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während andererseits sich in der Tepler Handschrift eine Menge von charakteristischen Zusätzen und Interpolationen befinde, nach welchen man in der Dubliner Handschrift vergeblich suche. Es sei also im Gegenteil höchst unwahrscheinlich, dafs die deutsche Übersetzung eine Übertragung dieser romanischen sei. Der Ausdruck „sun der maid", statt des filius hominis der Vulgata, sei im Mittelalter ganz gewöhnlich gewesen, komme z. B. in Konrad von Würzburgs Goldener Schmiede" wiederholt vor.

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Ad 4 stellt es Jostes durchaus in Abrede, dafs die Modernisierung und sprachliche Überarbeitung, welche in der vierten Ausgabe der gedruckten deutschen Bibel mit dem in den drei ersten Ausgaben enthaltenen ursprünglichen Texte vorgenommen worden, vom orthodox katholischen Standpunkte ausgegangen sei. Wäre dies der Fall gewesen, so würde doch, meint Jostes, dieser angeblich gereinigten orthodox katholischen Ausgabe sowie den späteren ihr folgenden sicherlich von den Herausgebern ein Vermerk hinzugefügt worden sein, worin dieser speciell orthodox katholische Charakter derselben hervorgehoben und vor den älteren ketzerischen Ausgaben gewarnt worden wäre. Schliefslich spricht Jostes den Wunsch nach einer gründlich gearbeiteten Geschichte der deutschen Bibelübersetzung aus, welche, wie er sich nicht gerade höflich ausdrückt, allen windigen Hypothesen von vornherein einen Riegel vorschieben würde."

Dies die Gründe für und gegen den Ursprung der alten deutschen Bibel aus den Kreisen der Waldenser! Eine definitive Entscheidung darüber zu treffen ist zur Zeit schwer, ja unmöglich, wenn ich auch sagen mufs, dafs ich mich der Beweisführung des Dr. Haupt mehr zuneige als der Entgegnung des Dr. Jostes, welcher mir hin und wieder seine Sache mit etwas mehr Selbstbewusstsein als Überzeugungskraft führen scheint.

Dafs die alte deutsche Bibelübersetzung überhaupt aus ketzerischen, wenigstens von der orthodoxen Kirche abweichenden Kreisen hervorgegangen sei, scheint mir aus mehr als einer Ursache gewils.

Von Anfang an hat in allen ketzerischen, doch hauptsächlich aus Laien zusammengesetzten Kreisen die Neigung und das Verlangen geherrscht, das Wort Gottes in der Muttersprache zu

haben. Man vergleiche die zahlreichen Belege, welche Hoffmann von Fallersleben dafür in dem vierten Paragraphen seiner „Geschichte des deutschen Kirchenliedes" beibringt. Nicht nur die Waldenser haben von ihrer Entstehung in den achtziger Jahren des zwölften Jahrhunderts ab mit den Versuchen, die Bibel in ihre Landessprache, d. h. also in das Romanische, zu übersetzen, begonnen und dieses Beginnen trotz aller päpstlicher Verbote und Verfolgungen hartnäckig fortgesetzt. Auch andere Sekten in Deutschland haben das Werk der Bibelverdeutschung unzweifelhaft betrieben. Ein Beschlufs der von Theodorich II., Erzbischof zu Trier, im Jahre 1231 abgehaltenen Diöcesansynode eifert gegen die Häretiker in jener Gegend, welche heilige Schriften bei sich führten, quas habebent in Theutonicum translatas. Der Pseudo-Reinerius (Hoffmann S. 56) weifs sogar von einem Bauer zu erzählen, welcher das Buch Hiob Wort für Wort habe hersagen können, und von anderen, welche das ganze Neue Testament vollständig auswendig gewufst hätten. Wenn man will, klingt auch in den oben angeführten späten Äufserungen von Bugenhagen und Mathesius über die „unverständigen Leute", welche die alte Bibelübersetzung angefertigt hätten, und über die Geringschätzung, welche die eigentlichen Gelehrten gegen solche Arbeiten gehegt hätten, noch etwas über den laienhaften Ursprung dieses Werkes durch.

Die eigentliche klassische Zeit für diese Versuche der Übertragung der Bibel ins mittelalterliche Deutsch war unstreitig die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts, und dieser Epoche verdankt auch allem Anschein nach unsere gedruckte deutsche Bibelübersetzung ihre Entstehung. Dafür spricht nicht nur der Charakter der Tepler Handschrift, welche, wie ihr Herausgeber bezeugt, unzweifelhaft auf die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts hinweise, das beweist auch die Vorrede, welche der Herausgeber der ersten niederdeutschen, ungefähr um 1480 in Köln gedruckten Ausgabe derselben vorausgeschickt hat. Es heilst darin (vergl. Geffcken, Bilderkatechismus S. 9), dafs diese Bibel schon vor manchen Jahren gemacht sei (geschiet unde ghemaket), auch in geschriebenen Exemplaren in vielen Klöstern und Konventen vorhanden, auch lange vor dieser Zeit im Oberlande und in einigen Städten beneden (unten) gedruckt und verkauft sei (langhe

voer desser tyt gedrucket unde ghevoert is). Der Umstand, dafs hier ausdrücklich hervorgehoben ist, diese deutsche Bibel sei schon lange Jahre handschriftlich in Klöstern und Konventen vorhanden vorhanden gewesen, scheint, wie nicht zu verschweigen ist, freilich gegen ihren ketzerischen Ursprung zu sprechen. Auch darf nicht übersehen werden, dafs wir aus der Mitte des 14. Jahrhunderts (1343) eine, wie urkundlich bezeugt ist, von einem clusenere, d. h. Klosterbruder, in Halle, Matthias von Beheim angefertigte Übersetzung der Evangelien haben.*

