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Georg Fabricius als Naturhistoriker.

Ein Beitrag zur Geschichte der Naturkunde in Sachsen im sechszehnten Jahrhundert.

Von

Dr. med. Thierfelder sen.

in Meissen.

Wenn wir den Geist der wissenschaftlichen Forschung in Europa im sechszehnten Jahrhundert mit dem des unmittelbar vorhergegangenen Jahrhunderts vergleichen, so tritt uns eine mächtige und tief eingreifende Veränderung desselben entgegen. Während nämlich zu Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts noch alle Bestrebungen im Bereiche des Wissens auf das Allgemeine, das heisst, das aus der sinnlichen Beobachtung einzelner Gegenstände durch verstandesgemässe Absonderung ihrer gemeinschaftlichen Merkmale Gewonnene, gerichtet waren und der Verstand in Bildung leerer und unfruchtbarer Begriffe und spitzfindiger Unterscheidungen ohne Gehalt in allen Zweigen der Wissenschaft sich vergeblich abmühte, war zu Anfange des sechszehnten Jahrhunderts und weiterhin der Blick vorzugsweise und unmittelbar dem Besondern, Einzelnen, Thatsächlichen zugewendet. Alles in der Natur, auch das Kleinste, erschien merkwürdig, das Sonderbare und Seltene reizte die Aufmerksamkeit, und in der Regung des ersten Bestrebens, die lange übersehene Natur wieder mit dem menschlichen Geiste zu befreunden, bildete sich jener naturwissenschaftliche Verkehr unter den Gelehrten Europas, und ihm folgten späterhin jene grossartigen Naturforschergesellschaften dieses und des zunächstfolgenden Jahrhunderts in Italien, Deutschland, Eng

land und Frankreich, welche den Grund zu dem wirklichen Wissen oder den Erfahrungswissenschaften der neueren Zeit legten und die Vorrathskammern derselben mit ihren heute noch schätzbaren Sammlungen füllten, hierdurch aber zugleich dem naturwissenschaftlichen Geiste der Folgezeit den Weg bahnten, der sich so wesentlich von dem trockenen scholastischen Charakter der wissenschaftlichen Studien im fünfzehnten Jahrhundert unterscheidet. Wir müssen einer künftigen Geschichtsschreibung der Naturwissenschaft überlassen, die vermittelnden Bedingungen nachzuweisen, auf welchen diese auch für unsere Zeit, die sich ja daraus entwickelt hat, so bedeu- ́ tungsvolle Geistesumänderung beruhte. Nur ein paar allgemeine Andeutungen darüber mögen uns hier gestattet sein!

Der Geist wissenschaftlicher Forschung im sechszehnten Jahrhundert, der unläugbar die Neuzeit vom Alterthum1) scheidet, sprang nicht sogleich in voller Rüstung, wie Pallas Athene aus dem Haupte des Zeus, hervor; er deutet wenigstens auf das fünfzehnte Jahrhundert zurück. Aber er erstand nicht bloss bei den Einzelnen aus den Veränderungen in ihrem gelehrten Treiben, sondern auch im Ganzen neben und mit ihnen, oder vielmehr er trat ihnen entgegen als eine

1) Wir sagen absichtlich vom Alterthum, nicht vom Mittelalter, mit welchem letzteren Worte man den Zeitraum von 476-1453 n. Chr. im chronologischen Sinne zu bezeichnen pflegt. Denn in culturhistorischer Hinsicht ist das Mittelalter kein Zeitraum, sondern ein Zustand des Ueberganges vom Alten zum Neuen in der Entwickelungsgeschichte der Menschheit während eines mehr als tausendjährigen Zeitraumes, in welchem die letztere von der höchsten Stufe geistiger Bildung, die sie durch das morgenländis che und griechische Alterthum erreicht hatte, überging wie zu einem neuen und höheren geistigen Leben überhaupt, so zu einer freieren wissenschaftlichen Forschung insbesondere im christlichen Europa. Wie aber dieser Uebergang der alten in die neue Zeit bei seinem Anfange durch das arabische Volk vermittelt wurde, so erfolgte sein Abschluss im christlichen Abendlande durch die Reformation des sechszehnten Jahrhunderts.

Archiv f. Naturg. XXXII. Jahrg. 1. Bd.

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gleichzeitige Rückwirkung des Gesammtgeistes gegen das allgemeine, todte Begriffswesen, in welchem man seit Jahrhunderten sich herumgetrieben und den Geist ermüdet hatte er erstand aus dem nothwendigen, immer reger werdenden Gefühle der Sehnsucht nach dem Neuen, Frischen, Lebendigen nach der Natur selbst und ihrer besseren Erkenntniss. Diese Sehnsucht vermochte die der Gegenwart immerhin fernstehende Welt der Alten nicht ganz mehr zu stillen, selbst nicht in ihrer humoristischen Verjüngung; ihr konnte keine Wiederherstellung eines bereits Dagewesenen, das sein Leben hinter sich und seine Geltung verloren hatte, genügen. Aber eben so wenig konnten auch die regeren Gemüther einer so lernbegierigen Zeit, wie die des sechszehnten Jahrhunderts, welches schon die zeugende Kraft eines Weltalters, das heisst jenes Zeitraumes, innerhalb dessen sich die bekannten, grossen und bedeutsamen Veränderungen auf allen Gebieten des Culturlebens der europäischen Menschheit entwickelt haben, als Keim in seinem Schoosse trug, durch Etwas, das sein Leben über sich, in einer übersinnlichen, oft bloss erträumten Welt des Geistes hatte, ausgefüllt und befriedigt werden. Das sechszehnte Jahrhundert stand nun einmal und vorzugsweise unter der Forderung und Herrschaft des unmittelbar Wirklichen, des sinnlich Wahrnehmbaren, der Beobachtungsthatsachen. Dieser auf das Wirkliche gerichtete Sinn, dieser Geist der Forschung war es, der neben dem bloss gelehrten auf Ueberlieferung beruhenden Naturstudium cin dergleichen mehr selbständiges und selbstforschendes zur Hauptbeschäftigung der Zeit machte, der die Gelehrten aus den finstern klösterlichen Studiengemächern hinaustrieb in die freie Natur, um in Berg und Thal, in Wald und Flur, in Flüssen und in den Tiefen der Erde, bald die heilsamen Kräuter, bald die nützlichen oder schädlichen Thiere, bald das kostbare und edle Gestein zu suchen und durch eigene Anschauung kennen zu lernen, von denen man bisher nur im Plinius oder höchstens in Dioskorides und Theophrastos die todte Beschreibung gelesen hatte, oder auch um das bereits be

