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von Behauptungen an, die zum Theil auf den abenteuerlichsten Vorstellungen beruhen. Man wusste nicht, wo man den Feind suchen sollte, und deshalb sah man ihn überall. Furcht und Schrecken, unterstützt durch die in beständiger Angst überreizte Phantasie, gestatteten kein ruhiges Erwägen mehr, das mit Thatsachen rechnet; kein Hirngespinnst war absurd genug, als dass es nicht Glauben gefunden hätte. - So trifft man äusserst selten, dass ein Schriftsteller selbstständig den erdrückenden Wust von Gerüchten und vagen Behauptungen sichtet, sondern es vorzieht, möglichst erschöpfend zu referiren. Bisweilen wird auch der Brunnen Erwähnung gethan, nicht oft, weil fast nur das Uebernatürliche bei den Zeitgenossen Anklang fand. So liefern die meisterhaften Schilderungen der jüdischen Pest von Josephus, der justinianischen Pest von Procop und der bekannten Pest in Florenz von Bocaccio eher für den Moralisten als für den Mediciner Ausbeute. Während der grossen deutschen Pest in der Mitte des 14. Jahrhunderts wurden einige Juden processirt, denen man vorwarf, Brunnen vergiftet, und dadurch die Seuche verbreitet. zu haben. Als im Jahre 1529 die ganze Blüthe des französischen Adels vor Neapels Mauern einer Seuche - wahrscheinlich Typhus exanthematicus erlag, behaupteten die Franzosen, ihre Feinde hätten Gift in die Brunnen geworfen, das jedem den Tod brachte, der von dem Wasser trank.

Je mehr sich die Vorstellungen, die man von dem Entstehen einer Seuche hatte, klärten, um so häufiger wurden die Vertreter der Ansicht, dass hiebei Luft, Nahrung (Wasser) und der Erdboden in erster Linie in Betracht kämen, andere Dinge aber, wie die Constellation der Gestirne etc. ganz gleichgültiger Natur wären. Den Boden zu bezichtigen, entschloss man sich nicht so leicht, weil er fast immer indirect zu wirken schien, indem er Luft oder Nahrung durch seine Bestandtheile verunreinigte, schliesslich also doch wieder Luft und Wasser das eigentlich inficirende Moment wären. Bald erforderten es die Umstände, dass man bei der Nahrungsinfection jene des Trinkwassers von der eigentlichen Nahrungsinfection unterschied, weil das Wasser der wichtigste Nahrungsstoff ist.

In neuester Zeit fasst man sich präciser. Man sagt, der Boden wirke direct infectiös, wenn Bodenbestandtheile unmittelbar von einem thierischen Organismus aufgenommen werden und eine Erkrankung bedingen. Als Beispiel führe ich ein Pferd an, das Erde in eine Fusswunde bringt, und nach einigen Tagen an Tetanus erkrankt; direct kann die Luft inficiren, wenn sie Erysipelcoccen enthält, direct das Wasser, wenn sich Typhuskeime in ihm befinden, die Nahrung, wenn sie Tuberkelbacillen beherbergt. Diese Eintheilung der Seuchenerreger nach dem Medium, von dem aus sie in einen Organismus übergehen, ist leichter durchzuführen, als wenn man das im Einzelfalle oft schwer zu constatirende Nährmedium in Betracht ziehen wollte, in dem die Keime wuchsen. Erst secundär kann es dann in Betracht kommen, ob das Wasser vom Boden oder einem thierischen Organismus aus Keime erhielt, die sich in ihm aufspeicherten oder eventuell vermehrten, oder ob die Luft durch Wasserdampf oder corpuskuläre staubförmige Elemente mit schädlichen Keimen geschwängert wurde.

