Imágenes de páginas
PDF
EPUB

in Anwendung zu bringen, um dem Ziele so nahe, als möglich zu kommen.

$. 36.

Aufgabe der Diagnose ist Ermittelung des Heilobjects.

Krankheit ist ein, im Innern des Organismus vor sich gehender, abnormer Lebensprocess, von dem wir gar nichts wissen würden, wenn er sich nicht nach seinen mancherlei Verschiedenheiten durch Erscheinungen im Raume und in der Zeit, zu erkennen gäbe, die man Symptome nennt.

Die besondere Art der Abnormität des Lebensprocesses ist Wesen der Krankheit, welches häufig mit der nächsten Ursache derselben verwechselt wird, aber in Beziehung auf Feststellung der Heilanzeigen genau von derselben unterschieden werden muss. Denn die nächste Ursache ist der innere Grund des Wesens, folglich auch das wahre Heilobject.

Das Wesen der Bauchwassersucht besteht in Ergiessung seröser Feuchtigkeiten in der Bauchhöhle. Die nächste Ursache ist entweder vermehrte Absonderung oder verminderte Einsaugung. Wie Kurt Sprengel*) ganz richtig bemerkt, ist die nächste Ursache Bedingung der Art; da hingegen das Wesen der Krankheit den Gattungsbegriff begründet. Die oben (s. Einleitung) angeführten Abweichungen der Ansichten vom Wesen des delirium tremens rühren blos daher, dass man den Charakter der verschiedenen Arten zum Gattungscharakter hat machen wollen. Erbrechen, als Gattung, besteht in antiperistaltischer Bewegung des Magens. Die nächste Ursache kann idiopathische Reizung durch eine brechenerregende Substanz, durch Ueberfüllung mit Speisen, durch starken Zufluss von Galle oder durch Entzündung seyn, aber auch sympathische Reizung der Magennerven durch eine Erschütterung des Gehirns. Die auf die Gattungen sich beziehenden Heilanzeigen sind viel zu allgemein, um uns zur Richtschnur dienen zu können. Denn durch Ab

zapfung des Wassers wird die Bauchwassersucht nicht geheilt, sie wird nur auf kurze Zeit suspendirt. Das Erbrechen kann vielleicht durch sogenannte sedativa, welche die Reizbarkeit der Magennerven abstumpfen, unterdrückt werden; aber die Krankheit wird dadurch nicht geheilt. Wenn Anhäufung schädlich wirkender Stoffe die Ursache ist, wird, wie man zu sagen pflegt, der Wolf in den Schafstall gesperrt, und die Gefahr nur vergrössert. Entfernung der Ursache kann allein Hilfe schaffen. Der Diagnostiker muss also die Arten der Krankheiten genau von einander unterscheiden, und die nächste Ursache derselben zu entdecken suchen. Dazu sind umfassende pathogenetische, auf die Physiologie gestützte Kenntnisse erforderlich. Denn er muss den ganzen Krankheitsprocess analytisch verfolgen, und die Verbindung aller Glieder desselben kennen zu lernen suchen, um den letzten Grund zu finden, der die nächste Ursache hervorbrachte. Die Pathologen haben daher nicht ganz mit Unrecht die nächste, die entferntere und die entfernteste Ursache von einander unterschieden. Um bei dem Beispiele von der Wassersucht stehen zu bleiben, kann, wenn verminderte Resorptionsthätigkeit als nächste Ursache erkannt worden ist, die entferntere wiederum sehr verschieden seyn, z. B. Druck auf Saugaderstämme durch eine Geschwulst, Paralyse nach Ueberreizung durch Chinamissbrauch oder durch spirituöse Getränke, durch unterdrückte Hautausschläge u. d. gl. Wer diese entfernteren Ursachen nicht kennt, wird sie nicht wegräumen, und wird die Heilung nicht zu Stande bringen.

*) Handbuch der Pathologie. 1. Theil. §. 75.

S. 37.

Zur Lösung der oft sehr schweren Aufgabe einer zuverlässigen Diagnose dienen verschiedene Hilfsmittel, namentlich

1) die Aetiologie, die Lehre von den krankmachenden Einflüssen. Es versteht sich wohl von selbst, dass diese ganze Lehre aus der Empirie hervorgegangen ist. Bei der fortschrei

178

tenden Geistescultur konnte man sich aber nicht mit einer historischen Zusammenstellung wiederholter Beobachtungen begnügen. Man wollte den Zusammenhang zwischen den Ursachen und Wirkungen erforschen, und die Aetiologie auf einen wissenschaft⚫lichen Standpunkt erheben, woraus eine Verschmelzung derselben mit der Pathogenie entstand. Diese ist demnach eine angewandte Aetiologie, und sie ist eben so innig mit der Ana mnesis, der ganz empirischen Kunde von den, der Krankheit vorausgegangenen nachtheiligen Einflüssen verschmolzen. Der Diagnostiker bedarf der Anamnesis, um das factisch Vorausgegangene zu wissen und mit Hilfe der Actiologie die Bedeutung desselben zu würdigen. Beide sind demnach unentbehrliche Grundlagen der Diagnostik, indem die richtige Unterscheidung concreter Krankheitsformen vielmals nur durch Kenntniss der vorausgegangenen schädlichen Einflüsse möglich wird. Es gibt z. B. Hautausschläge, welche nach ihrer äusseren Erscheinung gar nicht von der wahren Krätze unterschieden werden können. Es gibt ächte und unächte syphilitische Geschwüre, die sich im höchsten Grade ähnlich sind, und deren Natur wir nur kennen lernen, wenn wir ausgemittelt haben, ob eine Ansteckung vorausgegangen ist oder nicht. Ein Kind fängt plötzlich an zu hinken, und wir finden bei der sorgfältigsten Untersuchung durchaus kein Symptom eines allgemeineren krankhaften Zustandes. Erfahren wir aber, dass die Wärterin das Kind hat fallen lassen, und dass es augenblicklich nachher Schmerz in der Hüfte verrathen hat, so bekommen wir eine ganz andere Vorstellung von der nächsten Ursache des Leidens, als wenn man uns sagte, dass Kind sey warm gewesen, und einer Erkältung im Zugwinde ausgesetzt worden. Zwei Menschen liegen in comatösem Zustande danieder. Wir erfahren, dass der Eine sich mit Opium vergiftet, der Andere einen Sturz auf den Kopf erlitten hat. Wir würden diesen vielleicht durch Einflösung eines Brechmittels tödien, was jenen allein rettet.

