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Von Kindesbeinen an hatte ich etwas von eisernem Fleifse in mir, den ihm schon seine geschwächte Gesundheit verbot; seine Arbeiten waren durchschlungen von Silberblicken, die mir nicht zustanden. Seine ganze Art war weniger gestellt auf Erfinden als auf ruhiges sicheres Insichausbilden. Alles, soviel in den Gang seiner eigenen Forschungen einschlug, beobachtete er reinlich und strebte es zu bestätigen; das Übrige blieb ihm zur Seite. Kühnen und Wagenden steht ungesehen das Glück bei, Wilhelm mochte nicht auf Geratewohl ausgehen. Ich weifs, den Ulfilas, Otfried, Notker und andere Hauptquellen vom ersten bis zum letzten Buchstaben genau zu lesen, hat er nie unternommen noch vollführt, wie ich es so oft that und immer wieder thue. Ihm genügte, Stellen aufzuschlagen, die er im besonderen Falle zu vergleichen hatte... Er wählte seine Texte aus in Handschriften, die ihm in aller Nähe vorlagen er pflegte und besserte mit redlicher Einsicht, so genau er nur vermochte. Ging auch seinen Emendationen das Glänzende und Schlagende der von Lachmann ab, das Gefügige, Geschmeidige der von Haupt, so empfahlen sich doch seine Ausgaben einzelner Gedichte sämtlich durch die vorhin gerühmten Eigenschaften."

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sagt Jakob

So war jedem der Brüder neben der gemeinsamen Arbeit sein eigener Weg gewiesen. Nachdem sie ihre Erstlinge auf dem Altar der Wissenschaft geopfert, entschlossen sie sich bald zu gemeinschaftlicher Thätigkeit. Eine Zeitschrift, die Altdeutschen Wälder, vermochte es nur auf drei schwache Bände zu bringen, doch mag" ,,wer an unseren Fortschritten näheren Teil nimmt, einzelnen Aufsätzen schon den spitzenden Keim dessen ansehen, was in der Folge besser hervortrat und höher wachsen konnte." Nachdem Jakob die Entdeckung gemacht, dafs das Hildebrandslied nicht als Prosa, sondern als eine Reihe allitterierender Verse aufzufassen ist, erschien 1812 durch Bemühung der Brüder eine Ausgabe der Dichtung nebst dem Wessobrunner Gebet. Noch einmal gab Wilhelm das Fragment 1830 auf eigene Kosten heraus, indem er den älteren Abdruck an drei Stellen berichtigte. Es folgten der arme Heinrich und eine Ausgabe der Edda, von welcher es aus mehr als einem Grunde beim ersten Bande geblieben ist.

An weitere Kreise wenden sich die Kinder

märchen, die, aus gemeinsamen Wanderungen und Aufzeichnungen entsprossen, seit 1819 in Wilhelms ausschliefsliche Pflege übergingen, dem als besonderes Eigentum die beigefügten Abhandlungen angehören; ebenso die Deutschen Sagen, die Ergänzung der Märchen. Ihrer haben wir an dieser Stelle bereits vor Jahresfrist gedacht und ebenso das Deutsche Wörterbuch zu würdigen versucht, von dem Wilhelm den Buchstaben D bearbeitete.

In der Reihe der Werke, die dem jüngeren Bruder allein angehören, gebührt mit Fug der Deutschen Heldensage der vorderste Platz, einem Buche, das auch Jakob nicht ansteht als das Hauptwerk Wilhelms anzuerkennen. „Es ist darin so vieles genau und fein ausgesponnen und gewoben, dass, wenn auch manche Faden anders aufgezogen und eingeschlagen sein könnten, doch fast überall Wohlgefallen und Befriedigung aus dieser Arbeit entspringen. Ihm war unvergönnt, eine neue, dritte Umarbeitung, zu welcher er unablässig nachsammelte, fertig zu hinterlassen, und andere Hände dürfen sich kaum darin mischen." So wurde denn auch schonend und pietätvoll, was neuerschlossene Quellen später ergaben, von Müllenhoff in seinen Zeugnissen und Exkursen zusammengefafst und der neuen Auflage hinzugefügt. Es werden in diesem Werke alle Anspielungen auf die Heldensage, die sich in mittelalterlichen Aufzeichnungen jeglicher Art auffinden lassen, verzeichnet und so für eine deutsche Sagengeschichte in grofsem Stile Material gewonnen. Die Heldensage ist die Schwester des Mythus, und beide bilden die Grundpfeiler des Epos. So ist Wilhelm geschäftig, auf dem Boden des engeren Deutschland für jene klarzulegen, was für den ger-. manischen Mythus zu schaffen Jakob in der Mythologie beflissen war.

