Imágenes de páginas
PDF
EPUB

stellen soll. Es zeigt sich ferner, dass es mit der Richtigkeit der Hebungen ziemlich gut steht, viel minder mit der der Stabreime. Von den 7 Versen des Ganzen sind nämlich nicht weniger als 5, der 2., 4., 5., 6. und 7. in stabreimender Beziehung falsch; ein höchst auffallendes Verhältniss, wenn man dagegen erwägt, wie leichtverständlich die einzelnen Verse und wie correct die Hebungen sind. Eigentlich sollte man ja voraussetzen, dass dieselbe Zerrüttung, welche die Stabreime aus den Fugen gebracht hat, auch den sonstigen metrischen Verhältnissen und zugleich der Deutlichkeit des Sinnes geschadet haben müsste. Vergleichen wir das nächstliegende, die Merseburger Bruchstücke damit, so zeigen sich dort, wenn wir die Regeln des Stabreims aufs strengste anwenden, nur zwei Fehler in 12 Langzeilen, von denen noch dazu der eine sehr leicht zu beseitigen, der andere gleichsam durch den Sinn erzwungen ist, nämlich 1. falsche Stabstellung in Balderes volon, vuoz, wo Balderes entweder nach volon oder für vuoz buoc (= Vorderfuss) gesetzt werden muss, 2. in Sinthgunt, Sunna, suister, wo das zweite s im zweiten Halbverse allerdings zu viel ist, aber nicht wohl zu vermeiden war, da weder Sunna noch suister durch ein anderes Wort ersetzt werden konnten. Im Schlummerliede nun ist der zweite Vers unrichtig, weil er zwei Stäbe in der zweiten Vershälfte hat, der vierte, weil s nicht auf st reimen darf und weil suoziu ausserdem aus zwei Gründen den Stabreim nicht tragen kann, da es einmal seinem Substantiv nachfolgt, dann ferner nackt am Ende des zweiten Halbverses steht, welche Stelle dem Hauptstabe nicht zukömmt. Der 5. ist unrichtig aus demselben Grunde, wie der erste (prichit pluumun plâwun), der 6. aus demselben Grunde, wie der dritte (sentit / scâf), der 7. ist endlich nicht an und für sich, sondern nur in dieser Schreibung unrichtig, da nicht hêrro, hûrit horsco, hartâ, sondern nur einougo

und ascâ den Stabreim tragen können. Der 2., 4., 5. und 6. endlich sind noch miteinander falsch, weil den Götternamen jedesmal der Stabreim entzogen ist ohne allen Grund, das heisst, ohne dass sie in Verbindung mit einem Substantiv oder Adjectiv die hintere Stelle einnehmen. Im Verhältniss der Hebungen ist der zweite Vers (wegen craftlíchó mit fehlender Hebung auf der Stammsylbe), der 6. wegen Zánfana u. mórgané, dann besonders der 7., wegen des unerhörten Auftactes unta einoúgo zu beanstanden.

A

Ich habe nun, immer die Echtheit vorausgesetzt, versucht, solche Verse herzustellen, welche den Gesetzen des Stabreimes und der Betonung entsprechen und theile hier mein Resultat mit. Im zweiten Verse war nicht so leicht durch blosse Umstellung der Vershälften, wie im fünften zu helfen, ich verlegte daher den Hauptstab auf Triwa, wodurch werit in den Auftact trat, craftlicho seine richtigen drei Hebungen bekam und die Veränderung von wolfa in tiora sich von selbst verstund. Im vierten fehlte der Stabreim ganz, eben so im 6. Ich durfte ihn daher in den Namen der Göttinnen suchen; zu Ostra stimmte êgir, honac musste nachstehen, wodurch freilich die schönen ,,Honigeier" verloren giengen, aber ein richtiger Stabreim gewonnen wurde. Am schwersten war in dieser Beziehung der 6., der ganz unerlässlich einen Hauptstab z verlangte, nachdem der falsche Reim s, sc hatte verworfen werden müssen. Da nun bloss die Zahlwörter als Träger des Stabreimes den übrigen Redetheilen voranstehen, welchen nach gewöhnlicher Betonung der Reim gebührt (also dem Substantiv, Adjectiv und Verbum), so musste ein solches Zahlwort in veiziu gesucht werden, welches gerade an der Stelle steht, wo der Hauptstab hingehört. Stellt man die Sylben uei oder zu

zu uei untereinander, so ergiebt sich die Emendation zuuei von selbst. Den 7. Vers endlich konnte [1866. II. 2.]

8

ich, nach Herstellung der allein richtigen Stäbe enougo / ascâ nur so herstellen, dass ich horsco wegliess.

Somit kam denn folgende metrische Stylübung zum Vorschein, die ich unmittelbar nach dem Erscheinen des Briefes von J. Grimm an Pfeiffer (in der Germania abgedruckt) zu Papier gebracht und seitdem nicht weiter geändert habe.

1. Slaf, tóchâ, slû'mo', / sar la zes wéino ́n!
2. tíora uúrgiánthémo / uuèrit Tríuua cráftlichó
3. sla fês únza mórgán / mánnes trû ́tsúniló!
4. O'strâ stéllit chíndé / egir hónacsúozíu,

5. plúomon pla'wâ rô'tâ / príchit Herâ chíndé,

6. Zánfána séntít zuueí sca ́f cléiníu

7. unta eínóugo herró / hûrit áscâ hártâ.

