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§. 147. Die Beamten der Staatsanwaltschaft haben den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesezten 161) nachzukommen.

In denjenigen Sachen, für welche das Reichsgericht in erster und leßter Instanz zuständig ist 12), haben alle Beamte der Staatsanwaltschaft den Anweisungen des Ober-Reichsanwalts Folge zu leisten 163).

§. 148. Das Recht der Aufsicht und Leitung steht zu:

1. dem Reichskanzler hinsichtlich des Ober-Reichsanwalts und der Reichsanwälte;

2. der Landesjustizverwaltung hinsichtlich aller staatsanwaltlichen Beamten des betreffenden Bundesstaates;

3. den ersten Beamten der Staatsanwaltschaft bei den Oberlandesgerichten und den Landgerichten hinsichtlich aller Beamten der Staatsanwaltschaft ihres Bezirks.

§. 149. Der Ober-Reichsanwalt und die Reichsanwälte sind nicht richterliche Beamte.

Zu diesen Aemtern sowie den Aemtern der Staatsanwaltschaft bei den Oberlandesgerichten und den Landgerichten können nur zum Richteramte befähigte Beamte 164) ernannt werden.

§. 150. Der Ober-Reichsanwalt und die Reichsanwälte werden auf Vorschlag des Bundesraths vom Kaiser ernannt.

Dieselben können durch Kaiserliche Verfügung jederzeit mit Gewährung des gefeßlichen Wartegeldes 165) einstweilig in den Ruhestand versezt werden.

§. 151. Die Staatsanwaltschaft ist in ihren Amtsverrichtungen von den Gerichten unabhängig.

§. 152. Die Staatsanwälte dürfen richterliche Geschäfte nicht wahrnehmen. Auch darf ihnen eine Dienstaufsicht über die Richter nicht übertragen werden.

§. 153. Die Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes sind Hülfsbeamte der Staatsanwaltschaft und sind in dieser Eigenschaft verpflichtet, den Anordnungen der Staatsanwälte bei dem Landgerichte ihres Bezirks und der diesen vorgesetzten Beamten Folge zu leisten.

Die nähere Bezeichnung derjenigen Beamtenklassen, auf welche diese Bestimmung Anwendung findet, erfolgt durch die Landesregierungen.

Elfter Titel.
Gerichtsschreiber.

§. 154. Bei jedem Gerichte wird eine Gerichtsschreiberei eingerichtet. Die Geschäftseinrichtung bei dem Reichsgerichte wird durch den Reichskanzler 166), bei den Landesgerichten durch die Landesjustizverwaltung bestimmt.

161) Vgl. § 148.

162) Vgl. § 136 Nr. 1 (S. 57).

163) Im Uebrigen ist der Ober- Reichsanwalt nicht Vorgesezter. Vgl. jedoch noch § 144 Abf. 3 (S. 58).

164) Vgl. §§ 2, 4 (S. 31, 32).

165) Vgl. §§ 26 ff. des Ges., betr. die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten, v. 31. März 1873 Nr. 920 (Bd 3 S. 49, 50).

166) Ist geschehen durch eine nicht publizirte Verfügung v. 23. September 1879 (vgl. Annalen des Reichsgerichte Bd 1 S. 7).

Zwölfter Titel.

Bustellungs- und Vollstreckungsbeamte.

§. 155. Die Dienst- und Geschäftsverhältnisse der mit den Zustellungen, Ladungen und Vollstreckungen zu betrauenden Beamten (Gerichtsvollzieher) werden bei dem Reichsgerichte durch den Reichskanzler 167), bei den Landesgerichten durch die Landesjustizverwaltung bestimmt 168).

§. 156. Der Gerichtsvollzieher ist von der Ausübung seines Amts kraft Gesetzes ausgeschlossen:

I. in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten:

1. wenn er selbst Partei oder gesetzlicher Vertreter einer Partei ist, oder zu einer Partei in dem Verhältnisse eines Mitberechtigten, Mitverpflichteten oder Schadensersaßpflichtigen steht;

2. wenn seine Ehefrau Partei ist, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;

3. wenn eine Person Partei ist, mit welcher er in gerader Linie verwandt, verschwägert oder durch Adoption verbunden, in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder bis zum zweiten Grade verschwägert ist, auch wenn die Ehe, durch welche die Schwägerschaft begründet ist, nicht mehr besteht;

II. in Strafsachen:

1. wenn er selbst durch die strafbare Handlung verleßt ist;

2. wenn er der Ehemann der Beschuldigten oder Verleßten ist oder gewesen ist;

3. wenn er mit dem Beschuldigten oder Verletzten in dem vorstehend unter Nr. I 3 bezeichneten Verwandtschafts- oder Schwägerschaftsverhältnisse steht.

