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Shakespeare über die Liebe.

Einleitender Vortrag

zur Jahresversammlung der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft.

Von

A. Freiherrn von Loën.

Drei Leidenschaften wecken die Konflikte im menschlichen
Leben, sie geben den Dichtern den Stoff zu den Romanen und
Dramen; es sind dies die Leidenschaften des Erwerbs, der Ehre
und der Liebe. Die letztere Leidenschaft ist die allgemein mensch-
lichste und zugleich die idealste. Kein Dichter, der nicht die Liebe
besungen und gefeiert hätte, und Niemand hat das wohl mit so
genauer Kenntniß des menschlichen Herzens gethan wie Shakespeare.
Shakespeare über die Liebe soll das Thema meines Vortrags sein.
Es ist unmöglich, in der kurz bemessenen Zeit den ganzen Stoff
erschöpfend zu behandeln; ich werde mich daher auf die drama-
tischen Dichtungen beschränken und darin besonders auf die wer-
bende, wie auf die eheliche Liebe Bezug nehmen.

Wenn die Erklärer Shakespeare's eine besondere Richtung aus
seinen Werken verfolgen, so fragen sie wohl: Woher hatte der
Dichter seine politischen, historischen, philosophischen, medizini-
schen etc. Kenntnisse? Seine Erfahrungen und Beobachtungen in
der Liebe konnten ihm schwerlich die ideale Anschauung von der-
selben geben, die er in seinen Werken vertritt. Dazu war weder
seine Ehe, noch die seiner hohen Freunde angethan und eben so
wenig das Liebeleben, das er bei seinem Londoner Aufenthalt zu
beobachten Gelegenheit hatte. Heuchlerisch genug war wenigstens
das der jungfräulichen Königin und ihres Hofes.

Jahrbuch XIX.

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Shakespeare verstand es nicht nur hier, sondern in der Behandlung aller seiner glücklich gefundenen Stoffe, ihnen die ideale Seite abzugewinnen, sie mit seinem Geiste zu erfüllen und sie dadurch zu seinem Eigenthume zu machen; und wie Goethe einmal sagt, daß seine realistische Natur sich mit der idealen Schillers ergänzend verständigte, so finden wir beide Naturen in Shakespeare vereinigt, und das schon macht ihn zum größten Dichter der germanischen Race. Er fand den Stoff, er vergeistigte ihn, er lauschte der Natur ihre Geheimnisse ab und gab sie als echter Künstler veredelt in seinen Dichtungen wieder. Seine hohe Anschauung von der Liebe theilt er mit unseren größten Dichtern, und die Verherrlichung der Frauen macht ihn noch heute zu deren Lieblingsdichter, wie denn überhaupt jene Dichtungen unvergänglich sind, welche das ewig Weibliche würdig feiern. Die edlen Frauengestalten schildert Shakespeare mit Vorliebe; da, wo er die Ausnahmen vorführt, gebraucht er sie als Gegensatz (wie er denn ja überhaupt als echter Dichter durch Contraste wirkt) und selbst diesen Ausnahmen giebt er meistens einen Zug von Größe, der ihre sittlichen Verirrungen zwar nicht rechtfertigt, aber sie doch erträglicher macht. Jedenfalls verweilt er nie mit Vorliebe bei den Schwächen und Fehlern der Frauen; der Hofdame in Heinrich VIII. z. B. versteht er eine liebenswürdige Seite abzugewinnen, und selbst dem zweifelhaften Charakter der Frau Hurtig giebt er einen versöhnenden Zug in dem treuen Angedenken, welches sie ihrem dicken Ritter bewahrt.

Es giebt fast keine Erscheinung der Liebe, keinen Ausdruck und keinen Konflikt derselben, der von Shakespeare nicht benutzt und geschildert wäre. Auch hier bewundern wir die Universalität seines Denkens, Fühlens und Könnens. Die dramatischen Dichter nach ihm haben keinen Konflikt der Liebe erfunden, den Shakespeare nicht schon benutzt hätte; eine Erweiterung nach dieser Richtung haben wir nur in der Schilderung krankhafter Probleme der Liebe und in der des Konflikts zwischen der Liebe und der materiellen Leidenschaft des Erwerbs, damit aber jedenfalls eine sehr zweifelhafte Bereicherung.