Wenn ich selbst eine Vermutung über die Heimat unserer vorlutherischen deutschen Bibel aussprechen soll, so möchte ich an die Mystiker und Gottesfreunde denken, welche in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts am Oberrhein, namentlich in Strafsburg und Basel eine so grofse Rolle spielten. Auch bei ihnen, wie bei allen von der orthodoxen römischen Kirche Abweichenden, herrschte die Vorliebe für den Gebrauch der Landessprache, wie die Predigten eines Tauler, Suso, Hermann v. Fritzlar u. a. beweisen. Andererseits besafsen sie, was bei den deutschen Waldensern zweifelhaft erscheinen mufs, die genügende Gelehrsamkeit, die Bibel aus der Vulgata zu übersetzen. Auch die in der obigen Notiz aus der Kölner niederdeutschen Bibel enthaltene Bemerkung, diese Übersetzung sei schon lange „im Oberlande", d. h. doch am Oberrhein, in Gebrauch gewesen,

* Pfeiffer sowohl als der Herausgeber dieser Übersetzung, Reinhold Bechstein, haben dieselbe zwar dem Matthias von Beheim absprechen wollen, weil es am Schlusse der Handschrift heifse: „dise dutung (Verdolmetschung) des latines ist gemachit Mathie von Beheim dem clusenern zu Halle." Das heifse offenbar nur, sie sei für ihn, nicht von ihm gemacht. Allein diese zuerst von jenen beiden Gelehrten gegebene Auslegung dieser Worte ist weder sachlich noch sprachlich haltbar. Ein Klosterbruder, der sich von einem anderen eine Bibelübersetzung anfertigen läfst, während er selbst auf der Bärenhaut liegt, ist geradezu eine lächerliche Figur. Der Dativ: Mathie dem clusenern" ist der sowohl in der dichterischen Sprache der Griechen und Römer übliche als auch im Deutschen nicht ungewöhnliche Dativ beim Passivum und heifst von Matthias dem Klausner. So sagt Notker Ps. 70: Wes kemanot unsich diser Psalmus selbemo davidi gesungener.“ Ähnlich Ps. 68.

würde auf jene Gegenden hinweisen. Ebenso redet der Umstand dafür, dafs die ersten Drucke dieser Bibel, die aus dem Jahre 1446 herrühren, in Strafsburg (bei Eggesteyn und Mentelin) angefertigt wurden. Indessen ich spreche dieses ausdrücklich vor der Hand nur als eine Vermutung aus.

Was die Ansicht Haupts betrifft, dafs die in der vierten Ausgabe der vorlutherischen Bibel hervorgetretene modernisierende Überarbeitung derselben eine im orthodox katholischen Sinne gehaltene sei, indem sich die Kirche auf diese Weise jene ursprünglich ketzerische Übersetzung habe zu eigen machen wollen, so mufs ich gestehen, dafs ich in jenen Umsetzungen der archaistisch gewordenen Ausdrücke in modernere eigentlich nichts speciell Kirchliches oder Katholisches habe entdecken können. Wenn andererseits Jostes diese Annahme Haupts damit widerlegen will, dafs in diesem Falle die vierte Ausgabe unstreitig einen Hinweis auf diesen ihren orthodoxeren Charakter und eine Verurteilung der früheren ketzerisch gehaltenen Ausgaben enthalten würde, so kann wieder Haupt für sich anführen, dafs in der That eine solche ähnlich zu deutende Schlufsbemerkung, wenn auch nicht von dem Drucker der vierten Ausgabe, so doch von dem der fünften und denen der späteren hinzugefügt worden ist. Fast alle heben sie hervor, dafs ihre neue Ausgabe lauterer, wahrer und klarer als die früheren sei, Anton Koburger fügt in seiner 1483 gedruckten Ausgabe noch besonders hinzu, dafs dieselbe mit hohem vnd grofsem vleyfs gegen dem lateynischen text gerechtvertigt" d. h. berichtigt sei. Gründe und Gegengründe stehen sich also auch hier noch unentscheidbar gegenüber.

Im allgemeinen wird man sagen müssen, dafs es sich vor der Hand mehr empfehle, anstatt Zeit, Mühe und Gelehrsamkeit auf die vielleicht nie ganz zu erledigende Frage über das Herkommen dieser alten deutschen Bibel zu verwenden, lieber sie selbst zu studieren und zu erklären, namentlich in sprachlicher Hinsicht. Haupt ist zwar so freundlich, auf S. 45 seiner Schrift zu erklären, dafs in meinem oben erwähnten Aufsatze, welchen er mehrfach anführt, die sprachliche Seite der Frage, wenigstens insoweit sie die Umgestaltung des alten Bibeltextes in den späteren Ausgaben betreffe, schon recht befriedigend behandelt

sei. Allein dieses Zugeständnis ist doch zu nachsichtig. Gefördert würde diese Frage zunächst durch ein eingehenderes Glossar werden, worin die neueren Lesarten den alten archaistischen gegenübergestellt würden. Vielleicht dafs ich, wenn mir Zeit und Kräfte es gestatten, an dieser Stelle einmal den Anfang damit mache.

Berlin.

Karl Biltz.

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