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eignete Verwendung des schmalen Bücherbudgets beraten. Im Spätherbst 1809 reist er nach Berlin, wo er sich sogleich in einem bescheidenen Quartier auf der Maurerstrafse" häuslich und bequem einrichtet. Seine Briefe gestatten einen willkommenen Blick in das Berliner Leben jener Tage. „Berlin ist die schönste Stadt, die ich gesehen" so schreibt er an die Tante; denken Sie sich die Neustadt von Kassel, nur gröfser, die Häuser schöner und prächtiger und die Strafsen breiter, so werden Sie einen Begriff davon haben. Ebenso schön ist Potsdam, das zum gröfsten Teil aus lauter Palästen besteht. Die Gegend selbst ist nicht schön; Berlin liegt ganz in einer grofsen flachen Sandebene und hat nur auf der einen Seite einen grofsen ausgehauenen Wald, welcher der Tiergarten heifst und worin es recht schön ist." Er sieht hier verschiedene Männer von Ruf. Koch, den Verfasser des Kompendiums, einen Geistlichen von stark anrüchigem Wandel, trifft er öfter und kauft ihm für zwölf Thaler altdeutsche Bücher ab, darunter den Simplicissimus; mit Brentano besucht er v. d. Hagen: der macht den Eindruck eines lebhaften gescheidten Menschen, und hat auch sonst keinen bösartigen Zug im Gesicht." Welch ein Unterschied zwischen den beiden Männern! v. d. Hagen, wohl situiert, unterhält Verbindungen nach allen Seiten, Nachrichten und Handschriften stehen ihm reichlich und leicht zu Gebote, für seltene Bücher vermag er auf den Auktionen die höchsten Preise zu bieten. Er reist, ohne durch pekuniäre Bedenken eingeschränkt zu sein; seine Wohnung ist luxuriös ausgestattet, seine kleinen Soupers erfreuen sich eines guten Rufes. Die beiden Monate des Berliner Aufenthalts kosteten Wilhelm vierzig Thaler, jene zwölf eingeschlossen, die er an Koch für Bücher gezahlt; er mufs schliesslich den Bruder um eine abgelegte seidene Hose angehen, und ist hocherfreut, als wenigstens ein Paar Kasimirbeinkleider in Begleitung seines schönen Polenrocks aus der heimatlichen Garderobe eintreffen.

Auch in Berlin ist Wilhelm mit den verschiedenartigsten litterarischen Studien beschäftigt, ohne jedoch irgend einem mehr Interesse zuzuwenden als dem, welches er nun einmal gleich dem Bruder als seinen eigentlichen Beruf erkannt und erwählt hat. Mitte Dezember ist er in Weimar, und am 13. schreibt er

an Jakob den bekannten Brief, in dem er ihm den Besuch bei Goethe schildert.

Jeromes Herrlichkeit war erst 1813 zu Ende, und erst nach seinem Abzuge und der Wiederherstellung der alten Verhältnisse konnte von einem Amte für Wilhelm die Rede sein. Ich habe" so schreibt er an seinen Freund Wigand, 9. Febr. 1814 „ich habe am Sonntag das Reskript als Sekretarius der Bibliothek erhalten, dazu Einhundert Thaler Besoldung, was ich mit Buchstaben schreibe, damit du nicht glaubst, ich habe mich verschrieben." Doch schon am Ende des Jahres kann er von einer Zulage berichten: „Ich habe 200 Thaler Zulage bekommen, so dafs mir die Laubthaler schon aus der Tasche tanzen." Im folgenden Jahre verliefs Jakob die diplomatische Laufbahn und wurde zweiter Bibliothekar in Kassel, und nun beginnt die schöne Zeit, die er die ruhigste, arbeitsamste und vielleicht auch die fruchtbarste seines Lebens nennt. Auch von Wilhelm läfst sich das sagen: wir waren bisher nie getrennt gewesen und entschlossen, solange es in unseren Kräften stehe, beisammen zu bleiben, aber ein solches gemeinschaftliches Amt erfüllte unseren liebsten Wunsch. Fast gegen Erwartung wurde die Bitte gewährt. Dankbar haben wir die glückliche Zeit genossen, wo wir eine willkommene und belehrende Beschäftigung in dem pünktlich verwalteten Amte fanden, daneben Mufse zum Studium und zur Ausführung mancher litterarischer Pläne." Fünfzehn Jahre gehörte Wilhelm Grimm der Bibliothek an, 1816 unterbrach seine Thätigkeit eine Reise zum kranken Arnim, auf der er abermals Goethe sah. 1819 machte die Marburger Fakultät die Brüder zu Doktoren; im Mai 1825 schlofs Wilhelm den Ehebund mit Dorothea Wild, Tochter des verstorbenen Herrn Wild, Apotheker dahier", wie Jakob in der Familienbibel vermerkte, und wenn er hinzufügt: „Der Himmel gebe ihnen seinen Segen“, so blieb derselbe nicht aus. Schon im nächsten Jahre erblickt ein „gesunder und hübscher Knabe" die Welt. Er hatte nur einen Paten und hiefs Jakob. Leider starb er sehr früh. Doch bereits im Februar 1828 meldet Wilhelm dem Pfarrer Bang: Am 6. Januar, morgens 11 Uhr, als Sie wahrscheinlich auf der Kanzel standen und für uns, wie für alle gute Christen gebetet haben, ist die Dortchen von einem gesunden Knaben entbunden worden, und zwar

