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Einleitung.

Der höchste Zweck der Heilkunst konnte nie ein anderer seyn, als Entfernung krankhafter Zustände, oder mit anderen Worten Wiederherstellung der gestörten Gesundheit auf die sicherste, schnellste und angenehmste Weise. Daher ist der Werth eines jeden Lehrgebäudes dieser Kunst blos danach zu beurtheilen, in welchem Grade es dem angegebenen Zwecke entspricht. Es ist eine Eigenthümlichkeit unseres Zeitgeistes, diesen Maassstab der Nützlichkeit überhaupt häufiger zu gebrauchen, uud sich nicht mehr durch die Scheue vor dem Nimbus alter Institutionen, Dogmen und Herkömmlichkeiten davon abschrecken zu lassen, den Werth derselben nach der Förderung allgemeiner Interessen zu prüfen. Wir wollen hier nicht untersuchen, in wie ferne man darin oft zu weit geht, alles Bestehende nur nach der Gewährung materieller Vortheile zu schätzen. Doch würden wir eine sehr tadelnswerthe Eigenliebe verrathen, wenn wir darüber klagen wollten, dass man bei der allgemeinen Zunahme an Intelligenz sich jetzt nicht mehr darauf beschränkt, die Kenntnisse, Fähigkeiten und Anordnungen einzelner Aerzte einer Kritik zu unterwerfen, sondern dass man den Werth unserer Principien selbst in's Auge fasst, und fragt: wo habt ihr Gewissheit? welche Bürgschaft könnt ihr uns leisten, dass wir nicht als Opfer des Vorurtheils oder der Systemsucht fallen, wenn wir auch uns anvertrauen auf Leben und Tod? Fragen dieser Art sind in neuerer Zeit viel häufiger vernommen worden. Die Intoleranz der Aerzte selbst hat sie hervorgerufen, eine Intoleranz, welche so weit geht, dass, wie der nunmehr verewigte Hufeland schon vor mehreren Jahren bemerkte,

kein Kranker mehr sterben kann, ohne dass der Arzt, dem er anvertraut war, von anders denkenden Collegen der Tödtung beschuldigt wird. Dieser ausschweifende, egoistische Zelotismus der Parteien hat das Vertrauen zu der Arzneikunst überhaupt zu Grunde gerichtet, und in Beziehung auf die Volksmeinung ein ganz umgekehrtes Verhältniss erzeugt. Vormals stand die Kunst in hohem Ansehen, und wenn man einen Vorwurf vernahm, so bezog er sich blos auf die angeblich fehlerhafte Ausübung derselben in besonderen Fällen, auf muthmassliche Abweichung von dem hochgepriesenen, schulgerechten Verfahren. Jetzt aber ist die Unfehlbarkeit der heilkünstlerischen Lehrsätze selbst wegen ihrer bekannter gewordenen tausendfältigen Widersprüche ein Gegenstand der bitteren Satyre geworden. Man achtet aber noch die Intelligenz und die Befähigung einzelner Aerzte, und zwar in der Regel derjenigen, die sich durch Beobachtungsgabe auszeichnen, und nicht von den blinden Leidenschaften der Systemsucht beherrscht werden. Systeme sollen aber einen anderen Werth haben, als Schöpfungen der idealisirenden Dichtkunst, die wir zuweilen als Kunstwerke bewundern. Sie sollen wie ein leuchtender Stern zerstreute Wahrnehmungen überstrahlen, dieselben harmonisch mit einander vereinigen, und uns sicher durch die Labyrinthe der Zweifel und Muthmassungen geleiten. Sie sollen eine Richtschnur für unser Verfahren seyn, und die Principien derselben sollen sich in der Anwendung als richtig bewähren. Wenn es aber für eine Tugend gilt, nicht fest an diesen Principien zu hängen, so müssen wir doch wohl von einem Misstrauen gegen dieselben beschlichen werden, und wir müssen uns dadurch veranlasst finden, mit prüfendem Auge rückwärts zu schauen auf die Spuren, die man bisher verfolgt hat, um im Gebiete der Heilkunst zum Besitze der Wahrheit zu gelangen.

Es gehört zu den geschichtlichen Merkwürdigkeiten, dass man seit ein Paar Jahrtausenden den Namen eines Mannes, nämlich des grossen koischen Arztes, in Ehren gehalten, und sowohl während mehrmaliger Stagnationen in der Wissenschaft, als während des

Aufruhrs der Gemüther bei reformatorischen Versuchen und selbst in den Glanzperioden der verschiedenen dogmatischen Schulen mit einer gewissen ehrfurchtsvollen Pietät der hippokratischen Medicin gedacht, und es nie gewagt hat, den Nachruhm des Stifters derselben zu verdunkeln. Gleich merkwürdig ist es, dass sowohl die Dogmatiker, als die Empiriker und Eklektiker sich auf denselben berufen, obgleich dessen grösster Ruhm darin besteht, uns die Kunst einer treuen Beobachtung gelehrt zu haben. Daher glänzte er auch am meisten als Symptomatiker. Seine Philosophie war ein rationeller Empirismus, der nicht von Ideen und Begriffen ausgeht, sondern von Erfahrungen, um aus den Resultaten derselben Begriffe zu bilden. Dem idealen Dogmatismus fremd geblieben, hat er es nicht versucht, seine Erfahrungen nach früher entwickelten Principien zu ordnen, und in der Praxis ist er eigentlich nur Eklektiker gewesen, wobei ihm aber sein ausgezeichnetes Talent zu beobachten und zu individualisiren überaus förderlich war. Nach diesem Vorbilde haben sich mehrere grosse Aerzte der älteren und späteren Zeit gerichtet, und man kann wohl behaupten, dass die glücklichsten und berühmtesten sich frei von Systemsucht gehalten haben, und gleichfalls Eklektiker gewesen sind, Indessen waren doch nur wenige durch das Talent dazu berufen, und die Anwendung eines rein empirischen Verfahrens ist im Laufe der Zeit immer schwieriger und misslicher geworden, weil die Formen der Krankheiten sich so vervielfältigt haben, dass die Erfahrung eines Menschen selbst im höchsten Lebensalter nur einen kleinen Theil derselben umfasseu kann. Auch ist es dem treusten Gedächtnisse nicht möglich, alle Resultate fremder Beobachtungen zu bewahren, und noch weniger ist es möglich, bei den vielen, zu Markte gebrachten Erzählungen von Heilungsgeschichten und sogenannten Erfahrungen das Wahre vom Falschen zu scheiden. Daher fühlen selbst die berufensten Empiriker sich häufig verlassen, indem ihnen bei dem Mangel eigener und zuverlässiger fremder Beobachtungen höchst analoger Fälle der leitende Stern fehlt, und sie

