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Aber es ging. Der Landtag erhielt auf sein Verlangen keine Antwort aus dem Ministerio. Ein Tag verlief nach dem andern. Inzwischen wurde die Sache zwischen Einzelnen besprochen. Und da sich auch die Verhandlungen über Ausgaben und Einnahmen einem glücklichen Ende näherten, so wurde, als endlich ein Abgeordneter an die rückständige Rechnung mahnte, eine neue Verhandlung leicht und fast stillschweigend vermieden.

Übrigens habe ich Goethe'n nach jener Staatssoirce nicht wieder gesehen. Sonderbar aber ist, daß er mir, so oft von ihm und seiner Persönlichkeit die Rede ist, immer zuerst in jener Stellung und in jener Kleidung, mit seinen Orden behängt, vor die Augen tritt, in welcher ich ihn zum leßten Male gesehen habe; und ich muß ihn gleichsam entkleiden, um ihn in dem einfachen Überrocke zu erblicken, in welchem er so schön und so liebenswürdig war.

Die Schlacht von Jena.

Ich habe wiederholt der Schlacht gedacht, die am 14. October 1806 Statt gefunden hat; deßwegen will ich zu erzählen mir erlauben, wie ich und die Meinigen von diesem unglücklichen Ereignisse berührt worden sind.

Während meines Aufenthaltes in Jena hatte ich eine Wohnung gemiethet. Der Eigenthümer des Hauses war ein Magister Student, ein alter Mann, der früher in Sachsen Prediger gewesen war. In diese Wohnung hatte ich die Sachen geschafft, mit welchen meine Frau zum Beginne unseres Haushaltes reichlich ausgestattet war, so wie Alles, was ich selbst besaß. Indeß ließ ich Alles unausgepackt stehen; nur meine Bücher wurden vor meiner Abreise aufgestellt. Die Zahl derselben war freilich nicht groß; aber sie bildeten eine kleine Bibliothek von bedeutendem Werthe. Manche Bücher hatte ich schon längere Zeit besessen; sie waren nach und nach, wie sich die Gelegenheit darbot oder das Bedürfniß fühlbar machte, in Auctionen oder im Buchladen gekauft worden. Sehr viele aber hatte ich erst seit meiner Berufung nach Jena angeschafft, und besonders während meines Aufenthaltes in Jena

selbst, als ich mich überzeugt hatte, daß die akademische Bibliothek sehr arm an neueren Werken war. Auch meinte ich, ein Professor dürfe nicht ohne einen tüchtigen literarischen Apparat sein. Was ich daher an Geld besaß oder von den Meinigen zu erhalten vermochte, das ward angewendet. Vor Allem wurden von den wichtigsten griechischen und lateinischen Schriftstellern die besten Ausgaben angekauft, die damals zu haben waren; alsdann auch manche der so genannten classischen Schriftsteller der Franzosen und Italiäner, besonders aber der Engländer, für deren Literatur ich eine große Vorliebe hatte. Es waren historische Werke und Werke der schönen Literatur. Ich ließ sie alle anständig binden, und hatte, als ich sie in Reihe und Glied aufgestellt erblickte, eine wirklich heilige Freude. Hätte Jemand mir 2000 Thaler geboten: wahrlich, ich hätte die Bibliothek, wie ich die kleine Sammlung nannte, nicht hinweg gegeben.

Am 6. September verließ ich Jena und ging zu Fuß über den Harz nach Celle. Daselbst blieb ich einige Tage bei meinen Schwiegereltern und reiste alsdann mit meiner Frau und unserem Kind, einem Töchterchen von anderthalb Jahren, nach Bremen und nach meinem Geburtsorte. Wir besuchten meine Eltern, Berwandte und Freunde, hier und dort ein Paar Tage verweilend. Am 5. October befanden wir uns wieder in Celle, und traten am 8. unsere Reise mit einem Hauderer nach Jena an.