Zur Einleitung unseres Vortrags müssen wir einen Augenblick bei Liebes Leid und Lust verweilen, weil Shakespeare in diesem feingeistigen Lustspiele den Beweis führt, daß es nicht so leicht ist, sich der Liebe zu erwehren. Der König und seine Buchgenossen verbinden sich feierlich, durch drei Jahre nur der

Philosophie zu leben, eifrig zu studiren, und um von diesem erhabenen Ziele nicht abgelenkt zu werden, allem Umgang mit Frauen zu entsagen und wie kläglich scheitern sie! Biron, der vernünftigste unter den vieren, schwört mit allen möglichen Vorbehalten; aber alle seine Philosophie geht zu Grunde, er liebt, wenn er sich auch sagen muß:

Wie, was, ich lieb', ich werb', ich such' ein Weib?
Ein Weib, das einer deutschen Schlaguhr gleicht,
Stets d'ran zu bessern, ewig aus den Fugen,
Die niemals recht geht, wie sie sich auch stellt,
Als wenn man stets sie stellt, damit sie recht geht?
Und was das Schlimmste, noch meineidig werden!
Und just die Schlimmste lieben von den Dreien!
Ein bläßlich Ding mit einer sammtnen Braue,
Mit zwei Pechkugeln im Gesicht statt Augen!
Und ach, um die nun seufzen, für sie wachen?
Ich für sie beten? Gut denn! 's ist 'ne Strafe,
Die Amor mir diktirt für das Verachten

Seiner allmächtig furchtbar kleinen Macht.
Nun wohl! So will

Ich lieben, schreiben, seufzen, ächzen, beten;

Der liebt das Fräulein, jener schwärmt für Greten.

Aber auch der König und die zwei Genossen, die es ganz ernsthaft mit ihrem Vorhaben meinen, müssen die ,,allmächtig furchtbar kleine Macht" des Liebesgottes fühlen; sie begehen zunächst das allgemeinste und gemeingefährlichste Vergehen aller Liebenden, sie machen Gedichte auf die Geliebte, folgen deren Spuren und brechen ihren Eid durch Liebes werbung. Die Frauen aber, und an der Spitze die Prinzessin, verlangen ein Probejahr: das gar zu schnelle Vergessen des ersten Vorhabens giebt ihnen keine Gewähr, daß die Bewerber in der schnell erwachten Liebe treu bleiben werden. Es ist das eine Strafe für die Meinung der eitlen Männer, sie könnten leben ohne Liebe, sie könnten die Frauen entbehren.

Wir sind hier schon bei der werbenden Liebe angelangt; sehen wir uns dieselbe näher an, so finden wir jede Erscheinung derselben von der reinsten, innersten Liebe bis zur grenzenlosen Leidenschaft geschildert. Verwundert bemerken wir zunächst das schnelle Entstehen der Liebe; der Blitz schlägt ein und das Gebäude steht auf einmal in Flammen. Mehr noch als in Liebes Leid und Lust zeigt sich das in dem vollendetsten Liebesgedicht, in Romeo und Julia, in der Liebe Ferdinands und Mirandas im Sturm, in

der Rosalindens und Orlandos in Wie es euch gefällt. Ein Begegnen genügt, um Romeo seine Liebe zur spröden Rosalinde vergessen, und Julia nicht mehr an ihren Freier Paris denken zu lassen, den die Mutter ihr eben noch mit den reizendsten Farben schilderte.

Ist er vermählt,

So ist das Grab zum Brautbett mir erwählt,

ruft sie aus und dann, als sie sich sprechen, genügt ein Augenblick, um sie auf ewig zu verbinden in einer Liebe bis zum Tode.

Ein weiteres Beispiel schnell entstandener Liebe ist die der Viola zum Herzog; sie weiß von ihm nur, daß er ein edler Fürst von Gemüth und Namen ist, sie erinnert sich, daß ihr Vater ihn kannte, sie tritt als Page in seine Dienste und wird von ihm als Liebesbote zur Olivia gesandt, sie geht mit dem sehnsüchtigen Wunsche:

Ich selber möchte seine Gattin sein.