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ziemlich leicht und glücklich. Wir hätten gerne das Kind zwei Tage vorher gehabt, weil da auch Jakobs Geburtstag war. Auch hernach ging alles nach Wunsch, die kritischen Tage vorüber und den 10. konnte die Dortchen schon wieder aufstehen, und dafs sie, da sie Nahrung genug hat, das Kind selbst stillt, werden Sie sich wohl vorstellen. Am 27. ist das Kind getauft worden und hat von Jakob, der der einzige Pate ist, den Namen Hermann Friedrich erhalten, nach den beiden Grofsvätern." Im März 1830 erfährt Bang von der Geburt eines dritten Sohnes, Rudolf, der etwas dem Jakob gleicht".

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Eine ungerechtfertigte Zurücksetzung nötigte die Brüder, 1829 ihre Stellung an der Kasseler Bibliothek aufzugeben. Ihre Hoffnung, durch Emporrücken den steten Nahrungssorgen enthoben zu werden, wurde vereitelt. So nahmen sie denn Anträge an, die ihnen von Göttingen aus gemacht wurden: Jakob trat als Professor und Bibliothekar, Wilhelm als Unterbibliothekar, bald als Extraordinarius in den hannoverschen Dienst. Der Abschied von der Heimat, wo ein ihren Wert nicht genügend anerkennender Fürst sie nicht zu fesseln verstand, wurde den gut hessischen Herzen schwer genug. Ich verlasse Kassel mit bitterem Schmerz" schreibt Wilhelm an Hofrat Suabedissen „den gröfsten Teil meines Lebens habe ich hier zugebracht, Mutter, Kind und die liebsten Verwandten liegen hier begraben.“ Nur die glänzende Aussicht, an einer Hochschule zu wirken, die Männer wie Dahlmann, Otfried Müller, Gervinus, Beneke zu ihren Zierden zählte, konnte den Trennungsschmerz versüssen. Jakobs Antrittsrede „de desiderio patriæ" greift ihr Thema nicht zufällig auf: Heimweh, Reue, Mifsstimmung trübten die Göttinger Tage, Wilhelm wurde ernstlich krank und blieb lange Zeit siech an Körper und Geist. Dann kam das Jahr 1837: die Zeit der sieben. Jakob verliefs Göttingen ,,das dürre, trockene Göttingen" zuerst und fand im Hause seines Bruders Ludwig, Professors an der Kunstakademie zu Kassel, Aufnahme; erst im Oktober 1838, nach neunmonatlicher Trennung, zog auch Wilhelm mit den Seinen in die hessische Heimat zurück. Mit Recht konnte Jakob in seiner Rechtfertigungsschrift sagen: „der Wetterstrahl, von dem mein stilles Haus getroffen wurde, bewegt die Herzen in weiten Kreisen." In der That, die weitesten Kreise

regten sich zu gunsten der Göttinger Professoren; Anerbietungen, Geldspenden ehrten sie, die, auf dem Boden strengsten Rechtes fufsend, durch eine kühne That das politisch schlummernde Deutschland ermuntert hatten. Wie die Brüder dazu standen, mögen folgende Zeilen darthun, die Wilhelm am 23. Dezember 1837 an den bekannten Theologen Julius Müller, damals in Marburg, gerichtet hat:

