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Ueber die Processe der Gährungen und ihre Beziehung zum Leben der Organismen.

Von

F. Hoppe-Seyler.

Erste Abhandlung.

Es ist jetzt fast ein Jahrhundert verflossen, seit unmittelbar nach der Entdeckung des Sauerstoffs durch die ineinandergreifenden Untersuchungen von Priestley, Scheele, Ingenhousz und Lavoisier die wichtigen Thatsachen ermittelt wurden, dass Thiere und keimende Pflanzen Sauerstoff aufnehmen und Kohlensäure ausathmen, dass dagegen grüne Pflanzen im Sonnenlichte Kohlensäure aufnehmen und Sauerstoff in Freiheit setzen. Durch Lavoisier's geniale Auffassung der Athmungsverhältnisse und die Vergleichung der Processe, wie sie in den Organismen verlaufen, mit einfacheren und durchsichtigeren chemischen Vorgängen, wurden die Ideen gewonnen, die für alle Zeiten unbestreitbar die Grundlage der physiologisch-chemischen Anschauung der Lebensprocesse bilden müssen.

Lavoisier1) hat bereits im Jahre 1777 auf die Aehnlichkeit in den Erscheinungen der Verbrennung von Kohle und der thierischen Respiration kurz hingewiesen, im Jahre 1780 folgt die berühmte Abhandlung von Lavoisier und de Laplace „Sur la chaleur«, in welcher gesagt ist 2): la conservation de la chaleur animale est due, au moins en grande partie, à la chaleur que produit la combinaison de l'air pur respiré par les animaux avec la base de l'air fixe que le sang lui fournit" und es stützt sich dieser wichtige Satz auf die annähernde Uebereinstimmung des Werthes der von einem

1) Oeuvres de Lavoisier publ. 1862. T. II. p. 232.

2) Ebendas. p. 332.

E. Pflüger, Archiv f. Physiologie. Bd. XII.

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warmblütigen Thiere in bestimmter Zeit ausgegebenen Wärme mit derjenigen Wärmequantität, welche bei der Verbrennung von soviel Kohle zu Kohlensäure erhalten wurde, als in der vom Thiere in derselben Zeit ausgeathmeten Kohlensäure enthalten angenommen werden musste. Es wird dieser Satz später 1) vervollständigt durch den Nachweis, dass ein wenig von dem bei der Respiration aufgenommenen Sauerstoff nicht als CO2 in der Expirationsluft erscheint und entweder zur Wasserbildung dient oder sich mit dem Blute verbindet.

Lavoisier identificirt Oxydation des Kohlenstoffs und Verbrennung desselben und zählt zu den Verbrennungen des Kohlenstoffs auch die Zerlegung des Wassers durch Kohle in der Glühhitze, deren Producte er noch nicht genau kannte. Er trennt die combustion ardente von der obscure, zur letztern zählt er auch die Oxydation organischer Stoffe durch Salpetersäure oder Chlor, ebenso die Bildung von CO2 und Wasserstoff oder wasserstoffreicherer Kohlenstoffverbindungen durch Alkoholgährung und Fäulniss 2). Obwohl hiernach neben den letztgenannten Processen auch die Oxydation der Thierkörper unter combustion obscure einbegriffen ist, ist doch (anders kann man die verschiedenen Aussprüche Lavoisier's nicht wohl verstehen) die ganze Verbrennung im Körper des Thieres als eine Einwirkung des Sauerstoffs der eingeathmeten Luft auf die organischen Stoffe des Blutes u. s. w. gedacht und in dieser Weise ist bis jetzt noch die Anschauung Lavoisier's in allgemeiner Geltung, wenn auch seit den Untersuchungen von Magnus über den Gehalt des arteriellen und venösen Blutes an auspumpbaren Gasen, Sauerstoff und CO2, nicht mehr angenommen werden konnte, dass in der Lunge der hauptsächliche Heerd der Verbrennung sei.

Aus der Ansicht, dass die Affinität des freien Sauerstoffs zu C und H in den organischen Substanzen im Thiere die primäre Ursache der Verbrennung im Innern des Thieres sei, ging die Meinung hervor, dass reichliche Zufuhr von Sauerstoff durch beschleunigte Respiration auch reichliche Oxydation im Körper zur Folge habe, eine Meinung, die auch Liebig 3) aussprach und die später trotz zahlreicher Beweise der Unabhängigkeit des Stoffwechsels von der

1) Ebendas. p. 680.

