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Die Auslieferung in Griechenland.

Von Dr. jur. Michel Kebedgy, Professor für internationales Recht an der Universität Bern.

Das Königreich Griechenland gehört zu den wenigen Staaten, welche bis jetzt fast keinen Auslieferungsvertrag hatten. Der Art. 4 des griechischen Strafprozefsgesetzes hatte schon im Jahre 1834 verfügt: „Es wird durch ein besonderes Gesetz bestimmt, in welchen Fällen und in welcher Weise die Überlieferung von Fremden an fremde Behörden wegen im Ausland begangener Verbrechen und Delikte stattfinden soll". Diese Gesetzesbestimmung aber hat viele Jahrzehnte erfolglos bleiben sollen.

Abgesehen von den in den siebziger Jahren abgeschlossenen Verträgen mit Österreich-Ungarn und mit Grofsbritannien in Bezug auf die Auslieferung desertierter Matrosen, besafs bis jetzt Griechenland nur einen einzigen eigentlichen Auslieferungsvertrag, den mit Italien vom 5./17. November 1877, dessen Abschliefsung ein dringendes Bedürfnis war, des lebhaften Verkehrs der zwei benachbarten Staaten wegen. In den übrigen Fällen scheint die griechische Regierung, wenn sie gelegentlich um Auslieferung ersucht wurde, sich von den folgenden Grundsätzen haben leiten zu lassen:

1. Unter civilisierten Staaten ist die Auslieferung principiell berechtigt, auch wenn kein formeller Vertrag besteht. Ein Vertrag dient hauptsächlich, neben Reglementierung der Einzelheiten, zur Einführung der Gegenseitigkeitsklausel und Verabredung gewisser Garantien, welche die übertriebenen Ansprüche anderer Staaten verhindern können.

2. Der heute allgemeinen Praxis nach, darf die Auslieferung nicht stattfinden, weder für politische Verbrechen, noch Staaten

gegenüber, deren Gesetze und Prozefsordnung thatsächiich keine genügende Garantie für eine unparteiische Rechtspflege bieten.

Obschon seitens verschiedener Regierungen zum Abschlufs eines Auslieferungsvertrags aufgefordert, hat sich Griechenland in dieser Beziehung stets zurückgehalten. Diese principielle Zurückhaltung der griechischen Regierung ist damit zu erklären, dafs sie jedes Zugeständnis in Bezug auf die Auslieferung mit der benachbarten Türkei vermeiden wollte. Die Abneigung

des ganzen griechischen Volkes in dieser Beziehung kann man leicht begreifen. Wenn die Auslieferung vor allem eine Sache des Vertrauens ist, so ist sie durchaus unmöglich, wo das Vertrauen in die Gerechtigkeit, die Ehrlichkeit und die Ordnung der Behörden eines fremden Staates fehlt.

Im Jahre 1897 aber sollten die Verhältnisse verändert werden. Die Türkei, welche ihren Sieg gegen Griechenland der wertvollen Hülfe verschiedener Grofsmächte (hauptsächlich Deutschlands) zu verdanken hatte, verlangte, unter anderen übertriebenen Friedensbedingungen, den Abschlufs eines Auslieferungsvertrags mit Griechenland. Auf diesem Wege hoffte sie: 1. die Flucht politischer Flüchtlinge nach Griechenland verhindern zu können, und 2. den Präcedenzfall auszubeuten, um, nachher, auch mit anderen civilisierten Staaten Auslieferungsverträge abschliefsen zu können. - Die Grofsmächte, welche behufs Abschlufs des Friedens intervenierten, billigten diese Forderung, obschon keine von ihnen einen Auslieferungsvertrag mit der Türkei hat. Art. 5 der Friedenspräliminarien vom 6./18. September 1897 lautet: „Verhandlungen sollen in Konstantinopel eingeleitet werden, über folgende Abmachungen ... c) Vertrag über die Auslieferung der Verbrecher gemeinen Rechtes."