genöthigt sind, entweder zu einem Experimentiren mit sehr zweifelhaftem Erfolge zu schreiten, oder nach allgemeinen Principien zu verfahren. Das Bedürfniss der Principien tritt also überall hervor, und es ist sehr natürlich, dass man längst nach dem Ziele strebte, die Heilkunst auf unumstössliche Principien zu gründen.

Wenn wir gerecht seyn wollen, dürfen wir nicht geringschätzend übersehen, wie viel zur Erreichung des vorgesteckten Zieles seit dritthalb tausend Jahren geleistet worden ist, und wir können uns nicht ohne dankbare Anerkennung des Fleisses und der Selbstaufopferungen erinnern, mit welchen so viele Aerzte der früheren und späteren Zeit ihre theuersten Güter, Gesundheit und Leben, auf das Spiel gesetzt haben, um durch eigene Beobachtungen und Forschungen die Wissenschaft zu bereichern. Eine vollständige Aufwühlung der Geschichte derselben, eine Revision der mitunter sehr verdienstlichen Leistungen in der Cultur der Vorbereitungswissenschaften, eine Aufzählung und genaue Beleuchtung der verschiedenen Systeme der Heilkunst und eine Wiederholung der an anderen Orten vorgetragenen Bemerkungen darüber würde hier am unrechten Platze seyn, wo es nur darauf ankommt, zu untersuchen, auf welche Weise der angegebene Zweck wohl am sichersten erreicht werden kann.

Zur Schätzung einer neuen Methode, von welcher hier vorzüglich die Rede seyn soll, ist aber eine Vergleichung mit dem Geiste der älteren Schulen erforderlich, welche nur dadurch möglich wird, dass wir, ohne ins Einzelne überzugehen, die Mittel beleuchten, deren man sich bisher bedient hat, um die therapeutische Aufgabe zu lösen.

Schon ein flüchtiger Rückblick zeigt uns, dass in der Geschichte der Heilkunst sich die Geschichte der Cultur überhaupt reflectirt. Wir lassen es dahin gestellt seyn, ob wir die erste Kenntniss der Heilwirkung einzelner Dinge in gewissen Krankheitsformen dem Instincte oder dem Zufalle zu verdanken haben. Sie war übrigens in den frühesten Zeiten höchst unvollkommen,

und die ganze Technik bestand Anfangs in der Anwendung solcher Mittel, welche in gewissen Krankheitszuständen mit ähnlichen Erscheinungen heilsam gewesen sind. Sie war demnach durchaus rohe Empirie, die sich auf ein gedankenloses Vergleichen äusserer Merkmale stützte, und sie war nur dem Zustande der Minderjährigkeit angemessen, in welcher sich die früheren Geschlechter befanden. Mit dem Heraustreten aus derselben erwachte das Nachdenken über die ursächlichen Verhältnisse der Erscheinungen, der Veränderungen der Dinge überhaupt, und namentlich in Beziehung auf die Heilkunst die erhabenere Idee eines rationellen Verfahrens, dessen erster und oberster Grundsatz es war, die Ursachen der Krankheiten zu entfernen, um sie selbst, das Product der Ursachen, zugleich mit denselben zum Verschwinden zu bringen. Diese Maxime: tolle causam hat bis auf den heutigen Tag ihren hohen Werth behauptet, und was von einzelnen Parteien dagegen vorgebracht worden ist, bezieht sich weniger auf die unantastbare Maxime selbst, als auf die Schwierigkeit der Befolgung derselben, indem das Heilobject, das die äusseren Erscheinungen bedingende ursächliche Verhältniss in den meisten Fällen ausser dem Bereiche sinnlicher Wahrnehmungen liegt, und nur durch Vernunftschlüsse gefunden werden kann. Es ist allbekannt, wie leicht Täuschungen dabei möglich sind. Wer diess leugnen wollte, dürfte augenblicklich durch Hinweisung auf die unendliche Verschiedenheit der Meinungen überführt werden. Aber eine Anleitung zur Vermeidung dieser Täuschungen ist eben die schwierige Aufgabe, deren Lösung von den Stiftern aller Systeme mit mehr oder weniger Glück, doch nie befriedigend versucht worden ist.

Da man frühzeitig dahin gekommen war, die Zeichen der Krankheiten als Aeusserungen einer innormalen Lebenskraft zu betrachten, so musste das Nachdenken nothwendig auch sogleich auf die Lebensthätigkeit selbst und auf die Bedingungen derselben hingeleitet werden. Man war dadurch veranlasst worden,

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