2) Ebendas. p. 668.

8) J. Liebig, Thierchemie, 2. Aufl. S. 16.

Sauerstoffzufuhr doch in den verschiedensten Schriften immer wiederkehrt.

Man wusste recht wohl, dass die sämmtlichen Stoffe, Eiweiss, Leim, Zucker, Fett u. s. w., deren Oxydation im thierischen Körper erfolgen sollte, vom freiem Sauerstoff der Atmosphäre nicht angegriffen werden, dennoch nahm man an, dass es eine Oxydation derselben allein sein könnte, welche sie verschwinden liess unter Aufnahme von freiem Sauerstoff und Abgabe von CO2 durch Blut und Respiration. Die Entdeckung des Ozon durch Schönbein schien hier aus der Verlegenheit zu helfen, aber wenn auch mehrfach behauptet ist, dass Blut und verschiedene Organe Ozonreactionen geben, hat doch der beste Kenner des Ozon, Schönbein selbst über die Organe ganz geschwiegen und im Blute nur ganz geringe Spuren von Wasserstoffhyperoxyd nachzuweisen vermocht. Eine klare Ueberlegung musste auch dazu führen, zunächst nach einer möglichen Quelle der Ozonisirung zu suchen, da activer Sauerstoff nur dann gebildet wird, wenn entweder durch Elektricität oder durch kräftige chemische Affinität Sauerstoffverbindungen zerlegt werden und dabei reichliche freiwerdende Kräfte zu Gebote stehen. Es ist bis jetzt im thierischen Körper eine solche Quelle der Ozonbildung noch nicht aufgefunden und speciell vom Blute habe ich nachweisen können, dass die leicht zerfallende Verbindung des Oxyhämoglobin nicht in der Weise des Ozon wirkt und nur an sauerstofffreie Flüssigkeit indifferenten Sauerstoff abgiebt; die Oxydationen, welche im Thierkörper zu verlaufen scheinen, können nicht durch eine Oxyhämoglobinlösung bewirkt werden 1). Da die Reibung in Flüssigkeiten bei ihrem Fliessen durch enge Capillarröhren nachweisbare elektrische Spannung hervorbringt, wie die Versuche von Quincke und die von Zoellner erweisen, so ist es möglich, dass durch die Reibung der durch grosse Zähigkeit ausgezeichneten Blutflüssigkeit bei ihrem Strömen durch die engen Capillargefässe eine Bildung von Ozon und hiermit sofort eintretende Oxydation bewirkt werde. Auf meine Aufforderung hat Herr Dr. Rajewski mit defibrinirtem Blute Versuche ausgeführt, indem er eine Portion des Blutes ruhig stehen, die andere unter starkem Quecksilberdruck in einem System von Röhren circuliren liess, in welches eine weite mit feinen parallelen Glasfäden fest gefüllte Röhre eingeschaltet war.

1) Medicinisch-chemische Untersuchungen. 1. Heft, Tübingen 1866. S. 133.

Das Blut der zweiten Portion musste bei dieser Circulation unter starkem Druck die feinen Capillarräume zwischen den Glasfäden passiren. Nachdem der Versuch ein bis zwei Stunden gedauert hatte, wurde der Gehalt an Sauerstoff durch Auspumpen mit der Quecksilberpumpe bestimmt, aber keine bestimmte und erhebliche Differenz im Sauerstoffgehalt beider Portionen gefunden. Die Wirkung der Reibung konnte allerdings nur eine minimale sein, wäre aber nur im geringen Masse eine Oxydation eingetreten, so hätten die bei ihr frei werdenden Kräfte die Ozonisirung und Oxydation weiter führen können; die erhaltenen Resultate beweisen, dass dies in merklichem Grade nicht der Fall ist.