In der Uebersetzung etwa so lautend:

1. Schlaf, Tocke, schlummre, gleich lass das Weinen!

2. Dem würgenden Thiere wehret Triwa kräftig.

3. Schlaf bis zum Morgen, des Mannes Trautsöhnlein.

4. Eier honigsüsse stellt Ostra dem Kinde,

5. Blumen blaue rothe bricht Hera dem Kinde.

6. Zanfana sendet zwei nette Schafe

7. und der einäugige Herr leiht harte Eschen (Lanzen). Es fällt mir nun nicht im entferntesten ein, zu behaupten, der alte Text müsste gerade so gelautet haben, wie ich ihn hier vorlege; denn ich überlasse gerne Anderen den Ruhm, durch zeitgemässe Umdichtung unserer alten Bruchstücke, Hildebrandslied, Wessobrunner Gebet u. s. w., der germanischen Philologie eine neue Aera zn eröffnen; ich wollte nur so viel sagen, metrisch correcte Verse müssten ungefähr so gelautet haben, während das jetzt vorliegende,,Schlummerlied" uns jene nebelhafte, verschwommene Stabreimerei zeigt, die in Deutschland lange geherrscht hat und zum guten Theile noch herrscht, der aber wahrlich weder von der Praxis noch von der Theorie

der alten germanischen Dichter die leiseste Ahnung aufgegangen ist.

Allein gegenüber den wissenschaftlichen Wiener Autoritäten, die bei Pfeiffer für die Unverfälschtheit der Handschrift auftreten, glaubte ich dennoch diesen wie anderen Zweifeln an der Echtheit des Ganzen Schweigen gebieten und mich einfach bei der logischen Folgerung beruhigen zu sollen, dass Einer wirklich im 11. oder 10. Jahrhundert solche Pseudostabreime gemacht haben müsse, da sie eben einmal in einer echten Handschrift vorliegen. Diese Echtheit, um die sich natürlich alles dreht, konnte ich nach dem blossen Facsimile bei Zappert nicht näher prüfen und würde auch, hätte mir das Original selbst vorgelegen, nicht gewagt haben, eine Ansicht von mir jenen Männern gegenüber geltend zu machen, da ich nur zu wohl weiss, dass selbst eine fast lebenslängliche praktische Beschäftigung mit Handschriften verschiedenster Art und Zeit noch lange nicht die Berechtigung giebt in schwierigen palaeographischen Punkten ein entscheidendes Urtheil zu beanspruchen.

Einer der Hauptpunkte in der Beweisführung für die Echtheit der Handschrift kam mir allerdings sehr bedenklich vor, nämlich die Behauptung, dass die Bezeichnung der Vocale a, e, i durch Strich und Puncte (so a

i

[ocr errors]

e =

⚫) einzig und allein aus der hebräischen und zwar wieder nur aus der orientalisch hebräischen Vocalisirungsmethode herübergenommen sein könne. Dieser Behauptung gegenüber (welche jede Möglichkeit einer Fälschung ausschliessen sollte) liess sich beweisen, dass allerdings auch in lateinischen HSS. die Vocalbezeichnung durch Punkte und zwar sogar als eine systematische vorkommt. So konnte ich mich sofort aus meiner kleinen palaeographischen Praxis an eine hübsche Stelle erinnern, die mir einige Zeit vorher Herr Collega Professor Friedrich in einer hiesigen Handschrift gezeigt hatte und die ich, da sie kurz und

schlagend ist, hier mittheile. Sie steht Cod. lat. Monac. 14836 fol. 80 a. saec. X. (auch Cod. Emm. K. 6) Opuscula mathematica:

,,Genus huius descriptionis tam quod supra punctis V. et vocalibus quam subtus cum aliis vocalibus quam solitum est informatum continetur, fertur quod S. Bonifacius archiepiscopus et martyr de angulis saxis veniens hoc antecessoribus nostris demonstrarit, quod tamen non ab illo inprimis coeptum esse, sed ab antiquis istius modi usus crevisse comperimus."

:

::

Dem Satze voraus steht der Schlüssel A. E. I. Ö. V. und dann folgt als Anwendung des Systems folgendes mit den punktirten Vocalen geschriebene Stück:

Versus Bonifacii archiepiscopi gloriosique martiris.

Daraus geht so viel mit Sicherheit hervor, dass ein Fälscher gerade nicht nothwendig das orientalisch jüdische Vocalisirungssystem hätte kennen müssen, um das Schlummerlied zu schreiben. Indess bleibt dieser Punkt, so wichtig er sein mag, doch immerhin untergeordnet gegenüber dem Gesammtergebnisse der graphischen Prüfung. Man wird mich wohl keines übertriebenen Skepticismus zeihen, wenn ich auch nach dem Ausspruche so bedeutender Männer eine Wiederholung derselben für höchst wünschenswerth hielt und nach dieser Ueberzeugung handelte. Ich ersuchte meinen verehrten Freund Hrn. Prof. Jaffé, als er jüngst von München über Wien nach Hause reiste, diese Prüfung vorzunehmen, und hier ist seine Antwort:

[ocr errors]

,,Ich habe mir in Wien das Schlummerlied vorlegen lassen und fand wie ich schon dort kein Hehl hatte graphischer Seits die unzweideutigsten Zeichen, dass darin eine moderne Fälschung vorliege."

« AnteriorContinuar »