Dreizehnter Titel.
Rechtshülfe. 169)

§. 157. Die Gerichte haben sich in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und in Straffachen Rechtshülfe zu leisten 170).

§. 158. Das Ersuchen um Rechtshülfe ist an das Amtsgericht zu richten, in dessen Bezirke die Amtshandlung vorgenommen werden soll.

§. 159. Das Ersuchen darf nicht abgelehnt werden.

Das Ersuchen eines nicht im Instanzenzuge vorgesetzten Gerichts ist jedoch abzulehnen, wenn dem ersuchten Gerichte die örtliche Zuständigkeit mangelt, oder

167) Vgl. die Vorschriften über die Dienst- und Geschäfts-Verhältnisse der bei dem Reichs, gericht mit den Zustellungen zu beauftragenden Beamten v. 11. Mai 1883 (Anlage II. S. 73). 168) Die Gebühren sind reichsgeseßlich geregelt. Vgl. die Gebührenordnung für Gerichtsvollzieher v. 24. Juni 1878 (Nr. 1256) und das Ges., betr. die Abänderung von Bestimmungen des Gerichtskostengeseßes und der Gebührenordnung für Gerichtsvollzieher, v. 29. Juni 1881 (Nr. 1435).

169) Vgl. Anm. 2 zu dem Ges., betr. die Gewährung der Rechtshülfe, v. 21. Juni 1869 Nr. 323 (Bd 1 S. 699 f.).

170) Für die Staatsanwaltschaften gilt dieser Titel (abgesehen von den §§ 162-164) im Allgemeinen nicht. Vgl. jedoch § 147 und gegenüber anderen Behörden § 153 des Gerichtsverfassungsges. und §§ 159, 160 der Strafprozeßordnung (Nr. 1169).

die vorzunehmende Handlung nach dem Rechte des ersuchten Gerichts verboten ist.

§. 160. Wird das Ersuchen abgelehnt, oder wird der Vorschrift des §. 159 Abs. 2 zuwider dem Ersuchen stattgegeben, so entscheidet das Oberlandesgericht 171), zu dessen Bezirke das ersuchte Gericht gehört. Eine Anfechtung dieser Entscheidung findet nur statt, wenn dieselbe die Rechtshülfe für unzulässig erklärt, und das ersuchende und das ersuchte Gericht den Bezirken verschiedener Oberlandesgerichte angehören. Ueber die Beschwerde entscheidet das Reichsgericht.

Die Entscheidungen erfolgen auf Antrag der Betheiligten oder des ersuchenden

i Gerichts ohne vorgängige mündliche Verhandlung.

§. 161. Die Herbeiführung der zum Zwecke von Vollstreckungen, Ladungen und Zustellungen erforderlichen Handlungen erfolgt nach Vorschrift der Prozeßordnungen 172) ohne Rücksicht darauf, ob die Handlungen in dem Bundesstaate, welchem das Prozeßgericht angehört, oder in einem anderen Bundesstaate vorzunehmen find.

§. 162. Gerichte, Staatsanwaltschaften und Gerichtsschreiber 173) können wegen Ertheilung eines Auftrags an einen Gerichtsvollzieher die Mitwirkung des Gerichtsschreibers des Amtsgerichts in Anspruch nehmen, in dessen Bezirke der Auftrag ausgeführt werden soll. Der von dem Gerichtsschreiber beauftragte Gerichtsvollzieher gilt als unmittelbar beauftragt.

§. 163. Eine Freiheitsstrafe, welche die Dauer von sechs Wochen nicht übersteigt, ist in demjenigen Bundesstaate zu vollstrecken, in welchem der Verurtheilte sich befindet.

§. 164. Soll eine Freiheitsstrafe 174) in dem Bezirke eines anderen Gerichts vollstreckt oder ein in dem Bezirke eines anderen Gerichts befindlicher Verurtheilter zum Zwecke der Strafverbüßung ergriffen und abgeliefert werden, so ist die Staatsanwaltschaft bei dem Landgerichte des Bezirks um die Ausführung zu ersuchen.