kannte Naturwissen durch neue Entdeckungen, namentlich vaterländischer Pflanzen, Thiere und Steine, zu bereichern, und dessen erste Regungen auf den einzelnen Gebieten der Naturkunde, besonders der beschreibenden Naturwissenschaft, in Deutschland sich in den Arbeiten der Naturforscher O. Brunfels, Conr. Gesner und Georg Agricola zeigten.

Zu den Männern aber, welche, ohne Naturforscher von Beruf zu sein, das Bedürfniss wirklicher Naturerkenntniss ebenfalls fühlten, und sich in Folge dessen an den naturhistorischen Bestrebungen ihrer Zeit thatsächlich betheiligten, gehört auch der in der Ueberschrift dieses Aufsatzes genannte Georg Fabricius aus Chemnitz in Sachsen 1), einer der berühmtesten Humanisten seiner Zeit, durch seine sinnvolle Richtung, welche er auf die lebendige Natur nahm. Wir glauben daher der Zustimmung aller derer gewiss zu sein, welche mit uns sowohl die Wurzeln unserer gegenwärtigen wissenschaftlichen Bildung in der Vergangenheit zu suchen gewohnt sind, als auch das gleiche vaterländische Interesse theilen, wenn wir hier zum ersten Male cine kurze aus den Quellen geschöpfte Darstellung dessen, was Georg Fabricius in der Naturkunde gebildet hat, versuchen 2).

1) Geb. daselbst 1516, gest. zu Meissen 1571 als Rector der Fürstenschule (von 1546-1571).

2) Die älteren Biographen des Georg Fabricius, wie Dresser, Albinus, Schreber und Müller, haben zwar zur Kenntniss und Würdigung desselben als Menschen, Philologen und Rector der meissener Fürstenschule Vieles beigetragen, die hier zu erörternde Seite seiner wissenschaftlichen Thätigkeit aber ganz unberücksichtigt gelassen. Nur seinem neuesten Biographen, dem um eben diese Schule hochverdienten, durch Gelehrsamkeit, Humanität und persönliche Liebenswürdigkeit gleich ausgezeichneten verstorbenen Rector derselben, Doctor K. W. Baumgarten-Crusius, gebührt auch das Verdienst, in seiner Schrift: De Georgii Fabricii Chemnicensis vita et scriptis. Misenae 1839. 8. S. 92–99 zuerst auf die naturhistorischen Leistungen dieses Mannes hingewiesen zu haben. Wir freuen uns bei dieser Gelegenheit an Baumgarten-Crusius erinnern zu dürfen einen Mann, dem wir während seines Lebens

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Nachdem wir bereits im Vorhergehenden in der allgemeinen Charakteristik des wissenschaftlichen Geistes im sechszehnten Jahrhundert zugleich auch den wissenschaftlichen Standpunkt und die Forschungsrichtung des Georg Fabricius charakterisirt haben, kann unsere Aufgabe nur noch noch sein nachzuweisen, was derselbe im Gebiete der beschreibenden Naturwissenschaft im Einzelnen geleistet hat. Aus seinen meissner Annalen 1), die er als Rector der meissner Fürstenschule schrieb, geht hervor, dass er sich am meisten mit Pflanzen und Thieren, am wenigsten mit Mineralien beschäftigt hat. Aber er hat auch die seltenen und merkwürdigen Erscheinungen und Ereignisse am Himmel und auf der Erde, wie Kometen, Nebensonnen und Nebenmonde, Meteore, Erdbeben, Orkane, ungewöhnliche Witterungsverhältnisse und deren Folgen: Ueberschwemmungen, grosse Trokkenheit, Misswachs oder übermässige Fruchtbarkeit, Menschen- und Thierseuchen, menschliche und thierische Missbildungen u. s. w., zum Gegenstande seiner Beobachtung und Aufzeichnung gemacht. Mit Uebergehung der näheren Angabe der zuletzt genannten in das Gebiet der Astronomie, Physik und Medicin gehörigen Thatsachen, die nichts Neues darbieten, aber entgegen der gewöhnlichen Auffassung damaliger Zeit, grösstentheils frei sind von abergläubischer Deutung und Erklärung, beschränken wir uns auf die Betrachtung dessen, was uns Fabricius als Naturhistoriker hinterlassen hat. Hier 2) tritt uns zunächst sein Pflanzenverzeichniss entgegen, in welchem er die im Garten des Apothekers Dr. med. Leuschner in Meissen im Jahre 1555 3) gepflegten Arznei-, Gewürz-, Nahrungs- und Zierpflanzen be

und Wirkens in Meissen vielfach näher zu stehen das Glück hatten und stets die aufrichtigste Verehrung und dankbarste Liebe bewahren werden.

1) Rerum Misnicarum libri VII. Lipsiae (1569.) 4.

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2) A. a. O. S. 233-263 und S. 351-352.

3) A. a. O. S. 211.

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