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wenn er es nicht vermag, von den Personen aus seiner Umgebung eine genaue Schilderung seines Zustandes machen, und zwar geschichtlich so, dass die Erzählung mit den ersten Zei-. chen des Uebelbefindens anfängt, und die nachherigen Erscheinungen in ihrer Reihenfolge möglichst treu schildert. Diese Erzählung gibt dem Arzte schon Anhaltspuncte; sie verschafft ihm die Vorstellung gewisser Wahrscheinlichkeiten in Beziehung auf den dynamischen Charakter und auf die Art des Ergriffenseyns einzelner Organe und Systeme, und veranlasst ihn jetzt, sich durch Fragen eine vollständigere Kenntniss von dem zu verschaffen, was er zu wissen wünscht, oder was überhaupt zu erkennen ist.

Eine einmalige Untersuchung des Kranken ist oft nicht hinreichend, um dem Arzte eine richtige Vorstellung zu verschaffen. Der Kranke ist beim ersten Besuche desselben häufig in einem veränderten, aufgeregten Zustande, und zeigt sich anders, als er gewöhnlich ist. Bei öfterem Zusammenseyn mit dem Arzte verliert sich allmählig diese Spannung, und es wird dem letzteren dann erst möglich, sich ein treues Bild zu zeichnen.

Niemand hat grössere Sorgfalt auf Beobachtung der Symptome empfohlen, als Hahnemann. Er musste es aber auch, weil ihm die Gesammtheit der Symptome die einzige Führerin bei der Behandlung ist. Ich leugne die Wichtigkeit der aufmerksamsten Beobachtung um so weniger, da ich überzeugt bin, dass in allen Fällen, wo wir in Beziehung auf die nächste Ursache der Krankheit zweifelhaft oder ungewiss sind, die Symptome den Arzt weit sicherer leiten, als er durch blosse Vermuthungen geleitet werden kann. Zum Symptomen - Complexe gehört Alles, was eine Veränderung des früheren Lebenszustandes während der noch ungetrübten Gesundheit anzeigt.

§. 50.

Zu berücksichtigen sind daher

1) die Verhältnisse der sensiblen Sphäre.

Ich rechne dazu Veränderungen in Beziehung auf die höheren und niedrigeren Seelenfacultäten, des Vorstellungsvermögens, des Scharfsinns, des Urtheilsvermögens, der schaffenden Einbildungskraft und des Gedächtnisses, des Witzes, des Temperaments und der Gemüthlichkeit. Da das animalische Leben in seiner Totalität ein sensibles ist, so verdienen Umstimmungen in der höheren Sphäre desselben unbezweifelt die höchste Aufmerksamkeit. Viele Krankheiten charakterisiren sich durch Abnahme oder durch Steigerung einzelner Geisteskräfte, durch Unfähigkeit, sich richtige Vorstellungen zu machen, woraus Delirien entspringen. Hierbei ist zu untersuchen, ob sie von Sinnestäuschungen herrühren, oder von gestörter Seelenthä

tigkeit.

In anderen Krankheiten leidet vorzüglich das Gemüth. Die Stimmung ist entweder heiterer oder düsterer, empfindlicher und zu Aerger, Zorn, Misstrauen, Eifersucht, ja selbst zu Bosheit geneigt, oder gleichgiltiger gegen Alles, selbst gegen das Liebste und Theuerste. Von grosser Wichtigkeit ist eine gänzliche Umstimmung der Gemüthsart und der Begehrungen, übertriebene Aengstlichkeit oder Verlust der Liebe zum Leben, eingeschlafener oder erhöhter Geschlechtstrieb, Satyriasis, Nymphomanie u. d. gl.

Hierher gehören auch die Verrichtungen der Sinneswerkzeuge, erhöhtes oder vermindertes Sehvermögen und Gesichtstäuschungen. Ich habe ein hysterisches Mädchen beim Anblicke eines Gegenstandes von lebhaft rother Farbe in Convulsionen verfallen sehen. Beachtungswerth ist grössere Schärfe oder Stumpfheit des Gehörs mit dem Gefühle von Sausen, Rauschen, Pfeifen, Klingen oder Brummen in den Ohren, Unerträglichkeit des Eindrucks gewisser Töne, ferner ähnliche Abänderung des Geruchs- Geschmacks- und Tastsinns.

Auch die Träume sind hierher zu rechnen. In der Regel haben nur ganz gesunde Menschen zusammenhängende, ge

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schichtliche Träume. Man hat vielleicht zu wenig Aufmerksamkeit auf die Art derselben in verschiedenen Krankheitszuständen verwendet. Es ist bekannt, dass man bei drohendem Regenwetter häufig von verstorbenen Menschen träumt, was allerdings einen Einfluss meteorologischer Verhältnisse auf das Seelenorgan anzeigt, jedoch nicht genauer erklärt werden kann. Wir können aber eben nicht Alles erklären. Jean Paul bemerkt, dass man im Traume meistens besser fliegen, als gehen kann. Diess ist sehr natürlich, weil sich mit den Träumen vom Gehen die unwillkührliche Erinnerung eines Kraftaufwandes und einer Ermüdung vermischt. Das Fliegen im Traume ist aber ein isolirter Act der schaffenden Einbildungskraft. Aengstliche Träume sind gewöhnlich Folgen einer gestörten Verdauung oder einer unordentlichen Circulation. Heitere, beseligende Träume am Ende einer schweren Krankheit sind oft Vorboten des nahen Todes, und der dabei wahrzunehmende Ausdruck einer nicht wohl zu beschreibenden Verklärung in den Gesichtszügen deutet auf das Streben der Psyche nach höherer Freiheit.

