natürlichen Schönheit die Aufhebung des Zwiespalts zwischen der sinnlichen und der geistigen Natur des Menschen; es ist die Anmut, worin dieser Gegensaß zur schönen Moralität, zur sittlichen Grazie sich auflöst. War in den „Künstlern" die Schönheit erst Vorstufe des Guten gewesen, so erscheint sie jest als dessen Vollendung; von dieser Anschauung gehen. nunmehr die Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen" aus. Sie verlangen als Vorausseßung für die Herrschaft des Sittengeseßes im menschlichen Leben eine Bildung, eine Veredlung des sinnlichen Menschen, wie sie allein durch die Kunst bewirkt wird; die Menschen müssen ästhetisch werden, ehe sie moralisch werden das ist der Ausgangspunkt. Denn nur die ästhetische Betrachtung macht den Menschen wahrhaft frei, befriedigt beide Seiten seiner Natur; während der sinnliche Mensch der Macht der Eindrücke unterworfen ist, die ihn gefangen nehmen, während die Qual der Probleme das Leiden des Geistes ist, fühlen wir im ruhigen Verweilen der Phantasie auf den Objekten uns frei sowohl von den Bestimmungen, mit denen das Leben uns fesselt, als auch zu den Bestimmungen, die das Leben enthält. In diesem Indifferenzpunkte der formgebenden und der stoffempfangenden Kraft besteht der ästhetische Zustand. Wenn der Mensch ästhetisch geworden ist, braucht er nicht erst moralisch zu werden, er ist dann wie einer, der von Natur thut des Gefeßes Werk -- das ist das Endergebnis der ästhetischen Briefe. Die schöne Humanität löst das tragisch verschlungene Menschenleben und jeden drohenden Konflikt zu rein gestimmter Harmonie auf. Aus dieser Theorie des Schönen folgt Schillers Poetik, die namentlich in der Schrift über naive und

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sentimentalische Dichtung“ ihren Ausdruck gefunden hat. Als wichtigstes Resultat seines Denkens, als seine historische Leistung bleibt bestehen der Durchbruch des ästhetischen Prinzips in das Reich des Objektiven, wie er aus der Lehre Kants als nächster höherer Standpunkt hervorging; Schiller zuerst hat unter dem neu eroberten (kritischen Gesichtspunkte verkündet, daß die ästhetische Wirkung der Dinge nicht bloß in der Einrichtung unserer Vernunft, sondern auch in ihrer eigenen Beschaffenheit ihren Grund habe, daß die Schönheit eines sei mit der Freiheit der Erscheinung. Dies ist der schwerwiegendste der inneren Gründe, die für die Auffassung Kuno Fischers sprechen, wonach Schillers philosophische Entwicklung als ein stetiges Emporstreben aus einseitig moralischen zu weitherzig ästhetischen Anschauungen sich darstellt. Fischer übersieht dabei nicht, daß äußerlich in den Ansichten Schillers über das Verhältnis von Sittlichkeit und Kunst eine ungelöste Antinomie bestehen bleibt, insofern der moralische Zustand zum einen Teil aus dem ästhetischen als der höhere hervorzugehen, zum anderen Teile im ästhetischen bereits enthalten scheint. Jedenfalls erhellt Fischers Deutung von Schillers philosophischen Resultaten trefflich die Mitarbeit des Dichters an den Denkproblemen seiner Zeit. Es läßt sich leicht zeigen, daß die Sache bei anderen Klassikern ähnlich liegt. Man denke nur an Herder mit seinem Bestreben, ,,die Leibnizische Metaphysik für die Geschichte urbar zu machen“, mit seinen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit! Und wer vermöchte Hamann, dem doch jede Litteraturgeschichte einen breiten Raum einräumen muß, wirklich zu verstehen, ohne in den Gegensaß von Gefühlsund Verstandesphilosophie eingedrungen zu sein, aus dem die Eigenart dieser merkwürdigen Übergangspersönlichkeit im Guten wie im Schlimmen sich herleitet? Sogar die Würdigung eines Lavater muß bei Leibniz sich Rat holen; denn dieser hat das Psychologisch-Irrationale entdeckt, das ,,die Originalitätsphilosophen als Genie, Glaube, Religion

Zeit hinaus sezt dieser philosophische Zug bei den deutschen Dichtern sich fort, ja in der romantischen Schule äußert er sich mit denkbar größter Intensität; es bleibt daher ein hoch anzuschlagender Gewinn für die Wissenschaft, daß diese wichtige Periode in einem philosophischen Forscher von der Bedeutung Rudolf Hayms ihren Geschichtschreiber gefunden hat. Auch im jungen Deutschland fährt die Philosophie fort eine wichtige Rolle zu spielen; es muß anerkannt werden, daß der jüngste Darsteller dieser Bewegung, Georg Brandes, den dadurch bedingten Charakter des historischen Problems wenigstens richtig erkannt hat.

3. In der Beteiligung unserer Dichter an der Lösung philosophischer Aufgaben hat nun die Litteraturforschung einen weiteren prinzipiellen Fingerzeig zu erblicken. Nachdrücklich weist Fischer auf die Kongruenz hin, die zwischen der Theorie und der Praris der Dichter besteht, zwischen ihrem philosophischen Denken und ihrem poetischen Schaffen; durch das eine Moment fällt, wie sofort einleuchtet, auf das andere das hellste Licht. Bei Schiller würde man ohne Berücksichtigung dieser Wechselwirkung gänzlich fehlgehen; wenn einer, so ist er ein philosophischer Künstler und ein künstlerischer Philosoph, und allein diese Erkenntnis giebt den Schlüssel zu seiner dichterischen Individualität. Nicht als ob die Philosophie die Schule der Dichter wäre: mit Recht sagt Fischer, die Dichter, die aus einer solchen Schule kamen, seien niemals die besten gewesen; aber ebenso entschieden betont er, daß in Schiller als Philosophen sich am deutlichsten ausspreche, was Schiller als Dichter war und sein wollte“. Die Eigentümlichkeit seiner Natur nötigt ihn, sich über das Wesen der Kunst klar zu werden; er hört auf zu philosophiren, sobald er dies Ziel erreicht hat. Auf seine gesamte poetische Thätigkeit aber gewinnen fort und fort seine theoretischen Ansichten bestimmenden Einfluß. Als ihm das einseitig moralische Ideal vorschwebt, dichtet er einen unschuldigen Helden, dessen Bild sich aus charakte

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