Leider sind wir nicht im Stande, eine mit einem Schlage auftretende Epidemie in allen ihren Einzelheiten genau zu verfolgen. Wenn wir auch bei den meisten heutzutage auftretenden Seuchen das in Frage kommende infectiöse Agens kennen, sogar über die Existenzbedingungen desselben ausserhalb des Organismus einigermaassen unterrichtet sind, so dürften wir doch noch weit. davon entfernt sein, die Frage nach dem jeweiligen Herkommen und dem Uebertragungsmodus des Infectionserregers mit Bestimmtheit beantworten zu können; und vollends sind wir über die Gründe der Schwankungen im Verlaufe einer Epidemie, sowie das allmähliche Schwächerwerden und endliche Erlöschen derselben noch sehr im Unklaren.

Das Studium der Seuchen ist um so schwieriger, je seltener dieselben auftreten, und je mehr man sich von dem Auftreten derselben überraschen lässt. Abgesehen davon sind Menschenepidemien nur von allgemeinen und statistischen Gesichtspunkten aus zu betrachten; schon deshalb, weil in vielen Fällen eine Gewissheit der Diagnose erst durch den Sectionsbefund erbracht

werden könnte, was allgemein undurchführbar ist. Aber noch eine grosse Reihe von unübersteiglichen Hindernissen stehen der gründlichen Forschung entgegen, die hier aufzuzählen ich nicht nöthig erachte.

Viel günstiger würden sich in dieser Beziehung die Verhältnisse gestalten, wenn es gelänge, auf artificielle Weise eine Epidemie unter Thieren zu erzeugen, eine solche also gewissermaassen zum Labaratoriumsversuch zu gestalten. Hierbei können wir uns eines bestimmten Agens als Ausgangsmaterial bedienen, wir haben es in der Hand, einen genau bekannten und zu kontrollirenden Weg der Uebertragung des Erregers zu wählen, und wir sind im Stande, diese künstlich gesetzten Bedingungen auf die Möglichkeit und Intensität der Infection von Thieren zu prüfen. So können wir über alles verfügen, was uns erforderlich erscheint. Die Section und die Kulturversuche mit Blut und Organsaft geben uns absolute Gewissheit über die Todesursache, während zugleich jede Schwankung in der Vehemenz der nachgeahmten Seuche durch die Veränderung des Ausgangsmaterials zu dieser Zeit eine Erklärung finden muss.

In dieser Richtung bewegte sich der Auftrag, den mir Herr Geheimrath v. Pettenkofer ertheilte. In zuvorkommendster Weise wurde mir jedes gewünschte Material zur Verfügung gestellt, das zu den Versuchen erforderlich war.

Da mir in der Ausführung der Arbeit vollständig freie Hand gelassen wurde, folgte ich dem gütigen Rathe des Herrn Professor Dr. Emmerich, und wählte als Infectionserreger den Bacillus der Hühner-Cholera. So viel ich weiss, ist der genannte Bacillus der einzige als solcher, welcher ohne durch den normalen sauren Magensaft in seiner Fortpflanzungsfähigkeit und Virulenz Abbruch zu erleiden, vom Darm aus, dessen Epitheldecke durchbohrend, seine verderbliche Wirkung entfaltet. Er ruft verheerende Seuchen auf den Geflügelhöfen hervor und fordert die Hühnercholera alljährlich zahlreiche Opfer.

Die Hühnercholera ist eine wahre Septichämie, und verläuft als solche, gleichgiltig, ob die Thiere durch Impfung, Fütteruug oder Injection inficirt wurden. Der Koth der erkrankten Thiere

ist nicht viel weniger virulent als ihr Blut, eine Bemerkung, die auch für geimpfte Thiere Geltung behält. Der H. Ch. B. vermehrt sich bei Blutwärme in günstigen, flüssigen Nährböden äusserst rapid innerhalb der ersten 24 Stunden; von da ab kaum mehr in nennenswerther Weise.

Mit diesem B. der H. Ch. nun habe ich sechs verschiedene Brunnen inficirt und die Infectiosität des Wassers an Tauben und Hühnern erprobt. Ich halte für angezeigt, die genaue Beschreibung der Versuche und Angaben der dabei getroffenen Maassnahmen hier niederzulegen, und sowohl bei jedem einzelnen Versuche meine Beobachtungen anzugeben, als auch am Schlusse meine definitiven Folgerungen und Resultate zusammenzufassen.