§. 165. Im Falle der Rechtshülfe unter den Behörden verschiedener Bundesstaaten sind die baaren Auslagen, welche durch eine Ablieferung oder Strafvollstreckung entstehen, der ersuchten Behörde von der ersuchenden zu erstatten.

Im übrigen werden Kosten der Rechtshülfe von der ersuchenden Behörde nicht erstattet.

Ist eine zahlungspflichtige Partei vorhanden, so sind die Kosten von derselben durch die ersuchende Behörde einzuziehen und der eingezogene Betrag der ersuchten Behörde zu übersenden.

Stempel, Einregistrirungsgebühren oder andere öffentliche Abgaben, welchen die von der ersuchenden Behörde übersendeten Schriftstücke (Urkunden, Protokolle) nach dem Rechte der ersuchten Behörde unterliegen, bleiben außer Ansaß.

171) Abweichung von § 72 (S. 44).

172) D. h. durch unmittelbares Angehen des Gerichtsvollziehers, ohne daß es der Rechtshülfe betarf (vgl. §§ 152, 176, 191, 674 der Civilprozeßordnung Nr. 1166, und §§ 37, 38, 495 der Etrafprozeßordnung Nr. 1169).

173) Auch die Parteien (vgl. § 152 Abs. 2, § 674 Abs. 2 der Civilprozeßordnung Nr. 1166). 174) Hinsichtlich der Geldstrafen vgl. § 161 des Gerichtsverfassungsges. und § 495 der Strafprozeßordnung (Nr. 1169).

§. 166. Für die Höhe der den geladenen Zeugen und Sachverständigen gebührenden Beträge sind die Bestimmungen maßgebend, welche bei dem Gerichte gelten, vor welches die Ladung erfolgt.

Sind die Beträge nach dem Rechte des Aufenthaltsorts der geladenen Personen höher, so können die höheren Beträge gefordert werden 175).

Bei weiterer Entfernung des Aufenthaltsorts der geladenen Personen ist denselben auf Antrag ein Vorschuß zu bewilligen.

§. 167. Ein Gericht darf Amtshandlungen außerhalb seines Bezirks ohne Zustimmung des Amtsgerichts des Orts nur vornehmen, wenn Gefahr im Verzuge obwaltet. In diesem Falle ist dem Amtsgerichte des Orts Anzeige zu machen.

§. 168. Die Sicherheitsbeamten eines Bundesstaates sind ermächtigt, die Verfolgung eines Flüchtigen auf das Gebiet eines anderen Bundesstaates fortzusehen und den Flüchtigen daselbst zu ergreifen.

Der Ergriffene ist unverzüglich an das nächste Gericht oder die nächste Polizeibehörde des Bundesstaates, in welchem er ergriffen wurde, abzuführen.

§. 169. Die in einem Bundesstaate bestehenden Vorschriften über die Mittheilung von Akten einer öffentlichen Behörde an ein Gericht dieses Bundesstaates kommen auch dann zur Anwendung, wenn das ersuchende Gericht einem anderen Bundesstaate angehört 176).

Vierzehnter Titel.

Oeffentlichkeit und Sizungspolizei.

§. 170. Die Verhandlung vor dem erkennenden Gerichte, einschließlich der Verkündung der Urtheile und Beschlüsse desselben, erfolgt öffentlich 177).

§. 171. In Ehesachen 178) ist die Oeffentlichkeit auszuschließen, wenn eine der Parteien es beantragt.

§. 172. In dem auf die Klage wegen Anfechtung oder Wiederaufhebung der Entmündigung einer Person wegen Geisteskrankheit eingeleiteten Verfahren (§§. 605, 620 der Civilprozeßordnung) ist die Oeffentlichkeit während der Vernehmung des Entmündigten auszuschließen, auch kann auf Antrag einer der Parteien die Oeffentlichkeit der Verhandlung überhaupt ausgeschlossen werden.

Das Verfahren wegen Entmündigung oder Wiederaufhebung der Entmündigung (§§. 593-604, 616-619 der Civilprozeßordnung) ist nicht öffentlich.

§. 173. In allen Sachen 179) kann durch das Gericht für die Verhandlung oder für einen Theil derselben die Oeffentlichkeit ausgeschlossen werden, wenn sie eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder der Sittlichkeit besorgen läßt.