Sie erreicht ihr Ziel, obgleich sie selbst erfahren, wie er Olivia liebt

Mit Thränenflut der Anbetung, mit Stöhnen,

Das Liebe donnert, und mit Flammenseufzern!

Er aber, der so bald in seiner Neigung wechselt, beweist auch, daß er sich und die Männer kennt, wenn er sagt:

Denn, Knabe, wie wir uns auch preisen mögen,

Sind unsere Neigungen doch wankelmüthiger,
Unsich'rer, schwanken leichter her und hin,

Als die der Frau'n.

Entsteht die Liebe in Romeo und Julia plötzlich in beiden, in Was Ihr wollt in der Frau, so finden wir als weitere Beispiele die schnell entstehende Leidenschaft eines Mannes in Heinrich VIII. Der König sieht Anna Bullen auf einem Feste beim Kardinal von York, eine Schönheit, die er bis dahin noch nicht ahndete", ein Kämmerer muß ihm erst sagen, wer sie sei; er findet sie lieblich, fühlt sich erhitzt, will sie nicht von sich lassen, und aus diesem zufälligen Begegnen folgt die Scheidung von der Königin und seine Vermählung mit Anna.

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Eine Werbung, wie sie nur das Genie eines gewaltigen Dichters erträglich machen kann, ist die Richards III. um die Hand Annas am Sarge des durch Richard ermordeten Vater ihres Gatten. Wohl kann er ausrufen:

Ward je in dieser Laun' ein Weib gefreit?
Ward je in dieser Laun' ein Weib genommen?

Von Liebe ist hier freilich keine Spur;

Ich will sie haben, doch nicht lang behalten

höhnt er, sowie sie ihm Hoffnung auf Gewährung gab.

Lassen wir es genug sein mit diesen Beispielen schneller Werbung und Erhörung, die Vielen auf den ersten Hinblick wunderbar und ungerechtfertigt erscheinen mögen, und doch ist überall ein begründendes Motiv für diese schnell entstandene Liebe zu finden. Julia ist ein vierzehnjähriges Mädchen, eine Südländerin, ihre Phantasie ist erregt von den Gesprächen mit der Mutter und der Amme, die ihr das Glück der Ehe mit einem ihr unbekannten Freier vormalten; ihre bisherige Umgebung, Eltern, Vettern, Amme, hatte ihr den Ernst des Daseins, der auch der Jugend nicht verborgen bleiben sollte, weggespottet; sie tritt aus der Kinderstube in das Leben; auf einem glänzenden Maskenfeste lernt sie den schönen Romeo kennen; sie hört zum ersten Male die Sprache der Liebe, und diese verbindet sich mit der Religion; die Lippen Romeos nahen ihrem Munde, wie zwei Pilger dem Madonnenbilde; in einem Kusse, der nach altenglischer Sitte als Begrüßung beim Tanze gestattet war, reift das Kind zur Jungfrau.

Weiter Viola: sie hat nur Rühmliches vom Herzoge gehört, durch ihren Vater sowohl als durch den Schiffskapitain; nun lernt er sie kennen, er nimmt die Verlassene freundlich auf, er macht sie in ihrer Verkleidung zum Vertrauten seines Liebesschmerzes, sie leidet mit ihm, und aus Leid entwickelt sich die Liebe.

Einer Erklärung für die schnelle Werbung Richards III. und Heinrichs VIII. bedarf es im Grunde nicht; sie wird genugsam motivirt durch den sinnlichen, herrschsüchtigen Charakter beider Tyrannen. Daß aber Anna den Mörder ihres Gatten erhörte, das scheint, menschlich genommen, unglaublich, wenn man nicht den dämonischen Einfluß bedenkt, den Richard durch seine Heuchelei wie durch sein rücksichtsloses Vorgehen überall ausübte. Anna selbst klagt sich an:

Und sieh, eh' ich den Fluch kann wiederholen

In solcher Schnelle, ward mein Weiberherz
Gröblich bestrickt von seinen Honigworten.

Ich führe das Alles nur an, um darauf hinzuweisen, wie Shakespeare das scheinbar Unvermittelte immer begründet, und wie er auch darin unsern modernen Dramatikern ein Vorbild sein kann, daß er die Motivirung oft nur mit wenigen, aber für den, der sich in seinen Geist versenkt, verständlichen Zügen bewirkt, während

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