I. Versuch.

Inficirung des Brunnens im hygienischen Institut mittels
Hühnercholera.

Fütterung von 4 Hennen und 4 Tauben mit dem inficirten Wasser während einer Zeit von 20 Tagen.

Dieser erste Versuch, für den mir keinerlei persönliche Erfahrungen zur Seite standen, war für mich in gewisser Beziehung nichts weiter als eine Orientirung, indem die erhaltenen und nicht erhaltenen Resultate mir als Wegweiser dienen mussten für fernere Versuche. Erst nach Abschluss desselben wurde es mir klar, eine wie grosse Anzahl von einschlägigen Fragen noch offen blieb und die Erwägung dieses Umstandes führte so zu einer Reihe von weiteren Versuchen, von denen jeder den vorhergehenden stützen und ergänzen sollte. Wenn auch der Grundgedanke derselbe bleiben musste, so konnten doch von Fall zu Fall eingehendere Vorbereitungen und specielle Dispositionen getroffen werden, um ein mechanisches Wiederholen mit der alleinigen Hoffnung auf gleiches Ergebnis zu vermeiden, was zwar die absolute Wahrscheinlichkeit der aus den Resultaten gezogenen Schlussfolgerungen vergrössert, die Allgemeinheit jedoch wesentlich beeinträchtigt hätte. Bei der empirischen Feststellung von Thatsachen ist die Variation der Bedingungen ein bedeutendes Moment, wodurch zahlreiche Einwände a priori abgeschnitten

Archiv für Hygiene. Bd. XV.

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werden und der Umfang eines Gesetzes seine gehörige Begrenzung findet. Hinterher sehe ich die Nothwendigkeit der Wiederholung des Versuches unter veränderten äusseren Bedingungen in gleichem Maasse ein, als mir zur Zeit des ersten Versuches dieser als ein erschöpfender und abgeschlossener erschien. Wollte ich z. B. den Kohlensäuregehalt des Regenwassers bestimmen, so würde ich, wenn ich ein Gefäss auf die Strasse hinausstellte, in dem so aufgefangenen Wasser eine gewisse Menge von CO2 nachweisen, die sehr verschieden sein kann von der, welche ein Beobachter gleichzeitig auf der Gallerie des Frauenthurmes findet. Hätte ich nun wirklich den Kohlensäuregehalt des Regenwassers in verschiedenen Höhen verschieden gefunden, so braucht der Procentgehalt von CO2 noch lange keine Function von der Bodennähe zu sein, sondern es kann derselbe ebenso gut noch abhängig sein von der Temperatur des Regens, dem Barometerstand u. dgl. Erst durch erneute Beobachtungen, nunmehr bei verschiedenen Temperaturen und Barometerständen vermöchte ich darüber in's Klare zu kommen.

Es war nun meine erste Aufgabe, eine Disposition der einzelnen Unterabtheilungen meines Versuches anzulegen und das Ganze möglichst einwandsfrei zu gestalten. Diese Disposition war für alle Versuche die gleiche und bestand aus folgenden Punkten:

1. Beschaffung einer möglichst virulenten Reincultur des H.-Ch.-B.

2. Herstellung einer Massencultur dieses virulenten Spaltpilzes.

3. Inficirung eines Brunnens mit dieser Massencultur.

4. Prüfung der Infectiosität des auf diese Weise künstlich inficirten Brunnenwassers.

In allen diesen Punkten sollten die Vorgänge, wie sie in der Natur sich finden, eine möglichst genaue Nachahmung erfahren, oder wenn es anging, sogar überboten werden, um ja den Brunnen sicher zu einer Infectionsquelle zu gestalten.

Wenn ich nun auf den ersten Versuch und die Durchführung des angegebenen Programmes bei demselben übergehe, so muss

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