§. 174. Die Verkündung des Urtheils erfolgt in jedem Falle öffentlich.

175) Vgl. §§ 13, 14 der Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige v. 30. Juni 1878 (Nr. 1257).

176) Vgl. § 397 der Civilprozeßordnung (Nr. 1166), § 96 der Strafprozeßordnung (Nr. 1169). 177) Ausdrücklich ist noch die Oeffentlichkeit ferner vorgeschrieben in den Fällen §§ 45, 91 des Gerichtsverfassungsges. (S. 40, 48), §§ 280 Abs. 2, 281, 288 Abs. 2 der Strafprozeßordnung (Nr. 1169).

178) Vgl. §§ 568-592 der Civilprozeßordnung (Nr. 1166).

179) Vgl. jedoch §§ 174, 175 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsges. und §§ 281, 288 Abs. 2 der Strafprozeßordnung (Nr. 1169).

§. 175. Ueber die Ausschließung der Oeffentlichkeit wird in nicht öffentlicher Sizung verhandelt.

Der Beschluß, welcher die Oeffentlichkeit ausschließt, muß öffentlich verkündet werden.

§. 176. Der Zutritt zu öffentlichen Verhandlungen kann unerwachsenen und solchen Personen versagt werden, welche sich nicht im Besiße der bürgerlichen Ehrenrechte befinden, oder welche in einer der Würde des Gerichts nicht entsprechenden Weise erscheinen.

Zu nicht öffentlichen Verhandlungen kann der Zutritt einzelnen Personen von dem Vorsitzenden gestattet werden.

§. 177. Die Aufrechthaltung der Ordnung in der Sizung liegt dem Vorfizenden ob.

§. 178. Parteien, Beschuldigte, Zeugen, Sachverständige oder bei der Verhandlung nicht betheiligte Personen, welche den zur Aufrechthaltung der Ordnung erlassenen Befehlen nicht gehorchen, können auf Beschluß des Gerichts aus dem Sizungszimmer entfernt, auch zur Haft abgeführt und während einer in dem Beschlusse zu bestimmenden Zeit, welche vierundzwanzig Stunden nicht übersteigen darf, festgehalten werden.

§. 179. Das Gericht kann gegen Parteien, Beschuldigte, Zeugen, Sachverständige oder bei der Verhandlung nicht betheiligte Personen, welche sich in der Sizung einer Ungebühr schuldig machen, vorbehaltlich der strafgerichtlichen Verfolgung, eine Ordnungsstrafe bis zu einhundert Mark oder bis zu drei Tagen Haft festseßen und sofort vollstrecken lassen.

§. 180. Das Gericht kann gegen einen bei der Verhandlung betheiligten Rechtsanwalt oder Vertheidiger, der sich in der Sizung einer Ungebühr schuldig macht, vorbehaltlich der strafgerichtlichen oder disziplinaren Verfolgung, eine Ordnungsstrafe bis zu einhundert Mark festseßen.

§. 181. Die Vollstreckung der vorstehend bezeichneten Ordnungsstrafen hat der Vorsitzende unmittelbar zu veranlassen.

§. 182. Die in den §§. 177-181 bezeichneten Befugnisse stehen auch einem einzelnen Richter bei der Vornahme von Amtshandlungen außerhalb der Sizung zu.

§. 183. Ist in den Fällen der §§. 179, 180, 182 eine Ordnungsstrafe fest= gesezt, so findet binnen der Frist von einer Woche 180) nach der Bekanntmachung der Entscheidung Beschwerde statt, sofern die Entscheidung nicht von dem Reichsgerichte oder einem Oberlandesgerichte getroffen ist.

Die Beschwerde hat in dem Falle des §. 179 keine aufschiebende Wirkung, in den Fällen des §. 180 und des §. 182 aufschiebende Wirkung.

Ueber die Beschwerde entscheidet das Oberlandesgericht.

§. 184. Ist eine Ordnungsstrafe wegen Ungebühr festgesetzt, oder eine Person zur Haft abgeführt, oder eine bei der Verhandlung betheiligte Person entfernt worden, so ist der Beschluß des Gerichts und dessen Veranlassung in das Protokoll aufzunehmen.

180) In Konsulargerichtssachen zwei Wochen (vgl. § 13 des Ges. über die Konsulargerichtsbarkeit v. 10. Juli 1879 (Nr. 1319).

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