Aufser den Anfängen der Heldensage enthalten die Altdeutschen Wälder von Wilhelms Hand Ausgaben einiger altdeutscher Texte. Sie herzustellen war eine Thätigkeit, die er während seines ganzen Lebens im Auge behielt. Während sich Jakob nur zum Abdruck von Texten versteht, die ihm auf dem Wege liegen, sie nur als Mittel zum Zweck betrachtet, werden beim Bruder die Ausgaben Selbstzweck und erfahren peinliche Sorgfalt und immer neues Studium. Von allen mittelhochdeut

schen Dichtern fesselte ihn keiner mehr als der sprachlich und technisch saubere Konrad, den Lachmann den deutschen Nonnus nennt, und den Jakob mit Ovid vergleicht. Kein anderes Gedicht las er öfter und mit gröfserer Aufmerksamkeit als den trojanischen Krieg, freilich in dem holprigen Texte der Müllerschen Sammlung, aber noch im Jahre vor seinem Tode erfreute ihn Adalbert von Kellers Ausgabe, die sich auf K. Hoffmanns und Franz Roths Vorarbeiten stützt. Durch die Herausgabe der Goldenen Schmiede (1840), des Schwanritters (in den Altdeutschen Wäldern), des Sylvester (Göttingen 1841) ist Wilhelm Grimms Name auf immer mit dem Konrads von Würzburg verknüpft.

Nicht minder mit dem Vrîdanks. Die zweite Ausgabe der Bescheidenheit war druckfertig, als ihn der Tod hinwegraffte. Schon für die erste (1830) hatte er nach und nach alle bekannt gewordenen Quellen und Hilfsmittel zusammengebracht, aufser den Drucken achtzehn Codices, doch befand sich darunter nicht ein einziger von besonderer Güte: „in der glücklichen Lage, der sich Lachmann bei der Herausgabe des Parzival, die in aller Hinsicht ein Muster bleiben wird, erfreute, befand ich mich leider nicht." Keiner hatte die ursprüngliche Reihenfolge der Sprüche bewahrt, aber grofse Massen von Interpolationen waren auszuscheiden, so dafs der Herausgeber mit mancherlei Schwierigkeiten zu kämpfen hatte und doch, nach eigenem Geständnis, hinter dem Ziel zurückblieb. Gegen seine Annahme, dafs Walther von der Vogelweide der Verfasser der Sammlung war, scheint er bereits in der Selbstanzeige mifstrauisch geworden. „Zur Gewifsheit wird man, ohne ein neues entscheidendes Zeugnis zu entdecken, kaum gelangen; mir ist natürlich nur daran gelegen, dafs die Wahrheit an den Tag kommt, nicht dafs ich recht behalte." Ehrenhaft ist es, dafs er die Arbeit, die ihm in ihrer ersten Gestalt nicht genügte, immer wieder vornahm, besserte, ergänzte; es erschienen einige Nachträge, endlich gewann das Ganze die gewünschte Gestalt. Aber im sauberen Kleide des Drucks sollte er sie nicht mehr erblicken.

Die Bemühungen um den Rosengarten in gleicher Weise abzuschliefsen hinderte die Beschaffenheit der Überlieferung; eine gröfsere Zahl verschieden lautender Redaktionen haben nicht nur

das Original selbst verdrängt, sondern auch seine Wiederherstellung unmöglich gemacht; doch ist der von Grimm herausgegebene Text einer Frankfurter Handschrift als Gemenge verschiedener Bearbeitungen wichtig und interessant. Aus vierzehn halbzer

störten Pergamentblättern entzifferte er mit Hilfe von Reagentien und mit sicherer Hand Schäden heilend die Bruchstücke des Grafen Rudolf; endlich sei das Rolandslied erwähnt, ein Abdruck der Heidelberger Handschrift mit den Abweichungen der Strafsburger und der getreuen Wiedergabe des merkwürdigen Bilderschmucks.

Ich übergehe eine Reihe von Abhandlungen und kleineren Textausgaben und erbitte mir zum Schlufs Ihre Aufmerksamkeit für einen Zweig seiner wissenschaftlichen Thätigkeit, dessen bisher kaum gedacht wurde, für die Entwickelung seiner nordischen Studien.