Die Zurückhaltung Griechenlands den übrigen Staaten gegenüber hatte nun keinen Zweck mehr, und das Königreich konnte den verschiedenen Wünschen zum Abschlufs eines Auslieferungsvertrags Folge leisten.

Unter solchen Umständen wurde am 26. Juni/9. Juli 1901 der Auslieferungsvertrag Griechenlands mit Belgien abgeschlossen. So fängt, für die Geschichte der Auslieferung in Griechenland, eine neue Periode an. Dafs der erste Vertrag in dieser Periode gerade mit Belgien abgeschlossen wurde, ist nicht schwer zu verstehen. Eine grofse Zahl der ausländischen Ver

brecher, welche in den letzten Jahren in Griechenland ihre Zuflucht suchten, kam aus Belgien (anfangs 1901 sollen die aus Belgien kommenden mehr als 50 gewesen sein). Aufserdem machten die in Belgien herrschenden liberalen Ansichten sowie die Ähnlichkeit der Verfassungsbestimmungen beider Staaten ihre Verständigung leichter.

Jedenfalls ist hier zu betonen, dafs die Tragweite dieses Vertrags viel gröfser ist, als es scheinen kann. Es ist vorauszusehen, dafs der Vertrag mit Belgien als Muster dienen wird für die Verträge, welche Griechenland auch mit anderen Staaten abschliefsen wird; seine Bestimmungen sollen das Maximum der Geständnisse vertreten, welche die griechische Regierung billigen kann. Deswegen scheint seine nähere Betrachtung besonders interessant zu sein.

Der am 9. Juli 1901 in Athen abgeschlossene Auslieferungsvertrag mit Belgien enthält 19 Artikel, deren Inhalt in folgenden Hauptzügen zusammengefasst werden kann:

1. Die Auslieferung wird nur für wichtigere Fälle gestattet (Art. 1, 2, 3, 6 und 19).

2. Sie ist nicht zulässig, falls die strafbare That oder die Strafe im Augenblick der Überlieferung des Betreffenden, dem Gesetze des ersuchten Staates gemäfs, verjährt ist (Art. 4—1o). Ferner ist sie auch nicht zulässig, falls es sich um eine That handelt, wegen deren eine gerichtliche Verfolgung im ersuchten Staate schon stattgefunden hat, wenn auch das Verfahren demnächst eingestellt worden ist.

3. Keiner der vertragschliefsenden Staaten ist verpflichtet, seine eigenen Staatsangehörigen auszuliefern (Art. 3-1o). Sollte der Betreffende Angehöriger eines dritten Staates sein, so ist der ersuchte Staat berechtigt, ihn entweder dem ersuchenden Staate oder demjenigen, dessen Staatsangehörigkeit er hat, auszuliefern, damit er dort abgeurteilt werde (Art. 3—2°).

4. Nicht ausgeliefert wird wegen politischer Verbrechen (Art. 6); ferner nicht wegen Thaten, welche im Zusammenhang mit politischen Verbrechen stehen (actes connexes). Dieselbe Regel gilt, wenn der Betreffende beweist, dafs das Auslieferungsgesuch thatsächlich seine Bestrafung wegen eines politischen Verbrechens bezweckt. Diese Bestimmung wird vielleicht in den

Beziehungen Griechenlands mit Belgien keine Anwendung finden; sie ist aber nichtsdestoweniger zu begrüfsen, da sie voraussichtlich auch in anderen Verträgen Griechenlands eingeführt wird.

5. Der Ausgelieferte kann weder verfolgt noch bestraft werden wegen vor der Auslieferung begangener politischer Delikte oder für eine mit einem politischen Delikte zusammenhängende That oder für eine in der Konvention nicht vorausgesehene That (Art. 6-2° u. 3°).

6. Sollte über die Qualifizierung der angeklagten That irgend ein Zweifel vorhanden sein, so ist der ersuchte Staat berechtigt, alle nötigen Erklärungen zu verlangen, bevor er sich über die Zulässigkeit des Auslieferungsgesuch ausspricht. Zum selben Zweck darf er auch von allen Akten Kenntnis nehmen.