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Liebster Freund, ich erhalte soeben von J. Rothschild in Kassel einen Brief, worin er mir anzeigt, dafs eine namhafte Summe für uns bei ihm deponiert sei, zugleich als Einlage ein paar Zeilen von unbekannter Hand, worin nur gesagt ist, dafs diese Summe von einigen näheren Freunden und Bekannten in Marburg herrühre. Ich versuche nicht, Ihnen auszudrücken, wie diese Liebe und Freundschaft mich im tiefsten Herzen rührt. Wir sind in einer eigenen Lage. In Leipzig, wie ich höre in Berlin, wahrscheinlich auch in anderen Städten sind Subskriptionen eröffnet worden. Gewifs sind darunter wohlmeinende Menschen, die uns blofs Hilfe gewähren wollen, und deren Teilnahme dankbar anzuerkennen ist; ebenso gewifs aber auch, dafs sich zugleich das Parteiwesen der Zeit daran hängt. Unsere Sache hat nichts mit dem politischen Treiben gemein; wir sind fest entschlossen, uns nicht für die liberale Fahne anwerben zu lassen, ebendeshalb von jenen Subskriptionen nichts anzunehmen, ebendeshalb aber auch von keinem Unbekannten." (Stengel I, 286.)

Mehr als drei Jahre weilten die Brüder ohne Amt in Kassel. Bettinas eifriges Wirken bereitete ihnen nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. in Berlin eine neue Stätte. Am 2. November 1840 schrieb Eichhorn an Jakob einen förmlichen Berufungsbrief, in dem er ein Gehalt von 2000 Thalern für beide Brüder zusammen anbot. Ihre einzigen Verpflichtungen waren der Aufenthalt in der preufsischen Hauptstadt und die Arbeit am Deutschen Wörterbuch. Als ordentliches Mitglied der Akademie konnte Jakob an der Universität Vorlesungen halten; Wilhelm, bisher korrespondierendes Mitglied, sollte bald zum ordentlichen erwählt werden. Aus den 2000 Thalern wurden durch die Bemühungen der Freunde 3000, und so stand nichts mehr der Übersiedelung im Wege. Am 15. März 1841 trafen die Grimms hier ein.

Der edelste Kreis empfing sie und erschlofs sich ihnen hier. Savigny, Lachmann, Meusebach, Bettina mögen als Chorführer des Reigens genannt sein, der sie bei ihrer Ankunft begrüfste. Es entspricht ihrem Sinn, dafs sie die lärmenden Verkehrsstrafsen der Hauptstadt flohen und am Rande des Tiergartens, in der Lennéstrafse, ihre Wohnung aufschlugen. Hier herrschte ,,eine angenehme ländliche Stille, während in der Stadt das beständige Gerassel der Droschken einen stört und der Anblick der schnurgeraden Strafsen, deren Ende man nicht absieht, mich gleich anfangs müde macht. In dieser Strafse wohnen lauter Gelehrte (auch Cornelius ist darin angelangt), und sie heifst daher le quartier latin.“* Wilhelm berichtet an Dahlmann auch von einer Audienz, die vom Könige beiden Brüdern gewährt wurde und in der Friedrich Wilhelm IV. angenehm, wohlwollend und geistreich sie herzlich willkommen" hiefs. Jakobs akademische Thätigkeit gewann bald Breite; Wilhelm beschränkte sich auf Erklärung mittelhochdeutscher Texte und verlegte in die häusliche stille Forscherarbeit den Schwerpunkt seines Wirkens. Enger als der Bruder schlofs er sich der Richtung an, die, auf Lachmanns Kritik gestützt, in der Textgestaltung und in der Erklärung der Dichtungen des 12. und 13. Jahrhunderts ihre wesentlichste Aufgabe suchte, die schroff und rücksichtslos auftrat im Gefühl ihres Wissens und ihrer Kraft und den Kampf nicht scheute. Jakobs Gemüt verwarf solchen Kampf; sein Verhältnis zu Haupt wurde immer kühler; die Schärfe, mit der Müllenhoff im Nibelungenstreite aufgetreten, erregte sein Mifsfallen, an Lachmanns 20 Lieder glaubte er längst nicht mehr“, ** während Wilhelm daran fest hielt. Die Ausfälle Pfeiffers gegen Lachmann und Haupt, der so viel höher als Pfeiffer steht, widerten ihn an".***

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Doch nicht hier erst, in den letzten Jahrzehnten ihres Lebens, tritt die Verschiedenheit ihrer Weise dem Beobachter entgegen. Der schärfste Beobachter, Jakob selbst, hat ihr Ausdruck verliehen in der akademischen Rede, die er am 5. Juli 1860, sieben Monate nach Wilhelms Tode, ihm zum Gedächtnis gehalten hat.

* Wilhelm Grimm an Dahlmann. Ippel Nr. 260.

** Jakob Grimm an Weigand. Stengel Nr. 165. 4. April 1854. *** Ebenda Nr. 176.

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