Schon die frühesten Briefe Wilhelms aus Halle bekunden eine besondere Neigung für die Sprachdenkmäler des skandinavischen Nordens. Hatte er doch schon 1808 in der Zeitung für Einsiedler dänische Volkslieder übersetzt, und 1811 erschien eine stattliche Sammlung in Buchform. În Halle ist er mit der Lektüre der Olafs-Saga beschäftigt, deren schönste Stellen er excerpiert; er knüpft Beziehungen mit Nyerup, der, siebenundzwanzig Jahre älter als Wilhelm, dem deutschen Fachgenossen Freundschaft und Verehrung entgegenbringt. Schon in dem ersten Briefe bittet Grimm um eine Edda Sæmundina und Nordiska Kæmpedater, später um alle dänischen Volksbücher, die zu haben, um alle schwedischen ohne Ausnahme; besonders aber kommt es ihm auf die Heldenlieder der Edda an, die mit dem heimischen Nibelungenliede verwandt sind, auf Sagas und Vísur. Der Berliner Bücherankauf enthält als Hauptstück vier Bände Sagen, von Suhm herausgegeben, mit schwerem Herzen verzichtet er auf die Eyrbyggja, für die Koch zwei Thaler fordert. „Ich denke“ tröstet er sich „man kann all die Sachen in Göttingen haben." Schliefslich nimmt er sie doch, läfst aber Gunlaug und Landnáma zurück. Auch Hagen findet er in gleicher Richtung bemüht. Am 27. Dezember 1809 schreibt er aus Gotha: es ist doch seltsam, wie von Deutschland aus das Eis von den alten nordischen Poesien losgehauen wird und sie hier auftauen.“

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Jakob brachte diesen Studien die lebhafteste Teilnahme entgegen und legte selbst kräftig Hand an, um das nordische Eis aufzutauen. Freilich verfolgte er zunächst andere Zwecke als der Bruder: Grammatik und Mythologie nahmen auch hier sein vornehmstes Interesse gefangen. Wilhelms Übersetzung der dänischen Kämpevisor, die erstere gröfsere Arbeit, mit der er vorm Publikum erschien, konnte in einer für volkstümliche Dichtung begeisterten Zeit ihren Eindruck nicht verfehlen. Wenn dir

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schreibt Hebel an einen Freund ,,in der Poesie wie in der Natur frischer lebendiger Morgenhauch, gekühlt über den Wassern und in den Bergen und gewürzt im Tannenwald, besser behagt als die drückende Schwüle oder gar der Anhauch aus einem Blasbalg, so lies Grimms altdänische Heldenlieder, Balladen und Märchen." Auch heut noch überrascht die Vorrede, die auch den Kleinen Schriften einverleibt wurde, durch treffende Beobachtungen, durch scharfsinnige Vergleiche und den Versuch, einzudringen in die vielfachen Probleme des Völkerlebens. Gleichzeitig bringt Grimm Arbeiten von Nyerup und P. E. Müller zur Anzeige, auch die Edda von Rühfs, „der es darauf abgesehen zu haben schien, die ganze nordische Mythologie und Sagengeschichte zu vernichten", indem er die nordische Poesie nur als Nachahmung der angelsächsischen gelten läfst. Es lag durchaus in der Richtung dieser Studien, wenn ihm die zufällige Ausgrabung eines höchst zweifelhafte Schriftzüge enthaltenden Steines in Hessen zu eingehender Beschäftigung mit den Runen anregte, aus der dann die bedeutsame, freilich nun überholte Schrift Über die Runen hervorging. Werke wie Liljegrens Runlära, Brynjulfsens Periculum Runologicum begrüfste er in aufmunternden Anzeigen. Was aber hätte ihm näher liegen können als die Edda selbst, mit ihren tausendfachen Geheimnissen, ein mächtiger Schatz wie jene, von denen die Sage selbst so gern erzählt die des jugendlichen Recken harren, der sie hebt und birgt * Es war ein Riesenwerk, das er auf die Schultern nahm, s schwer, dafs auch Jakob die seinen herleihen mufste; die Eddaausgabe ist ein gemeinsames Unternehmen der Brüder. Di Kopenhagener Ausgabe, die vorläufig nur die Götterlieder bracht erschien langsam und zögernd; Wilhelms Interesse aber richtet sich vornehmlich auf die Heldenlieder. Da mulste Rask helfe

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