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Ringsum schrie, wie Vögelgeschrei, das Geschrei der Tragöden
Und das Hundegebell der Dramaturgen um ihn.
Schauerlich stand das Ungethüm da. Gespannt war der Bogen

Und der Pfeil auf der Senn' traf noch beständig das Herz.

Goethe aber führte in Hinblick auf Shakespeare aus: dass das Höchste wozu der Mensch gelangen könne, das Bewusstsein eigner Gesinnungen und Gedanken, das Erkennen seiner selbst sei, welches ihm die Einleitung gebe, auch fremde Gemüthsarten zu durchschauen. Nun gebe es Menschen, die mit einer natürlichen Anlage hiezu geboren seien und solche durch Erfahrung zu practischen Zwecken ausbildeten. Hieraus entstehe die Fähigkeit, der Welt und den Geschäften im höhern Sinne etwas abzugewinnen. Mit jener Anlage nun werde auch der Dichter geboren, nur dass er sie nicht zu unmittelbaren irdischen Zwecken, sondern zu einem höhern geistigen allgemeinen Zwecke ausbilde. Nannten wir nun Shakespeare einen der grössten Dichter, so geständen wir zugleich, dass nicht leicht jemand die Welt so gewahre wie er, dass nicht leicht jemand, der sein inneres Anschauen ausspreche, den Leser in höherm Grade mit in das Bewusstsein der Welt versetze. Sie werde für uns völlig durchsichtig: wir fänden uns auf einmal als Vertraute der Tugend und des Lasters, der Grösse, der Kleinheit, des Adels, der Verworfenheit, und dieses alles, ja noch mehr, durch die einfachsten Mittel. Fragten wir aber nach diesen Mitteln, so scheine es, als arbeite er für unsre Augen; aber wir seien getäuscht. Shakespeare's Werke seien nicht für die Augen des Leibes. Goethe unterzog auch das Drama Hamlet einer Besprechung in „Wilhelm Meister", und fand im Gegensatze zu Voltaire, in demselben „eine harmonische Welt voll wunderbarer Ordnung“ und versuchte er es eine Folgerichtigkeit dieses Dramas darzulegen, wobei er die Ansicht äusserte, dass der Dichter vorsätzlich eine Seele habe zeichnen wollen auf die eine That gelegt sei, der sie sich nicht gewachsen fühle. Einzelne spätere Commentatoren haben hieraus Veranlassung genommen zu sagen, dass nachdem Goethe das Räthsel gelöst, begreife man nicht, dass es je eines gewesen sei und man sei kaum mehr gelaunt, etwas zu seiner Erklärung zu sagen. Andere Commentatoren haben die Annahme

mit gewichtigen Gründen bestritten, und die obige Seelenzeichnung nicht für den ideellen Vorwurf des Dichters bei diesem Drama gehalten, ohne doch angeben zu können, was denn die Idee sei. Wir unsererseits bezweifeln überall, dass Goethe durch jene Aeusserung den ideellen Vorwurf des Dichters bei dem Drama Hamlet hat bezeichnen, und jene Seelenzeichnung für die Idee, das Allgemeine selbst, hat ausgeben wollen. In der That kann das Nichtgewachsensein der Aufgabe denn auch nur als ein nothwendiger, in der, auf dem philosophischen Gedanken beruhenden, Idee der Tragödie selbst begründeter Effect erscheinen; die Idee des Dichters, das Allgemeine, als die das Ganze gestaltende Formbestimmung, welches in dem Besonderen und Einzelnen zum Ausdruck kömmt und durch dieses individualisirt wird, ist die gedachte Seelenzeichnung, sowie dieselbe bisher aufgefasst worden, jedoch nicht. Das wesentlichste Moment der Shakespeare'schen dramatischen Dichtung, nämlich die Begriffsbestimmung, ist, woran wir erinnern wollen, von Goethe sehr wohl erkannt worden. In der Abhandlung „Shakespeare und kein Ende" äussert derselbe über die Dramen: „Genau genommen, so ist nichts theatralisch als was für die Augen zugleich symbolisch ist; eine wichtige Handlung, die auf eine noch wichtigere deutet..... Shakespeare's ganze Verfahrungsart findet an der eigentlichen Bühne etwas Widerstrebendes; sein grosses Talent ist das eines Epitomators, und da der Dichter überhaupt als Epitomator der Natur erscheint, so müssen wir auch hier Shakespeare's grosses Verdienst anerkennen, nur läugnen wir dabei und zwar zu seinen Ehren, dass die Bühne ein würdiger Raum für sein Genie geIndessen veranlasst ihn gerade diese Bühnenenge zu eigner Begränzung. Hier aber nicht, wie andere Dichter, wählt er sich zu einzelnen Arbeiten besondere Stoffe, sondern er legt einen Begriff in den Mittelpunkt und bezieht auf diesen die Welt und das Universum." Sowie ferner: Shakespeare gesellt sich zum Weltgeist; er durchdringt die Welt, wie jener, beiden ist nichts verborgen; aber wenn des Weltgeistes Geschäft ist, Geheimnisse vor, ja oft nach der That zu bewahren, so ist es der Sinn des Dichters, das Geheimniss zu verschwätzen, und uns vor, oder doch gewiss in der That zu Vertrauten zu machen.

wesen.