7. Dem Gesuch des ersuchenden Staates wird stattgegeben auf Verweisung des Originals oder einer authentischen Abschrift des Urteils, welches den Betreffenden anbelangt oder eines äquivalenten Aktes. Hingegen bei Vorweisung eines Verhaftsbefehles oder eines ähnlichen Aktes der fremden zuständigen Behörde bleibt die Zulässigkeit des Gesuches für den ersuchten Staat fakultativ, vorausgesetzt, dafs die angeklagte That in jenem Akt genau erwähnt ist. In dringenden Fällen kann die provisorische Verhaftung stattfinden, soweit die Existenz eines der im Art. 9 erwähnten Akten brieflich oder telegraphisch bestätigt wird. Man mufs aber immer dem diplomatischen Weg folgen.

8. Die Untersuchungshaft darf nicht lange dauern. Die Gesetze des ersuchten Staates sollen in dieser Beziehung beobachtet werden (Art. 10-2°). Ist der Gefangene nicht in den drei Monaten nach seiner Verhaftung überliefert worden, so mufs er in Freiheit gelassen werden und soll nicht mehr für denselben Fall verfolgt werden (Art. 13).

9. Das Auslieferungsverfahren geschieht den Gesetzen des ersuchten Staates gemäfs (Art. 8). Der Gesetzentwurf, welcher die Anwendung des Vertrags in Griechenland sichern soll, kombiniert hier geschickterweise die Befugnisse der Exekutivbehörde mit denjenigen der richterlichen Gewalt; der bejahende Entscheid der letzteren ist für die Zulässigkeit des Gesuchs unumgänglich notwendig, während der Exekutivbehörde freisteht,

auch bei bejahendem richterlichen Entscheid die Auslieferung zu verweigern. Es freut uns, die Einführung dieses Systems begrüfsen zu können, indem wir es s. Z. lebhaft empfohlen haben 1). 10. Es wurde verabredet, dafs die Unterzeichnung des Vertrags keine rückwirkende Kraft den Verbrechern gegenüber haben wird, welche sich ins ersuchte Land vor jener Unterzeichnung geflüchtet haben (Art. 19—2°).

11. Endlich enthält der Vertrag Bestimmungen in Bezug auf Rogatorien und Mitteilungen gerichtlicher Akten in Strafsachen, soweit es sich nicht um politische Angelegenheiten handelt. Der Vertrag mit Belgien bestätigt hier und reglementiert die bisherige Praxis der griechischen Regierung (Art. 15—17).

12. Die zwei Regierungen haben sich auch verpflichtet, gegenseitig ohne Kosten die Urteile ihrer Gerichte mitzuteilen, welche die respektiven Staatsangehörigen für Verbrechen oder Delikte jeder Art verurteilt haben (Art. 18).

Soviel über den Inhalt des griechisch-belgischen Auslieferungsvertrags selbst.

Dieser Vertrag wird der Genehmigung der griechischen Deputiertenkammer unterworfen und zwar mit einem Gesetzentwurf von 11 Artikeln, welche das Auslieferungsverfahren in Griechenland bestimmen. Dieses Gesetz wird den Vertrag ergänzen in Bezug wenigstens auf seine Anwendung auf griechischem Gebiet. Da dieses Gesetz dasjenige vom 10./22. Mai 1878 in verschiedenen Beziehungen verbessert, so wird jenes Gesetz natürlicherweise aufgehoben. Die Thatsache, dafs das Gesetz von 1878 aus Anlafs des Auslieferungsvertrags mit Italien eingeführt wurde, giebt natürlich der italienischen Regierung kein Recht, sich wegen der beabsichtigten Änderung zu beklagen, da die Bestimmungen des Vertrags mit Italien unberührt bleiben und das griechische Gesetz nur das Verfahren der griechischen Behörden in Griechenland betrifft.

Zum Schlusse glauben wir bemerken zu dürfen, dafs im ganzen und abgesehen vielleicht von gewissen Punkten sekundärer

1) S. unsere Abhandlung: „Une loi d'extradition en Grèce“ in der „Revue générale de droit international public" 1900 S. 388-402.

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