Es sind nun ferner in neuerer Zeit noch einige Thatsachen bezüglich der chemischen Umwandlungen im Thierkörper ermittelt worden, welche mit Bestimmtheit beweisen, dass im Innern der Organe auch Reductions processe verlaufen, dass ferner die Quantitäten des aufgenommenen Sauerstoffs und der ausgeschiedenen Kohlensäure bei bestimmter Nahrung oder beim Hunger nicht jederzeit in demselben Verhältniss stehen. Diese letztere Thatsache wurde durch Versuche von Pettenkofer und Voit1) zuerst ermittelt. Reductionsprocesse können allein die Bildung von Gallenfarbstoff und Urobilin erklären, sie können allein aus Chinasäure Benzoesäure, die nach Einnahme von Chinasäure im Harne als Hippursäure erscheint, bilden. Ebenso kann die Entstehung von Bernsteinsäure nach Einnahme von Asparagin, welche Hilger fand, nur auf eine Reduction bezogen werden. Es ist endlich bekannt, dass in den Darm gebrachte Pyrogallussäure theilweise in den Harn übergeht. Dr. E. Baumann fand, dass Brenzcatechin wahrscheinlich aus der Nahrung reichlich im Pferdeharne erscheint; diese Stoffe sind in alkalischen Flüssigkeiten so leicht oxydirbar, dass bei der Annahme kräftiger Oxydation im Thierkörper ihre Erhaltung wunderbar erscheinen muss.

Es ergiebt sich sonach im Ganzen eine nicht geringe Zahl von bereits bekannten Thatsachen und ich könnte noch weitere Beispiele anführen, welche zeigen, dass ausser den Oxydationen manche andere zum Theil einer einfachen Verbrennung widersprechende Processe im Thierkörper verlaufen.

Alle Schwierigkeiten werden aber gehoben, wenn man in den

1) Sitzung d. bayer. Acad. d. Wiss. zu München, mathem. - physik. Classe. 10. Novbr. 1866 u. 9. Febr. 1867.

Organen des Thierkörpers den Verlauf von Processen annimmt, in welchen unter Einwirkung des Wassers organische Stoffe verändert und gespalten werden in einer Weise, wie wir es in dem Processe der Fäulniss finden und experimentell verfolgen können. Ohne eine Identität des Fäulnissprocesses mit dem Leben der Organismen behaupten zu wollen, findet sich doch meiner Ansicht nach in der Natur kein Process, der mehr Analoges mit dem thierischen und pflanzlichen chemischen Leben (abgesehen zunächst von der Wirkung des Chlorophylls) zeigte als die Fäulniss, über deren Wesen aber freilich die gang und geben Vorstellungen noch viel Unklares und Unrichtiges an sich tragen. Das Material, welches hier noch zu sichten und genauer zu prüfen ist, wird noch lange Zeit zu seiner Bewältigung in Anspruch nehmen und um so mehr als in dieser Richtung angestellte Versuche stets nur langsam vorschreiten können. Die Vorgänge, welche als Fäulnissprocesse zusammengefasst werden können, sind Gährungen und sind als solche angesehen schon im vorigen Jahrhundert; in neuerer Zeit hat man weniger sich mit der Untersuchung und Vergleichung dieser Processe als mit Speculationen über die Fermente beschäftigt und hierdurch die natürlichen Schwierigkeiten künstlich noch vergrössert, besonders indem das Leben niederer Organismen mit bestimmten Gährungen identificirt und verschiedene neben und nacheinander verlaufende Processe als untrennbares Ganze behandelt wurden. Es ist leicht ersichtlich, dass dies Verfahren die physiologische Chemie geradezu negirt und eine biologisch-botanische oder zoologische Betrachtung zur allein herrschenden macht. Gegen diese Bestrebungen hat Liebig entschieden protestirt 1); ich habe gleichfalls an einigen Beispielen nachzuweisen versucht 2), wie wenig berechtigt dieselben sind. Die in dem Folgenden zu schildernden Versuche zeigen noch entschiedener, dass Processe, die man allein den mysteriösen Lebensenergien intacter lebender Organismen zuschreiben will, auch nach deren Tode fortdauern; vor ihrer Besprechung wird eine Vergleichung der wichtigeren Gährungen hinsichtlich der Art der Umwandlungen, welche durch sie geschehen, wenigstens zur besseren Orientirung dienen können. Es scheint zweckmässig, dieselben in folgender Weise vorläufig zu ordnen:

1) Ann. Chem. Pharm. Bd. 153. S. 1, 1870.

2) Med. chem. Untersuchungen, 4. Heft. Tübingen 1871. S. 561.

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