Man wird nicht unterlassen, auf Erhöhung und Herabstimmung der Sensibilität sowohl im ganzen Organismus, als in einzelnen Systemen und Gebilden Rücksicht zu nehmen, wobei die Verhältnisse zwischen Cerebral- und Gangliensystem scharf ins Auge gefasst werden müssen. Eine specielle Anleitung dazu kann hier nicht gegeben werden. Unsere Handbücher der Semiotik enthalten gewöhnlich nur zerstreute, fragmentarische Andeutungen. Der Diagnostiker muss die Erscheinungen mit dem Auge des Physiologen betrachten, um sich dieselben richtig

deuten zu können.

Besondere Aufmerksamkeit verdient die verschiedene Art der Gefühle, wozu auch die Schmerzen gehören, Leichtigkeit oder Schwierigkeit aller oder nur gewisser Bewegungen und Arbeiten, allgemeine oder auf einzelne Theile beschränkte Müdigkeit, Schwere, Taubheit und Einschlafen der Glieder, Kitzeln und

Jücken, Neigung zum Dehnen und Strecken u. s. w. Bei den Schmerzen unterscheidet man den Sitz derselben, die Heftigkeit, die Dauer und die besondere Art, z. B. Stechen, Brennen, Drücken, Fressen, Nagen, Bohren, Reissen, Ziehen, Pochen, Schneiden, so wie das Gefühl von Hitze oder Kälte, oft in wahrem Widerspruche mit den wirklichen Temperaturgraden. Diese Symptome sind alle nur subjectiv, und gelangen durch Mittheilung zu unserer Kenntniss. Bei geistesabwesenden Kranken und bei Kindern, die noch nicht sprechen können, muss man das Vorhandenseyn der Schmerzen und den Sitz derselben aus den Gesichtszügen und den Geberden zu erkennen suchen, was vielmals nicht so schwer ist. Bei inneren Brustschmerzen ist der Athem verkürzt, und tiefe Inspirationen oder Husten verursachen Wehklagen. Bei heftigen Anfällen von Kardialgic wird de Oberkörper gewöhnlich vorwärts gebogen, und das Aufwärtsziehen der gekrümmten Kniee und Treten mit den Füssen verräth meistens Bauchgrimmen. Bei Ohrenschmerzen schreien die Kinder gewöhnlich sehr anhaltend und mit gleicher Stärke des Jammertons. Der Sitz der Kopfschmerzen verkündet sich häufig durch vermehrte Hitze und Schweiss und dadurch, dass die Kranken oft mit den Händen danach greifen. Auch Starrsucht, Ohnmachten, Krämpfe, Convulsionen, obgleich letztere sich durch Muskelbewegungen auszeichnen, gehören zu den Nervenaffectionen, welche aber hier nicht alle genannt werden

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2) die Betrachtung der Irritabilitätsverhältnisse.

Da es meine Absicht nicht seyn kann, dieser Schrift eine vollständige Symptomatologie und Semiotik einzuverleiben, so beschränke ich mich blos auf einige Andeutungen, welche dem

schon wissenschaftlich gebildeten Arzte vollständig genügen werden.

Vorzügliche Rücksicht verdient das Centralorgan des irritablen Systems, das Herz, dessen Verrichtungen, sie mögen normal oder innormal seyn, wir aus dem Herzschlage und dem Arterienpulse kennen lernen. Von einer Pulslehre kann hier keine Rede seyn. Die Aerzte aller Schulen müssen damit ver

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traut seyn, und müssen wissen, wie viel oder wie wenig Gewicht auf die Beschaffenheit des Pulses in einzelnen Fällen zu legen ist, Man hat die Pulslehre eine Zeit lang bis zum Extrem des Lächerlichen auszubilden gesucht. Die Chinesen haben von einem Magen-, Darm-, Leber- und Nierenpuls gesprochen, welcher die Krankheiten dieser Organe anzeigen soll 1). Der Spanier Franz Solano de Lugue 2) hat eines Hämorrhoidalpulses erwähnt, den auch Sauvages 3) anführt. Bordeu 4) hat sogar den Rhythmus der verschiedenen Pulsarten durch Musiknoten angegeben, was allerdings gar nicht unzweckmässig ist. Wetsch 5) hat uns eine gute Zusammenstellung der Beiträge zur Pulslehre geliefert. Delius 6) nennt den mit Unterleibsbeschwerden verbundenen, aussetzenden Arterienschlag Darmpuls. Wir wissen übrigens, dass diese Beschaffenheit des Pulses nicht blos von Unterleibsstockungen herrüht. Bei Lungenentzündungen und Herzkrankheiten beobachtet man ihn häufig. Argentier1) litt selbst längere Zeit daran in Folge übermässiger Anstrengung bei seinen Studien, und wurde durch einen Aderlass geheilt. Prosper Alpin 8) beschreibt diesen Puls als einen Vorläufer einer Harnkrisis. Subtilitäten solcher Art finden jetzt weniger Anklang mehr; aber in vielen Fällen hält man die Beschaffenheit des Pulses gewiss für bedeutungsvoller, als sie ist. Neuere Beobachtungen 9) haben uns gezeigt, welchen grossen Einfluss Tages- und Nachtzeiten, Bewegung und Ruhe, Stellung und Lage darauf haben. In Nervenkrankheiten erkennen wir aus dem Pulse oft gar nichts; daher die alte Bemerkung beim

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