Bei meiner Abreise aus Jena dachte noch kein Mensch an einen Krieg. Verständige Männer, welche im Gedächtniß hatten, was seit 1795 geschehen war, hielten für unmöglich, daß Preußen fich zu einem Kriege entschließen würde, da es das Jahr 1805

ohne Krieg hatte vorüber gehen lassen; fie lachten über den Gedanken, daß Preußen allein einen Krieg wagen könnte, den es mit Österreich und Rußland zu bestehen nicht gewagt hatte. Am Allerwenigsten aber fiel es Jemandem ein, daß Thüringen die Bühne des Krieges sollte werden können, und ihr altes Vertrauen zu Preußens Klugheit war so groß, daß sie, selbst für den Fall eines Krieges, den Schauplaß desselben mit Zuversicht auf die linke Seite des Rheines verlegten, keinesweges nach Thüringen oder Sachsen. Ich selbst hatte mich in der leßten Zeit nicht viel um politische Dinge bekümmert, Theils aus Unwillen und Überdruß, Theils weil ich ganz andere Dinge im Kopfe hatte, die meine ganze Seele beschäftigten. Während meiner Reise hatte ich auch keine Zeitung gelesen, kaum eine gesehen. Es waren zu glückliche Tage, als daß ich mich in eine Lectüre hätte einlassen mögen, die störend hätte werden können. Auch war bei den Männern, mit welchen ich in Verkehr oder in Berührung kam, keine Rede von der Lage der Welt; wir hatten andere Angelegenheiten zu besprechen. Nur in Bremen sagte der alte ehrwürdige Dr. Nicolai, Prediger am Dom:,,Ich fürchte, ich fürchte, die Nemesis naht, und dieses Mal wird das Fischen im Trüben mißlingen.",,, nein," erwiderte ein Anderer;,,Die winden sich durch und werden entschlüpfen, wenn ihnen auch die Haut abgeschunden würde. Sie müßten ja auch von einem Gotte des Verstandes beraubt sein, wenn sie sich jest gegen den Glücklichen und Gewaltigen stellen wollten. Was haben sie denn auch noch zu vertheidigen?" Ich trat der leßten Meinung bei, weil sie am Wenigsten, für den Augenblick nämlich, beunruhigte, und weil sie meiner gegenwärtigen

Stimmung entsprach.

Gebe Gott, daß Sie Recht haben,“ brummte der alte Doctor; denn die Folgen würden über uns Alle kommen." So lebte ich gedankenlos weiter, und um so leichter, da ich auf der ganzen Reise auch nicht das Mindeste bemerkt hatte, das auf einen nahen Krieg hindeutete: keine TruppenMärsche, keine Vorkehrungen, keine Bewegung im Volke; Alles war in tiefer Ruhe und tiefem Frieden.

Unsere Reise nach Jena ging über Braunschweig, Halberstadt, Halle. Am 11. October fuhren wir, ohne uns aufzuhalten, durch die leßte Stadt; denn wir wünschten, soweit als möglich zu kommen, um am folgenden Tage, Sonntags den 12., bei guter Zeit in Jena einzutreffen. Erst diesseits Halle, und in der Nähe dieser Stadt, sah ich das erste Zeichen, das auf Krieg gedeutet werden mochte. Ein Zug von etwa 10 oder 12 Kanonen nämlich fuhr langsam vor uns her; Artilleristen begleiteten denselben; eine weitere Bedeckung sahen wir nicht. Wir fuhren vorbei und kamen bis Lauchstädt. Daselbst blieben wir über Nacht. Am anderen Morgen, etwa um 8 Uhr, ging es weiter, aber nur langsam, weil Etwas am Geschirr zerriß. Wir waren etwa 2 bis 3 Stunden gefahren: da erblickten wir einen Haufen von Männern, die uns entgegen kamen. Es mochten 30-40 sein. Sie gingen einzeln, zu Zweien, Dreien, Vieren, in der Mitte des Weges und zu beiden Seiten. Als wir näher kamen, gingen die Vordersten langsamer oder standen still, bis sie in einen Haufen vereint waren. Endlich schlossen sie Pferde und Wagen dergestalt ein, daß der Kutscher zu halten genöthigt war.

Als wir diese Menschen zuerst erblickten, und wir sahen sie

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