Der lasterhafte Mächtige, der wohldenkende Beschränkte, der leidenschaftlich Hingerissene, der ruhig Betrachtende, Alle tragen ihr Herz in der Hand, oft gegen alle Wahrscheinlichkeit; jedermann ist redsam und redselig. Genug, das Geheimniss muss heraus und sollten es die Steine verkünden. Selbst das Unbelebte drängt sich hinzu, alles Untergeordnete spricht mit, die Elemente, HimmelErd- und Meer-Phänomene, Donner und Blitz; wilde Thiere erheben ihre Stimme, oft scheinbar als Gleichniss, aber ein wie das anderemal mithandelnd Und so sei es genug an diesen wenigen Worten, wodurch Shakespeare's Verdienst keineswegs erschöpft ist. Doch stehe noch eine Bemerkung hier: schwerlich wird man einen Dichter finden, dessen einzelnen Werken jedesmal ein anderer Begriff zu Grunde liegt und im Ganzen wirksam ist, wie an den seinigen sich nachweisen lässt."

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Fassen wir diese Aeusserungen zusammen, so dürfte sich daraus ergeben, dass Goethe Shakespeare vorzugsweise der sich in ihm offenbarenden selbstbewussten Schöpferkraft halber hochschätzte, dass er in ihm den denkenden Künstler,*) der in scinen Schöpfungen seinen Gedanken, in dem Besonderen das Allgemeine den Begriff oder die Idee zum Ausdruck bringt, erkannte. Gleichwie Goethe nun die Planmässigkeit der Dramen Shakespeare's dadurch anerkannte, dass er behauptete, der Dichter habe einen Begriff in den Mittelpunkt gelegt, ein bestimmter Begriff läge jedem einzelnen Drama zum Grunde, welcher im Ganzen wirksam sei, so haben auch die hervorragendsten späteren Commentatoren die Kunst- und Gesetzmässigkeit der Tragödien anerkannt.

Coleridge erkennt Form und Bau der Dramen für bewundernswerth;

Guizot erkennt gleichfalls bewundernd ihren Aufbau aus einer Idee, die jeden Theil auf einerlei Ziel beziehe;

Ulrici hebt hervor, dass das Ideale in den Dramen sich in der Kunstmässigkeit der Composition, in der Rückbeziehung aller

*) Goethe:>> Die Kunst ist Kunst, wer sie nicht durchgedacht, der darf sich keinen Künstler nennen.<<

Lessing: »Der denkende Künstler ist noch eins so viel werth.«

Theile und Episoden auf eine Grundidee, von der der Dichter in seiner Anlage ausgegangen, zeige.

Gervinus bemerkt, nach Erörterung des Idealen in den Dramen, dass dasselbe in letzter Instanz nicht, oder nicht bloss in der Beschaffenheit der Charactere und nicht in der Natur der Handlung, sondern dort, wo auch die Einheit der Shakespeare'schen Dramen liege, in der Idee läge.

Die Anerkennung des Dichters von Seiten des letztgedachten geehrten Commentators culminirt in folgender Aeusserung: *) ,,Schiller nannte das vollkommene Werk der Cultur:, das sinnliche Vermögen in die reichste Berührung mit der Welt zu setzen und seine Empfänglichkeit auf's höchste zu steigern, und das geistige Vermögen unabhängig und selbstständig zu erhalten, und seine Activität und bestimmende Kraft möglichst zu erhöhen; dies ist ganz eigentlich die Characteristik des Shakespeare'schen Geistes. **)

*) Cfr. »Shakespeare« von G. G. Gervinus II. S. 584.