Es darf nicht unbemerkt bleiben, dass die wissenschaftliche, physiologische Aetiologie uns lehrt, die krankmachenden Potenzen als den äusseren, den Organismus aber als den inneren Factor der Pathogenese zu betrachten, und in allen concreten Fällen die dynamischen Verhältnisse des letzteren mit grösster Sorgfalt zu berücksichtigen, um möglichst vor Fehlschlüssen gesichert zu seyn. Denn es gibt nur wenige Schädlichkeiten, welche in Organismen von gleicher Gattung immer gleichartige Störungen des Lebensprocesses bewirken. Zu diesen gehören die Contagien und die Gifte. Man hat mancherlei Definitionen von den letzteren gegeben, und sie angefochten und verworfen. Wenn aber eine Definition derselben vollkommen bezeichnend ist, so bezicht sie sich auf die Eigenschaft, in Organismen von einerlei Gattung gewisse bestimmte, der Idee des individuellen Seyns nicht entsprechende Lebensprocesse hervorzurufen, welche durch die Eigenthümlichkeit des Individuums weniger`modificirt werden, als es bei den Folgen anderer schädlicher Einwirkungen der Fall ist. Gifte behaupten sich hartnäckiger als der positive Factor; da hingegen der Organismus von anderen Potenzen nicht auf eine so bestimmte Weise afficirt wird. Man kann daher aus den vorhandenen Reactionserscheinungen weit leichter eine Vergiftung und zwar selbst die Art des wirkenden Giftes erkennen, als es möglich ist, den ursächlichen Zusammenhang zwischen anderen schädlichen Potenzen und den nachfolgenden Erscheinungen als eine Nothwendigkeit zu beweisen. Aetiologische Untersuchungen gewinnen aber wiederum an Werth, wenn màn sich überzeugt hat, wie oft entferntere Ursachen ganz allein die Fortdauer der nächsten unterhalten, und wo es zur Heilung weiter nichts bedarf, als die Entfernung jener, vielleicht einer zänkischen Person, eines feuchten Schlafzimmers, eines rauchenden Ofens, einer nachtheiligen Lieblingsspeise, einer gewissen, die Gesundheit störenden Beschäftigung u. d. gl. Der Maler wird von Kolik nicht befreit werden, so lange er die Gewohn

heit hat, seinen Pinsel in den Mund zu nehmen, wobei er sich fortwährend mit Bleifarben vergiftet, und der Spiegelbereiter ist bei Fortsetzung seines Geschäfts nicht von Quecksilbersiechthum zu heilen.

S. 39.

Weil aber, etwa Contagien und Gifte ausgenommen, äussere Potenzen nur eine sehr relative Bedeutung als Schädlichkeiten haben, so geht daraus hervor, wie unsicher es ist, die Anamnese und Aetiologie zur idealen Construction von Krankheitszuständen zu benutzen, worin manche Kliniker eine übergrosse Fertigkeit haben, auf welche sie den höchsten Werth legen. Als Zusatz zu den oben (§. 29.) gemachten, diesen Gegenstand berührenden Bemerkungen hier nur noch Folgendes. Die durch individuelle Verhältnisse bedingten Ursachen, warum schädliche Einflüsse bald überaus heftig, bald gar nicht, bald auf höchst verschiedene Weise wirken, sind häufig viel zu verborgen, als dass wir sie leicht entdecken könnten. In der Eigenthümlichkeit eines jeden Individuums ist eine mehr oder weniger versteckte Anlage zu gewissen dynamischen Abnormitäten enthalten, welche zugleich wiederum eine Schutzmauer gegen andere ist. Von entschiedenem Einflusse sind Temperament und geistige Anlagen, selbst vorgerückte oder zurückgehaltene Entwickelung des moralischen Gefühls und der höheren Seelenfacultäten, so wie der körperlichen Kräfte, verschiedene Grösse, Fettigkeit und Magerkeit, grössere oder geringere Entwickelung einzelner Organe, Länge des Halses, Wölbung des Brustkorbs, Festigkeit oder Welkheit der Muskeln, Alter und Geschlecht, Schärfe oder Stumpfheit der Sinneswerkzeuge, grössere oder geringere Reizbarkeit im Allgemeinen oder in Beziehung auf einzelne Organe. Selbst wirkliche Ahnormitäten können manchmal dazu dienen, relative Schädlichkeiten unwirksam zu machen. Der in die linke Brustseite gestossene Dolch trifft das Herz

« AnteriorContinuar »