**) Dem Wortlaute nach sagt Schiller (cfr. sämmtliche Werke XII. 49): »Da die Welt ein Ausgedehntes in der Zeit, Veränderung, ist, so wird die Vollkommenheit desjenigen Vermögens, welches den Menschen mit der Welt in Verbindung setzt, grösstmöglichste Veränderlichkeit und Extensität sein müssen. Da die Person das Bestehende in der Veränderung ist, so wird die Vollkommenheit desjenigen Vermögens, welches sich dem Wechsel entgegensetzen soll, grösstmöglichste Selbstständigkeit und Intensität sein müssen. Je vielseitiger sich die Empfänglichkeit ausbildet, je beweglicher dieselbe ist, und je mehr Fläche sie den Erscheinungen darbietet, desto mehr Welt ergreift der Mensch, desto mehr Anlagen entwickelt er in sich; je mehr Kraft und Tiefe die Persönlichkeit, je mehr Freiheit die Vernunft gewinnt, desto mehr Welt begreift der Mensch, desto mehr Form schafft er ausser sich. Seine Cultur wird also darin bestehen, erstlich: dem empfangenden Vermögen die vielfältigsten Berührungen mit der Welt zu verschaffen und auf Seiten des Gefühls die Passivität auf's Höchste zu treiben; zweitens: dem bestimmenden Vermögen die höchste Unabhängigkeit von dem empfangenden zu erwerben und auf Seiten der Vernunft die Activität auf's Höchste zu treiben. Wo beide Eigenschaften sich vereinigen, da wird der Mensch mit der höchsten Fülle von Dasein die höchste Selbstständigkeit und Freiheit verbinden und, anstatt sich an die Welt zu verlieren, diese vielmehr mit der ganzen Unendlichkeit ihrer Erscheinungen in sich ziehen und der Einheit seiner Vernunft unterwerfen.<<

Zum Zwecke der Vergleichung möge hier gleich die Auffassung des Aristoteles welche Shakespeare zu der seinigen gemacht, und wornach er sich das in den Sonetten zum Ausdruck kommende Liebesverhältniss (die ideale Selbstliebe, welche sich auf den bessern Theil des eignen Ichs

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Er hat uns zugleich wie Goethe den Umfang der receptiven Natur und wie Schiller die Kraft des productiven Geistes gelehrt. Er hat weder, wie Schiller Goethen vorwarf, die Gaben der Natur versäumt in ächten Besitz des Geistes zu verwandeln, noch wie Goethe Schillern Schuld gab, den Instinct durch die Thätigkeit des Geistes in Gefahr gebracht. Die Natur hatte ihn köstlich ausgestattet, aber er wucherte mit dem Pfunde, das sie ihm geliehen, und diesen Erwerb durfte er sein Eigenthum nennen; Goethen war die Dichtung, wie sie Schiller betrieb, schon eine zu ernste Beschäftigung, aber Shakespeare trieb sie in noch viel grösserer Anstrengung als Beide. Kein Wunder daher, wenn Goethe vor den Leistungen dieses Meisters befriedigt stand wie nicht vor den eigenen Werken und wenn er an ihm verehrend hinaufblickte, "wie auf ein Wesen höherer Art""; ein grösseres Zeugniss ist einem Genius nie gegeben worden, als dass der grösste bezieht, cfr. Sonett 39 und 62) gedacht hat über die Activität der Vernunft und deren Unabhängigkeit angeführt werden. Aristoteles sagt: (cfr. Biese Phil. des Arist. I. 351. 357) dass nur die Anlage zur Thätigkeit des Geistes angeboren sei, zur Selbstthätigkeit der Vernunft er sich selbst emporarbeiten müsse; habe er diese erreicht, so verhalte er sich zu den in der receptiven Seelenthätigkeit gegenständlich gewordenen Formbestimmungen nicht wie zu einer ungeistigen Welt, sondern erkenne darin seine eigenen Bestimmungen wieder und erzeuge in dieser Identität mit dem objectiven Gehalt der in der Natur sich offenbarenden Vernunft die wahrhafte Wissenschaft, welche den Dingen gleich sei, indem er dieselben in ihrer ideellen Wahrheit aus sich selbst entwickele. Diese höchste Geistesthätigkeit unterscheidet Aristoteles bestimmt von dem individuellen Seelenleben, er bezeichnet dieselbe als die göttliche Unabhängigkeit und als absoluter Endzweck des Menschen. In dem Besonderen offenbare sich diese göttliche Vernunftthätigkeit als das Wahre, Gute und Schöne (cfr. Eudem. Eth. 7. 14).

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Diese drei Prädicate sind es, welche Shakespeare in dem Sonett 105, indem er sich ausdrücklich dagegen verwahrt, dass man seine Liebe für Götzendienst und Abgötterei halte, für das geliebte Wesen den unabhängig gedachten eigenen Geist, das Göttliche in sich und den Inhalt seiner Dichtung in Anspruch nimmt.

Gervinus bezeichnet (cfr. Sh. II. 579) die bezüglichen Strophen des Sonetts 105, ebenso wie oben Schiller's Andeutung, über die Unabhängigkeit und Activität der Vernunft, für die vollständigste Characteristik des Dichters und seiner Dichtung, ihrer Vielseitigkeit und ihrer Einheit.

Wir constatiren schon hier den nahen Zusammenhang beider characteristischen Momente in der Vernunftforschung des Aristoteles und deren Begründetsein in derselben.

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